| # taz.de -- Das Gefängnis der Gestapo-Zentrale: In der Zentrale des Terrors | |
| > Auf dem Grundstück der „Topographie des Terrors“ befand sich auch ein | |
| > Hausgefängnis der Gestapo. Eine neue Ausstellung beschäftigt sich damit. | |
| Bild: Haupthalle der Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße 8 mit Büst… | |
| Berlin taz | „Vor kurzem waren wir noch neunzig Häftlinge. Jetzt sind wir | |
| nur noch 26. Ein schreckliches Gefühl, wenn man nebenan in der Zelle nichts | |
| mehr hört, weil sie leer geworden ist. Kein Kettenrasseln, keine Schritte, | |
| kein Husten. Man klopft und klopft, erst leise, dann lauter, immer stärker | |
| – nichts rührt sich, kein Gegenklopfen. Still, wie im Grab ist es, wenn für | |
| kurze Zeit der Kampflärm schweigt.“ | |
| Der Kommunist Heinz Hentschke war schon 1935 für kurze Zeit im | |
| Hausgefängnis der Berliner Gestapo-Zentrale inhaftiert worden. Am 14. | |
| Februar 1943 kam er erneut in Haft – und blieb dort, bis zum 28. April | |
| 1945. Die meisten seiner Mitgefangenen waren kurz zuvor auf einem | |
| Ruinengrundstück erschossen worden. Hentschke blieb. Er zählte zu den sechs | |
| Menschen, die in der Prinz-Albrecht-Straße von der Roten Armee befreit | |
| wurden. | |
| Ein Foto von Hentschke und seine Erinnerungen finden sich gegen Ende einer | |
| Ausstellung, die an das Martyrium der Opfer dieses Terrorapparats erinnert. | |
| Die Geheime Staatspolizei, gegründet im April 1933 durch den preußischen | |
| Ministerpräsidenten Hermann Göring, ab dem 1. März 1941 als Amt IV Teil des | |
| Reichssicherheitshauptamts, hatte die Aufgabe, jedweden Widerstand von | |
| NS-Gegnern auszuforschen und ihre Anhänger zu brechen, die Juden zu | |
| vernichten. Ihre Organisation zog sich im Zweiten Weltkrieg über halb | |
| Europa. | |
| Ihre Terrorzentrale aber lag in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße Nummer 8. | |
| Kaum etwas davon ist übrig geblieben, bis auf einige aufgedeckte | |
| Kellerräume. [1][Heute befindet sich auf dem historischen Gelände die | |
| Topographie des Terrors,] deren Ausstellungsräume die staatlich verordnete | |
| Unterdrückung, den Mord und die Bestialität des NS-Regimes dokumentieren. | |
| Jetzt hat sich die Gedenkstätte der eigenen Topographie zugewandt. Und | |
| deshalb sieht man nun eine gelbe Markierung, die sich durch die mit Kies | |
| belegte Freifläche im hinteren Teil des Museumsgeländes bewegt. Der breite | |
| Strich führt in das Gebäude, zieht sich am Rande des Veranstaltungssaals | |
| hin und führt in die Ausstellung hinein. Er markiert die früheren | |
| Außenmauern des Gestapo-Hausgefängnisses. | |
| ## Die „besonders gefährlichen“ NS-Gegner | |
| Diese Haftanstalt war vergleichsweise klein und besaß nur 38 Einzelzellen. | |
| Deshalb kamen die Verfolgten in ihrer Haftzeit häufig in anderen Hafträumen | |
| im Raum Berlin unter, etwa im Polizeigefängnis am Alexanderplatz oder im | |
| Konzentrationslager Sachsenhausen. Vernommen, gequält und gefoltert aber | |
| wurde in der Prinz-Albrecht-Straße, die heute Niederkirchnerstraße heißt. | |
| Wer sich dort in den Händen der Gestapo-Zentrale befand, galt als besonders | |
| gefährlicher NS-Gegner. | |
| In der Ausstellung liegt ein Heft, 30 Seiten stark, mit handschriftlichen | |
| Eintragungen in tabellarischer Form auf einem Pult. Man kann es zur Hand | |
| nehmen und durchblättern. Namen folgen auf Namen, für jeden Menschen, jedes | |
| Schicksal ist eine Spalte reserviert. Vor- und Nachname, Beruf, | |
| Geburtsdatum und -ort, Wohnadresse, Festnahmeort und -grund sind fein | |
| säuberlich eingetragen. | |
| Das Heft umfasst die Namen von 716 Personen, die zwischen Oktober 1933 und | |
| September 1942 durch das „Marxismus-Referat“ eingeliefert worden sind. Wie | |
| viele Menschen insgesamt im Hausgefängnis einsitzen mussten, ist nicht | |
| bekannt. Die Nazis haben ihre Akten rechtzeitig vernichtet. Aber es müssen | |
| Tausende gewesen sein. Unter ihnen befanden sich viele [2][prominente | |
| NS-Gegner, so wie Dietrich Bonhoeffer], Johann Georg Elser oder Wilhelm | |
| Leuschner, aber auch Erich Honecker. | |
| Die Sonderausstellung geht den Spuren ihrer Leidensgeschichten nach. Das | |
| beginnt etwa mit den grünen Karteikarten der „Internationalen Suchkartei“ | |
| von ins Ausland geflüchteten Nazi-Gegnern. Wurde die Gestapo eines solchen | |
| oder eines anderen Widerstandskämpfers habhaft, so kam er zunächst zur | |
| erkennungsdienstlichen Behandlung, wo Fotos des Delinquenten gemacht | |
| wurden. Es folgte auf einem in Rot gehaltenen Vordruck der | |
| „Schutzhaftbefehl“, mit dem eine zeitlich unbegrenzte Inhaftierung ohne | |
| Widerspruchsmöglichkeit verhängt wurde. In einer „Vorführungsnote“ hielt | |
| die Gestapo die Ergebnisse der ersten Vernehmung fest, gefolgt vom | |
| „Aufnahmebefehl“, in dem die Haft im Hausgefängnis angeordnet wurde. | |
| Weitere Vernehmungen folgten, dazu Folter, verharmlosend als „verschärfte | |
| Vernehmung“ bezeichnet. Wenn die Gestapo-Ermittlungen beendet waren, | |
| erfolgte der „Entlassungsbefehl“, was freilich in der Regel keine | |
| Entlassung in die Freiheit zur Folge hatte. Es ging darin lediglich um die | |
| Entlassung aus dem Hausgefängnis – und die Überstellung in ein | |
| Konzentrationslager oder an die Justiz. Selbst wenn Letztere, wie in | |
| seltenen Fällen geschehen, einen Freispruch erwirkte, befreite das den | |
| immer noch Verdächtigen nicht unbedingt: Per „Rücküberstellungsantrag“ | |
| konnte die Gestapo in solchen Fällen eine erneute Schutzhaft verfügen und | |
| den NS-Gegner in ein KZ deportieren lassen. | |
| ## Kein rechtsstaatliches Verfahren | |
| Dies alles, das erkennt der Austellungsbesucher, war hervorragend mittels | |
| Vordrucken organisiert. Ein rechtsstaatliches Verfahren war | |
| selbstverständlich nicht vorgesehen. Und niemand der ins Ausland | |
| Emigrierten durfte glauben, dass er oder sie nun sicher vor einer | |
| Verfolgung durch die Gestapo war. | |
| Nur einige Schritte von der Sammlung bürokratischer Ordnungswut entfernt | |
| sieht man ein Foto von [3][Berthold Jacob. Der Journalist] hatte schon in | |
| der Weimarer Republik geheime Aufrüstungspläne der Reichswehr aufgedeckt | |
| und war dafür ins Gefängnis gekommen. Nach der Machtübernahme der Nazis | |
| floh er nach Frankreich. Er schrieb weiter. Im März 1935 lockte ihn ein | |
| Gestapo-Spitzel ins schweizerische Basel. Von dort wurde er mit einem | |
| Mietwagen nach Berlin entführt und in der Prinz-Albrecht-Straße vernommen. | |
| Nach Schweizer Protesten musste das Regime Jacob im September 1935 | |
| freilassen. Nach Kriegsbeginn wurde er in Frankreich interniert und konnte | |
| nach Lissabon flüchten. Dort entführte ihn die Gestapo erneut. Zwei Jahre | |
| verbrachte Berthold Jacob im Hausgefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße. Am | |
| 26. Februar 1944 ist er schwer krank im Jüdischen Krankenhaus von Berlin | |
| gestorben. | |
| Berthold Jacob ist eine von 18 Häftlingsbiografien in der Ausstellung | |
| gewidmet. Bleiben die Täter – ihr Lebensweg kommt am Ende der Schau zur | |
| Sprache. Es ist nicht so, dass die Gestapo-Terroristen alle mit heiler Haut | |
| davon gekommen seien. Ernst Kaltenbrunner, einst Chef des | |
| Reichssicherheitshauptamts, endete 1946 am Strang. Es kam zu weiteren | |
| Hinrichtungen. Einige Beschuldigte verstarben in der Haft oder begingen | |
| Suizid. Andere allerdings hatten mehr Glück. Wilhelm Gogalla, der Verwalter | |
| des Gestapo-Hausgefängnisses, wurde 1948 von einer Spruchkammer als | |
| „Mitläufer“ eingestuft. | |
| 29 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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