# taz.de -- Klaus von Dohnanyi über seinen Vater: „Nicht naiv, aber mutig!“ | |
> Hans von Dohnanyi war eine zentrale Figur im Widerstand gegen Hitler. | |
> Kürzlich sind seine Privatbriefe aus der Haft erschienen, jetzt wird | |
> daraus öffentlich gelesen. | |
Bild: Zwiegespräch: Klaus von Dohnanyi mit einer Büste seines Vaters Hans. | |
taz: Herr von Dohnanyi, warum haben Sie die Privatbriefe Ihres Vaters | |
veröffentlicht? Schafft das nicht ein falsches Bild dieses | |
Widerstandskämpfers? | |
Klaus von Dohnanyi: Das bleibt ein Problem für mich. Denn er konnte ja aus | |
dem Gefängnis und dem KZ nur Privates, nichts Politisches schreiben. Mich | |
haben aber viele, die die Briefe kannten, gedrängt: Diese Dokumente seien | |
wichtig und zeigten die andere Seite des Widerstandes. Einen Menschen, der | |
warmherzig und zugleich Täter, sogar potenzieller Tyrannenmörder war. Dies | |
hat für mich den Ausschlag gegeben. | |
Die Nazis hielten Ihren Vater für den Kopf der Vorbereitungen zum | |
Stauffenberg-Attentat auf Hitler am 20. 7. 1944. Aber da war Dohnanyi | |
bereits in Haft. Wie gefährlich war er für das Regime? | |
Zentral gefährlich. Er gehörte zu denjenigen, die schon 1938 versuchten, | |
einen Putsch zu organisieren. Und seit 1933 war er ja dabei, die | |
Rechtsbrüche der Nazis systematisch zu dokumentieren. 1943 hat er dann eine | |
Bombe nach Smolensk geflogen, die an Bord eines Flugzeugs mit Hitler | |
explodieren sollte. Leider wurde sie im eiskalten Gepäckraum von Hitlers | |
Flugzeug untergebracht und explodierte nicht. | |
War er eher Motivator oder Handelnder im Widerstand? | |
Organisator und Handelnder. Historiker sind sich einig, dass die Verhaftung | |
meines Vaters und die damit verbundene Kaltstellung des Mitverschwörers | |
Hans Oster der zentrale Schlag gegen die Widerstandsbewegung war. Nur das | |
Militär konnte Hitler noch stürzen. Die Gewerkschaften hatten 1933 versagt, | |
keinen Generalstreik ausgerufen und wurden dann sofort gleichgeschaltet. Es | |
gab es nur noch den militärischen Weg gegen das terroristische Nazi-Regime. | |
Im April 1943 schrieb er an seine Frau: „Ich hätte mir lieber die Finger | |
abhauen lassen, als Anlass deiner Verhaftung zu sein.“ Hätte er diese – zum | |
Glück nur kurze – Sippenhaft nicht voraussehen können? | |
Sicher. Meine Eltern wussten beide, was aktiver Widerstand bis hin zum | |
Staatsstreich bedeutet. Aber einen anderen Weg zur Vermeidung des Holocaust | |
gab es doch nicht! | |
Immer wieder erwähnt Ihr Vater die Bibel. Glaubte er, Hitler im Auftrag | |
Gottes töten zu müssen? | |
Nein. Allerdings hat er Dietrich Bonhoeffer, den Bruder meiner Mutter, sehr | |
ausgiebig befragt: Darf man als Christ einen Menschen ermorden? Bonhoeffer | |
hat ja gesagt. Aber mein Vater hätte es auch versucht, wenn Bonhoeffer nein | |
gesagt hätte. | |
Trotzdem kann man fragen, ob er nicht naiv war, sich mit diesem Regime | |
anzulegen. | |
Da kann ich ja nur lachen! Was heißt denn naiv! Sind Sie als Widerständler | |
naiv? Sie können so ein Regime doch nur militärisch beseitigen, und da muss | |
man schon wissen, was man tut. Nein, er war nicht naiv, aber mutig! | |
Privat hat Ihr Vater 1942 jüdischen Freunden zur Flucht in die Schweiz | |
verholfen. | |
Ja, das war das „Unternehmen Sieben“, für das er in der Jerusalemer | |
Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt | |
wird. Er sah keine Alternative: Man konnte seine Freunde doch nicht dem | |
Holocaust ausliefern! Er hat dann Geld, das in der Schweiz für die Abwehr | |
deponiert war, für die Flüchtlinge hinterlegt, damit man – so war das | |
leider damals dort und auch in den USA üblich – die Geflüchteten überhaupt | |
aufnahm. So hat er 15 Menschen, als Agenten der Abwehr getarnt, in die | |
Schweiz gebracht. | |
Wie viel haben Sie als Jugendlicher davon mitbekommen? | |
Von der Aktion selbst habe ich nichts mitbekommen. Aber ich erinnere mich, | |
dass die Anwälte Julius Fliess und Fritz Arnold noch Anfang der | |
1940er-Jahre gelegentlich Kontakt zu meinem Vater hatten. 1933 oder 1934, | |
da war ich noch klein, wohnte plötzlich ein jüdisches Mädchen bei uns und | |
schlief in unserem Kinderzimmer, war Bettnässerin. Wir Geschwister fanden | |
das schrecklich. Meine Mutter hat gesagt: Die Eltern reisen nach Norwegen, | |
das Mädchen können sie jetzt nicht mitnehmen, also sorgen wir für sie. | |
Natürlich hat sie nicht gesagt, dass es ein jüdisches Kind war, wir sollten | |
es nicht versehentlich ausplaudern. | |
Haben Sie trotzdem nie damit gehadert, dass Ihr Vater auch seine Familie | |
gefährdete? | |
Nein. Mein Vater hat ja versucht, seine Familie zu schützen, indem er uns | |
Kinder nicht einweihte. Wir wussten zwar, dass wir nicht für die Nazis | |
waren, aber von Details hatten wir keine Ahnung. Nur – als 1940 die | |
Deutschen in Paris einmarschierten, habe ich zufällig etwas gehört, das | |
mich zutiefst geschockt hat. Denn als Elf-, Zwölfjähriger war ich in dem | |
Augenblick doch eher stolz. Und da höre ich meinen Vater sagen: „Das ist | |
das Ende Deutschlands – Finis Germaniae!“ | |
Am 9. April 1945 haben die Nazis Ihren schwer kranken Vater im KZ | |
Sachsenhausen ermordet. Erinnern Sie sich an die letzte Begegnung? | |
Die letzte Begegnung, bei der wir uns wirklich unterhalten konnten, fand | |
1944 im Potsdamer Reservelazarett statt. | |
Wie verlief dieses Treffen? | |
Darüber möchte ich nicht sprechen. Er war ja teilweise gelähmt. | |
Aufgeflogen ist Ihr Vater durch einen illoyalen Mitverschwörer. Hegen Sie | |
Groll gegen ihn, die Nazi-Schergen oder deren milde Bestrafung nach dem | |
Krieg? | |
Als es 2002 zum 100. Geburtstag meines Vaters eine große Veranstaltung des | |
Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe gab, habe | |
ich dem Präsidenten geschrieben, ich würde nur kommen, wenn sich die | |
deutsche Justiz für die milden Urteile gegen die SS-Mörder meines Vaters | |
entschuldigen würde. Daraufhin hat Präsident Hirsch in einer | |
bemerkenswerten Rede gesagt, das Gericht schäme sich für das damalige milde | |
Urteil gegen Walter Huppenkothen, Abteilungsleiter im | |
Reichssicherheitshauptamt, der in einem Scheinprozess als Ankläger meines | |
Vaters fungierte. Der Bundesgerichtshof hatte Huppenkothen 1956 vom Vorwurf | |
der unrechtmäßigen Tötung von Dohnanyis freigesprochen, weil er nach damals | |
geltendem Recht gehandelt habe. Diese Entschuldigung bleibt. | |
Sie haben auch den Raum im KZ Sachsenhausen besichtigt, in dem der | |
Scheinprozess gegen Ihren Vater stattfand. | |
Ja. Das war furchtbar – auch, weil das so ein deutsches Zimmer ist: eine | |
Art Wohnzimmer mit geschnitzten Jahrhundertwende-Eichenmöbeln aus einer | |
falschen Zeit. Ein Ort, der allen Schrecken aufgesogen hat. | |
Die Hamburger Lesung fällt genau auf den 51. Todestag Ihrer Mutter. Fällt | |
es Ihnen leicht, an diesem Termin aus den Briefen zu lesen? | |
Ich lese nicht selbst. Schon die Redaktion des Buchs ist mir sehr | |
schwergefallen. Lesen würde ich nicht können, da würde mir irgendwann die | |
Stimme versagen. | |
Gibt es eigentlich einen Gedenk-Ort für Ihren Vater? | |
Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin existiert eine Gedenkplatte | |
für einige Mitverschwörer, die die Nazis am 22. 4. 1945 in der Nähe des | |
Gefängnisses Lehrter Straße erschossen haben und die dort beerdigt sind. | |
Auf dieser Platte stehen auch die Namen meines Vaters und von Dietrich | |
Bonhoeffer, für die es ja kein Grab gibt. | |
2 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
NS-Widerstand | |
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