# taz.de -- Die Lobbyistin des Binnen-I: „Ich wusste kein Wort dafür“ | |
> Luise F. Pusch ist die feministische Sprachwissenschaftlerin der ersten | |
> Stunde. Ein Gespräch über ihr spätes Coming-out und die Vorzüge des | |
> Genderns. | |
Bild: „Ich musste mich aus der Nichtsagbarkeit herausarbeiten“, sagt Luise … | |
Wir treffen uns zum Lunch in einem Restaurant am Hauptbahnhof von Hannover, | |
in der Luisenstraße. Luise F. Pusch lebt seit Langem in der | |
niedersächsischen Landeshauptstadt, zweimal im Jahr hält sie sich für zwei | |
Monate bei ihrer Frau Joey Horsley in Boston, USA, auf – und umgekehrt. Die | |
Sprachwissenschaftlerin ist eine Legende, nicht nur in ihrem Fach: Durch | |
ihre Impulse begann hierzulande die deutsche Sprache flüssiger zu werden, | |
feministisch orientiert. Nun hat sie ihre Erinnerungen an ihre ersten | |
Lebensjahre veröffentlicht: [1][„Gegen das Schweigen. Meine etwas andere | |
Kindheit und Jugend“]. | |
wochentaz: Frau Pusch, erfolgreicher als Ihre ersten feministischen | |
Sprachinterventionen in den frühen achtziger Jahren war ein Buch, das | |
zornig und liebend zugleich die Geschichte von „Sonja“ erzählt. Warum haben | |
Sie es [2][unter dem Pseudonym „Judith Offenbach“] veröffentlicht? | |
Luise F. Pusch: Es ging nicht anders, ich hätte sonst meine | |
wissenschaftliche Karriere in den Sand gesetzt. Aber ich wollte das Buch | |
schreiben, eine, meine Liebeserklärung an meine 1976 durch Suizid | |
umgekommene Partnerin. Ich wollte ihr „ein Denkmal setzen“, wie ich damals | |
schrieb. Vielleicht auch ein Mahnmal. Ich führte ihren Tod auch auf die | |
unmenschlichen Bedingungen zurück, unter denen Lesben damals leben mussten. | |
Ich bekam „Sonja. Eine Melancholie für Fortgeschrittene“ 1981 empfohlen und | |
las es mit jeder Seite ergriffener. Es war ja auch eine Geschichte [3][über | |
das Leben eines homosexuellen Paares], das am Schweigen über das Lesbische | |
beinahe zerbricht. Aus schwuler Perspektive war ich fast ein bisschen | |
neidisch: Solch ein Buch gab es mit zwei Männern als Hauptfiguren nicht. | |
Danke, dass Sie das sagen. Öffentliche Liebeserklärungen an mich als | |
Autorin dieses Buches habe ich ja erst in jüngerer Zeit bekommen, das ist | |
für mich natürlich überwältigend. Eine späte Anerkennung, umso mehr hat sie | |
mich gefreut. | |
Als Ihr Buch damals erschien, fiel auf, dass die Literaturkritik einen | |
großen Bogen darum machte. Sie hätte darin ebenso gut ein Memoir erkennen | |
können, so wie die Feuilletons es Jahrzehnte später in Édouard Louis’, | |
Annie Ernaux’ und Didier Eribons Veröffentlichungen erkannten und diese | |
hymnisch feierten. | |
Vielleicht galt „Sonja“ nicht so viel, weil es „nur“ ein Taschenbuch wa… | |
Noch dazu feministisch inspiriert und „nur“ über Lesben? Die | |
Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel kritisierte den Text als quasi | |
unsäglich. Es hat mich zwar enttäuscht, aber es war auch okay, denn | |
immerhin lasen mein Buch ja die richtigen Leute. Die würdigten es | |
allerdings nicht literarisch, sondern nahmen es als Lebenshilfe. | |
Wir fühlten uns gesehen. | |
Viele Leserinnen schrieben mir über den Verlag, sie hätten sich in mich | |
verliebt und wollten mich jetzt kennenlernen. Manche waren in ihrem | |
Versteck emotional so ausgehungert, dass sie dachten, sie hätten einen | |
Anspruch auf mich. Eine fuhr sogar bis nach Hannover, sie hatte meine | |
Telefonnummer herausbekommen, rief mich an und sagte, nun wolle sie mich | |
besuchen. Ich sagte, nein, ich will keinen Besuch, und sie verstand die | |
Welt nicht mehr. Aber ich musste mich vor diesen Ansprüchen schützen. | |
Ansonsten war es mir recht, wenn „Sonja“ als Überlebenshilfe verstanden | |
wurde. Das Buch hatte nicht den Anspruch auf künstlerische Qualität … | |
… und hatte sie immens, falls ich mir die Bemerkung erlauben darf … | |
Ich schrieb mein Buch im selben Stil, wie ich Briefe an Freundinnen | |
schrieb, es sollte ja gut lesbar sein, verständlich, direkt, authentisch. | |
Kein literarisches Auftrumpfen: „Seht her, wie schön ich schreiben kann!“ | |
Woher nahmen Sie die Kraft, ein Memoir zu schreiben, das ebenso gut andere | |
lesbische Frauen in Ihrer bildungsbürgerlichen Sphäre hätten schreiben | |
können – aber kniffen? | |
In der ersten Zeit der Trauer nach Sonjas Tod, im März 1976, ging gar | |
nichts. Ich war buchstäblich fertig. Aber ich war schon seit Herbst 1975 | |
wieder in Psychoanalyse, mein Analytiker hat mich ermutigt, dieses Buch | |
über die Zeit mit Sonja zu schreiben. Ihm las ich die ersten Passagen vor, | |
dann die nächsten, das war, als lieferte ich Hausaufgaben ab. Und das war | |
gut. Er regte auch an, dass ich in Zürich eine Lesbengruppe besuche, und | |
dort las ich Ausschnitte vor. Ich wollte etwas dafür tun, dass das nicht | |
wieder vorkommt, so ein Selbstmord wie bei Sonja. Die Gesellschaft war da | |
an uns schuldig geworden, das verdiente, aufgeschrieben zu werden. | |
Sie suchten psychoanalytische Hilfe? | |
Ja, ich hatte damals keine Wahl. Ich dachte, das, was mit mir ist, das ist | |
nicht in Ordnung, das sollte weg. | |
Dabei ist es womöglich das Beste an Ihnen: Ihre Art zu lieben, Frauen eben, | |
was doch völlig normal ist. | |
Aber doch nicht damals! Ich suchte psychologische Hilfe, um mich umpolen zu | |
lassen. Das ist ein erschreckendes Wort, aber ich konnte diesen Druck nicht | |
mehr aushalten, dieses Anderssein, das nicht erkannt und gezeigt werden | |
durfte. Der Analytiker winkte natürlich sofort ab, er gab mir stattdessen | |
Alice Schwarzer und Kate Millett zu lesen, das war der Anfang meiner | |
Heilung. Die Erkenntnis, dass ich normal bin, musste ich mir mühsam | |
erarbeiten. | |
Vier Jahrzehnte nach Ihrer Veröffentlichung von „Sonja“ erfahren wir von | |
Ihnen nun etwas über die Dinge, die Sie davor erlebt haben. In „Gegen das | |
Schweigen“ schildern Sie Ihre ergreifenden, beklemmend allgemeingültigen, | |
manchmal kuriosen, aber auch sehr lustigen Erinnerungen an Ihre Kinder- und | |
Jugendjahre. Wie kommt es, dass Sie nach so langer Zeit noch einmal ein | |
literarisches Buchprojekt gestartet haben? | |
In der Coronazeit saß ich ja in Hannover fest. 18 Monate konnten meine | |
Partnerin, die inzwischen meine Frau ist, und ich uns wegen der | |
Reisebeschränkungen nicht sehen. Es war die Zeit der Lockdowns – und ich | |
fühlte mich im Gegensatz zu vielen anderen Menschen so alleine nicht | |
einsam. Ich war es ja gewohnt, ich war trainiert seit frühesten Kinder- und | |
Jugendtagen, die Gesellschaft als Feind zu sehen und mit mir allein | |
klarkommen zu müssen und auch zu können. | |
Über das Innerste nicht sprechen zu dürfen, keinen normalen Austausch zu | |
haben, das übt in der Kunst, allein sein zu können. Die Coronazeit | |
erinnerte mich also intensiv an den „lesbischen Lockdown“ meiner Jugend. | |
Und so entschloss ich mich schließlich dazu, dieses Buch zu schreiben. | |
„Sonja“ ist ja vor allem in homosexuellen Kreisen breit rezipiert worden. | |
Glauben Sie, dass Sie mit Ihrem neuen Buch die breite Masse erreichen | |
werden? | |
Falls Heterosexuelle fragen, was geht mich das an, antworte ich: Es ist | |
auch für euch geschrieben, denn die meisten von euch wollen ja Eltern | |
werden, und ihr habt eine zehnprozentige Chance, dass eure Tochter lesbisch | |
oder euer Sohn schwul wird. Ich erzähle euch, wie es damals war – damit ihr | |
dafür sorgt, dass eure Kinder nicht dasselbe durchmachen müssen wie ich. | |
Denn die Homophobie ist mit der 2018 eingeführten Ehe für alle ja nicht | |
verschwunden. | |
„Gegen das Schweigen“ endet kurz vor den aufrührerischen Jahren, die wir | |
historisch als „Achtundsechziger“ verstehen. Diese Studentenbewegung fand | |
für Sie offenbar nicht statt. | |
Nein, sie ging an mir vorbei. Sonja und ich waren mit anderen Sachen | |
beschäftigt. Sie saß im Rollstuhl, wir wollten raus aus dem | |
Studentenwohnheim und mussten in Hamburg überhaupt erst mal eine Wohnung | |
finden für uns. Als lesbisches Paar waren wir zwar nicht sichtbar, man | |
hielt uns, arglos, ließe sich sagen, für eine behinderte Frau mit ihrer | |
Betreuerin. Aber die sogenannte Barrierefreiheit gab es nicht einmal als | |
Konzept. Wenn eine Wohnung für uns erschwinglich war, gab es meist keinen | |
Fahrstuhl. Die Suche nach einem Zuhause für uns war quälend und dauerte | |
über ein Jahr. Kurzum: Wir hatten 1968 wirklich andere Sorgen. | |
In Ihren aufgeschriebenen Erinnerungen an Ihre Jugend schildern Sie sehr | |
nahbar Ihre glühende Liebe zu Charlotte, die vermutlich in Wahrheit nicht | |
so heißt. | |
Nein, so heißt sie nicht. Aber ja, sie ist die zentrale Figur in meinem | |
Buch. Ich war eng mit ihr befreundet und oft in ihrer Familie eingeladen. | |
Sie war sehr intelligent und, wie ich, anders als die anderen und | |
faszinierte mich schon deswegen. Aber kurz nachdem wir uns angefreundet | |
hatten, befiel mich eine Art Besessenheit, die ich vorher nicht gekannt | |
hatte. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als an Charlotte. Das war | |
etwas anderes als Schwärmerei, etwas ganz anderes. Ich wusste kein Wort | |
dafür, ich konnte mich an niemanden wenden. Ich wusste nur, dass ich nicht | |
darüber sprechen durfte, es war, wie man es heute nennen würde, unsagbar. | |
Und Charlotte selbst? | |
Nein, ganz ausgeschlossen, ihr konnte ich davon schon gar nichts erzählen. | |
Ich dachte, ich verlöre sie dann, ich würde aus dem Haus geworfen, meine | |
Reputation wäre hin, mein Standing, alles. Dieser quälende Zustand hielt | |
sieben Jahre an. | |
Die Situation war, wie Rosa von Praunheim aus schwuler Perspektive damals | |
seinen berühmten Film betitelte, skandalös: „Nicht der Homosexuelle ist | |
pervers, sondern die Situation, in der er lebt.“ Es war durch die | |
schweigende Übereinkunft der Mehrheitsgesellschaft verboten – Sie durften | |
nicht sie selbst sein. | |
Um Rosa von Praunheim zu ergänzen: „Nicht die Homosexuelle ist pervers …“ | |
Ich musste mich finden, aber das kam erst Ende der siebziger Jahre, dieser | |
Prozess des Umdenkens. Ich durfte allmählich wütend werden und mich | |
emanzipieren. Das klingt möglicherweise etwas pathetisch, aber ja, ich | |
musste mich aus dem Elend der Nichtsagbarkeit herausarbeiten zu einem | |
lesbischen Selbstbewusstsein. | |
[4][Eine wichtige Rolle für die Begründung der Lesbenbewegung in jenen | |
Jahren] war der diskriminierende Umgang mit den beiden Angeklagten Marion | |
Ihns und Judy Andersen, die zusammen waren und den Mann von Ihns umgebracht | |
hatten. | |
Das war 1973/74, etwa drei Jahre vor Sonjas Tod und meinem allmählichen, | |
sehr vorsichtigen Coming-out. Wir beide verstanden den Prozess nicht als | |
Anlass zu feministischem Protest und Widerstand, sondern in erster Linie | |
wieder als Warnung: Das passiert mit Lesben, wenn es herauskommt. Sie | |
werden von der Presse erbarmungslos verteufelt und in der Luft zerrissen! | |
Sie waren in jener Zeit sowohl promoviert als auch schon habilitiert als | |
Anglistin, Sprachwissenschaftlerin. Ahnten Sie, als Sie die feministische | |
Sprachkritik aus den USA zur Kenntnis nahmen, dass Sie die Welt der | |
deutschsprachigen Grammatik und ihrer angeblich „unverrückbaren“ | |
Schreibweisen in den kommenden Jahrzehnten auf den Kopf stellen würden? | |
Jein. Ich war Wissenschaftlerin, ich hatte das erreicht, was ich mir in | |
meiner Schulzeit fantasiert hatte. Heisenberg-Stipendiatin war ich auch, | |
und gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Ich war in meinem | |
Fach gut. Mein Selbstbewusstsein war ausreichend, mich zu fragen: Müsste | |
nicht auch die deutsche Sprache, Grammatik wie Wortschatz, einer | |
feministischen Kritik unterzogen werden? | |
So wurden Sie Erfinderin des Binnen-I. Die taz war in den frühen achtziger | |
Jahren die erste Zeitung, die es in ihrer Publizistik nutzte. Dürfen wir | |
stolz sein, diesem avantgardistischen Schritt gefolgt zu sein? | |
Ja, können Sie. Allerdings habe nicht ich das Binnen-I erfunden, sondern | |
ein Schweizer Journalist namens Christoph Busch. Aber ich habe es als | |
kreative Lösung im gesamten deutschsprachigen Raum propagiert. Bis heute | |
finde ich das Beharren von LinguistInnen nicht einleuchtend, warum das | |
Deutsche sich auf das generische Maskulinum beschränken sollte. Dafür gibt | |
es sprachwissenschaftlich keinen vernünftigen Grund außer dem, dass Frauen | |
unsichtbar bleiben sollen. Für diesen Zweck ist das generische Maskulinum | |
unübertroffen. | |
Fiel man Ihnen in Ihrer universitären Szene vor Liebe und Respekt um den | |
Hals, als Sie in ersten Aufsätzen feministische Sprachkritik übten? | |
Feine Frage, danke. Nein, im Gegenteil. | |
Sie ernteten Hass, bis in die jüngere Zeit, so ist es in Archiven | |
erschütternd deutlich nachzulesen. | |
Ja, offene Ablehnung und subtilere Varianten der schroffen Ablehnung, das | |
alles gab es. Und natürlich auch Zustimmung, vor allem aus der | |
Frauenbewegung, aus dem Feminismus. | |
Dass Sie nie einen Job als Professorin bekamen, lag das auch an diesen | |
konservativen Fronten? | |
Woran sonst? Die sprachwissenschaftlichen Fachbereiche waren nicht nur | |
männlich dominiert, vielmehr gab es damals so gut wie keine Frauen, schon | |
gar nicht solche wie mich. Man wollte offenkundig auf keinen Fall eine | |
Luise F. Pusch, die auch noch StudentInnen ausbildet, die in der Zukunft | |
wiederum Einfluss haben würden. | |
Es kam anders – Sie hatten und haben ja massiven Einfluss, publizistisch | |
beispielsweise. | |
Ich hatte Vertretungsstellen an Universitäten, ja, ich war in Konstanz | |
lange wissenschaftliche Mitarbeiterin, und fast wäre ich noch mit einem | |
Lehrstuhl in Bielefeld belohnt worden, aber das konnten die Bielefelder | |
Kollegen zusammen mit dem damaligen Wissenschaftsminister Rolf Krumsiek | |
trotz studentischer Proteste in ganz Deutschland gerade noch verhindern. | |
Aber ich hatte trotzdem genug zu tun – viele Jahre den „Frauenkalender“ | |
herausgegeben, Aufsätze und Bücher verfassen, pausenlos Vorträge halten. | |
Die Geschichte feministischer Sprachkritik hörte weder mit Ihrem Binnen-I | |
auf noch endete sie mit Ihrer massiven Intervention, dass auch alles mit | |
einem generischen Femininum geschrieben sein könnte – dass also auch Männer | |
mit „Professorin“ gemeint sein könnten. | |
Nein, Sprache ist ja immer im Wandel, es hängt an den Sprechpraxen, wie | |
sich welches Neue durchsetzt. | |
Jetzt alles mit Sternchen * und Gender-Gap _ beziehungsweise Glottisschlag? | |
Ich plädiere erst einmal dafür, dass nichts wie bei einem Diktat | |
vorgeschrieben wird. Sprache entwickelt sich, wie die deutsche Sprache seit | |
Jahrhunderten auch. Der Knacklaut, der ja für das Deutsche typisch ist, den | |
wir allerdings inzwischen im Fernsehen und Radio an ungewohnten Stellen | |
hören, also dieser Glottisschlag: Warum nicht? Den habe übrigens ich in den | |
1980er Jahren „erfunden“ beziehungsweise vorgeschlagen, allerdings damals | |
als lautliche Entsprechung des Binnen-I. Wenn der sich durchsetzt, wird es | |
so sein. Mit dem Sternchen und bestimmten anderen Schreibweisen hadere ich | |
manchmal. | |
In Ihren Erinnerungen „Gegen das Schweigen“ wird das Sternchen nach einem | |
Substantiv verwendet, also Leserinnen*. So wäre es richtig? | |
Sieht fast aus wie ein generisches Femininum, nicht wahr? Eigentlich bin | |
ich für eine Fusion aus Binnen-I und Genderstern, aber das lassen wir jetzt | |
mal. Wichtig ist mir, dass das Sternchen nicht als Platzhalter | |
interpretiert wird, wie beispielsweise in „Leser*innen“. Denn damit stünde | |
das Maskulinum, hier „Leser“, für die Männer, das Sternchen für die | |
Diversen, und danach die Endung „innen“ für uns Frauen. Das ist nicht | |
einleuchtend, sondern kränkend. | |
Das Sternchen sollte als Metasymbol verstanden werden, ähnlich wie | |
Anführungsstriche. Die besagen „Dies ist ein Zitat“ oder „Dieses Wort ist | |
ironisch gemeint“. So sollte das Sternchen gelesen werden als „Dieses | |
Femininum steht für beide Geschlechter sowie Diverse“. | |
[5][Mit dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz] der Regierung soll es bald | |
möglich sein, vor dem Einwohnermeldeamt sein oder ihr Geburtsgeschlecht in | |
das empfundene eigentliche Geschlecht ändern zu lassen. Sie befürworten | |
das? | |
Nein – das geplante Gesetz ist nicht genügend durchdacht und lädt zum | |
Missbrauch ein. Diese Erkenntnis setzt sich international immer mehr durch, | |
ausgehend von Großbritannien, wo das Selbstbestimmungsgesetz ohne | |
sorgfältige Rechtsfolgenabschätzung zu einer Regierungskrise in Schottland | |
geführt hat. Ein rechtskräftig verurteilter Vergewaltiger hatte sich zur | |
Frau erklärt, um in ein Frauengefängnis zu kommen. Das hat die Gesellschaft | |
einfach nicht mehr hingenommen, und die schottische Regierungschefin Nicola | |
Sturgeon musste abdanken. Frauen haben ein Recht auf Schutzräume vor | |
Männergewalt, sei es in einem Gefängnis, auf einer Krankenstation, in einem | |
Frauenhaus oder in einer Sauna. | |
Sie werden sich für diese Aussage mit großer Sicherheit massive Kritik | |
einhandeln. | |
Ich kenne den Zustand, kritisiert zu werden, ich bin das gewohnt – und | |
berufe mich auf meine Urteilsfähigkeit. Dass ich die feministischen | |
Errungenschaften in Gefahr sehe, ist doch nicht per se kritikwürdig. Ich | |
stand vor 44 Jahren mit meinem Urteil über die deutsche Männersprache auch | |
ziemlich allein da und wurde als „männerfeindlich“ beschimpft, weil ich | |
mich für Frauen einsetzte – inzwischen konnte ich bei dem Thema viele | |
überzeugen. Und meine Kritik am geplanten Selbstbestimmungsgesetz teilen | |
ganz viele. Neuerdings werde ich als „transfeindlich“ beschimpft, weil ich | |
mich für Frauenrechte einsetze. Die eine wie die andere Diffamierung ist | |
haltlos und hat nicht funktioniert oder wird nicht funktionieren. | |
Wenn Sie heute versuchen, aus der Perspektive des Mädchens, das Sie mal | |
waren, anzuschauen, was Ihnen in Ihrem Leben gelang: Wie empfinden Sie das? | |
Ich bin meinen Weg nicht allein gegangen. Als die Frauenbewegung immer | |
vernehmlicher wurde, sichtbarer, hörbarer, auf allen Ebenen, hatte ich zum | |
ersten Mal Hoffnung. Als ich jünger war, Kind und dann Jugendliche, hatte | |
ich das Gefühl, das wird nie besser: Lebenslänglich im Versteck! Die | |
Aussicht war grauenvoll, so ein Leben ist nicht lebbar. | |
Sie sind glücklich in Ihrer Liebe zu Ihrer Frau, Sie schreiben, dass Sie | |
Ihre Geschwister immer an Ihrer Seite wussten – knapp gefragt: Sind Sie im | |
Blick auf Ihr Leben mit sich selbst zufrieden? | |
Ja. | |
17 Apr 2023 | |
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