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# taz.de -- Debatte Geschlechtergerechte Sprache: Eine für alle
> Auch der Genderstern macht die deutsche Sprache nicht
> geschlechtergerecht, meint die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch.
> Wie ginge es besser?
Bild: Feministinnen begannen ab Anfang der 1980er-Jahre, die Sprache gründlich…
Normalerweise interessieren sich die Medien für feministische Sprachkritik
höchstens im Sommerloch. Aber seit gut einem Jahr ist das Thema ein
Dauerbrenner.
Da war zuerst Marlies Krämers Klage vor dem Bundesgerichtshof gegen ihre
Sparkasse, die sich weigerte, sie als „Kundin“ anzusprechen. [1][Der BGH
entschied, das sei so in Ordnung], denn das Maskulinum „Kunde“ schließe sie
als Kundin ein, und deshalb hat Marlies Krämer jetzt beim
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Beschwerde eingereicht.
Als Nächstes kam im vergangenen Dezember die Entscheidung des Deutschen
Bundestags, ein Jahr zuvor vom BVerfG gefordert, dass im
Personenstandsregister eine dritte Geschlechtsoption – „divers“ –
eingetragen werden könne.
Nur drei Geschlechter? Auf Facebook können wir derzeit aus einer Liste von
60 Geschlechtern auswählen, die mit Hilfe das Deutschen Lesben- und
Schwulenverbands (DLSV) zusammengestellt wurden: Agender, androgyn,
neutrois, genderfluid, bigender, polygender, pangender, genderqueer,
nicht-binär, trans* et cetera.
Die Nachricht „plötzlich 60 Geschlechter“ schockierte die Deutschen, aber
das recht willkürlich wirkende Facebook-Geschlechter-Sammelsurium ist noch
ein wenig aufgebläht. In Wirklichkeit sind es keineswegs 60 Geschlechter,
denn viele Bezeichnungen bedeuten mehr oder weniger dasselbe, etwa
„Inter*Mensch, intergender, intergeschlechtlich, zweigeschlechtlich,
Zwitter, Hermaphrodit“.Das alte „intersexuell“ fehlt hingegen.
Dazu sagte LSVD-Verbandssprecher Axel Hochrein, es gebe momentan noch keine
allgemein verbindlichen Bezeichnungen. Die vielen Varianten für ein und
dasselbe würden aufgeführt, „damit die Vielfalt im Selbstgefühl zum
Ausdruck kommen kann“.
## Erstaunlicher Eifer
Also erst mal Entwarnung: Alles ganz unverbindlich. Verbindlich ist derzeit
nur der dritte Eintrag „divers“. Aber in den Amtsstuben hat die
Divers-Entscheidung Ratlosigkeit bis Unruhe hervorgerufen. Eine Berliner
Gleichstellungsbehörde bat den deutschen Rechtschreibrat um Auskunft, ob
der Genderstern nun verbindlich sei, damit das dritte Geschlecht nicht
diskriminiert würde.
Jüngste Aufregerin: Die Stadt Hannover mit ihrer amtlichen Empfehlung des
Gendersterns. „Eine geschlechtsumfassende Ansprache ist nicht immer
möglich. In diesen Fällen gilt es den Genderstern zu nutzen. Der
Genderstern, dargestellt durch ein Sternchen* zwischen der maskulinen und
femininen Endung, dient als sprachliches Darstellungsmittel aller sozialen
Geschlechter und Geschlechtsidentitäten.“
Das Allerletzte: [2][Der Aufruf „Schluss mit dem Gender-Unfug!“] des
„Vereins Deutsche Sprache“.
Es ist schon erstaunlich, mit welchem Eifer die alte Sprache nun
nicht-binären Personen angepasst werden soll, während gleichzeitig die
alten männersprachlichen Absurditäten weiterhin für Marlies Krämer und alle
anderen Frauen, das heißt für die Mehrheit der Bevölkerung, gültig bleiben:
Die Endung „innen“ ist auch beim Genderstern als nebensächliche Form
angehängt, während das Maskulinum die Hauptform bleibt.
## Diskriminierende Endung
Da wir alle unsere Muttersprache mehr oder weniger gut beherrschen, nehmen
die meisten von uns auch an, dass wir von Sprache etwas verstehen. Das ist
allerdings meist nicht der Fall. Menschen, die aufrecht stehen können,
verstehen deshalb noch lange nichts von Statik und sollten, bevor sie ein
Haus bauen, besser eine Statikerin zu Rate ziehen.
Als ich vor fast 40 Jahren daran ging, Vorschläge für eine gerechtere
deutsche Grammatik zu machen, hatte ich mich 18 Jahre lang mit
Sprachwissenschaft befasst und war promoviert und habilitiert in dem Fach.
Zur Überraschung meiner Zunft (damals zu 90 Prozent männlich), die sich
damit beschäftigt, Sprache zu beschreiben, versuchte ich, sie zu
verbessern, was in der Linguistik verpönt war und ist.
Ich konnte zeigen, dass die deutsche Sprache gerechter sein würde, wenn wir
die diskriminierende Endung -in abschaffen und zum Ausdruck von
Geschlechtsneutralität das Neutrum aktivieren. Immerhin sind wir Deutschen
– anders als die romanischen Sprachen – im glücklichen Besitz eines Genus
Neutrum. Wir benutzen es allerdings fast nie, um Geschlechtsneutralität
auszudrücken, außer wenn wir sagen „das Neugeborene“.
Von die, der oder das Neugeborene zu die, der oder das Vorgesetzte scheint
es kein großer Schritt. Denkt die Linguist, die sich auf das Sprachsystem
konzentriert. Aber sie muss auch die Gefühle der Sprachgemeinschaft
berücksichtigen. Diese besitzt ein gewaltiges Beharrungsvermögen und möchte
am liebsten, dass alles so bleibt, wie es ist. Außerdem findet sie, dass
„das Vorgesetzte“ oder „das Apotheker“ respektlos klingt und an Tiere u…
Gegenstände denken lässt.
## Kompromiss aushandeln
Und die Feministinnen, die ja die Sprachreform angestoßen haben, lehnen es
kategorisch ab, die Endung -in abzuschaffen, jetzt, nachdem es endlich
gelungen ist, Wörter wie Regisseurin, Managerin, Dekanin in der
Männergesellschaft durchzusetzen. Frauen endlich sichtbar machen, ist die
einhellige feministische Devise.
Die Linguist geht reuevoll zurück an den Schreibtisch und kommt mit einem
Zweistufenplan zurück.
Erste Stufe: Das Femininum wird forciert mit allen Mitteln, die erlaubt
sind. Damit die Sprachgemeinschaft sich daran gewöhnt, dass es auch Frauen
gibt.
Zweite Stufe: Wenn die Sprachgemeinschaft herangereift ist und sich an die
Existenz von Frauen gewöhnt hat, setzen sich die Geschlechter (oder ihre
Delegierten) an einen Tisch und handeln, ähnlich wie die Tarifparteien,
einen Kompromiss aus: eine Sprache, die für beide – heute sagen wir besser:
alle – Geschlechter gerecht und bequem ist.
Die Feministinnen begannen also ab Anfang der 1980er Jahre, ihr Programm
umzusetzen und die Sprache gründlich zu entpatrifizieren, zu feminisieren
und dadurch zu humanisieren.
Aus den lästigen Doppelformen entwickelte sich das Binnen-I und schließlich
das generische Femininum als genaues Gegenstück des generischen
Maskulinums. Aus „Unser Betrieb hat 20 Mitarbeiter, 10 davon weiblich“
wurde „Unser Betrieb hat 20 Mitarbeiterinnen, 10 davon männlich“. Von einem
dritten Geschlecht war noch keine Rede.
## Alleinvertretungsanspruch verloren
Frauenbeauftragten gelang es, im gesamten deutschsprachigen Raum zumindest
die Amtssprache zu entpatrifizieren. Zusammenfassend konnten wir um die
Jahrtausendwende feststellen: Das Maskulinum ist nicht mehr das, was es
einmal war. Es hat seinen Alleinvertretungsanspruch verloren.
In den Nullerjahren begann die queere Community, die deutsche Sprache nach
ihren Bedürfnissen umzugestalten. Ein Unterstrich (Hörer_innen) sollte auch
diejenigen Menschen symbolisch sichtbar machen, die sich in das binäre
Geschlechtersystem nicht einordnen können oder wollen. Heute hat sich
anstelle des Unterstrichs der Genderstern durchgesetzt: Hörer*innen.
Der Genderstern zerreißt das Wort in drei Teile: männlicher Stamm –
Genderstern – weibliche Endung. Damit sind wir Frauen wieder da gelandet,
wo wir vor vierzig Jahren angefangen haben. Nur stand damals anstelle des
Sterns ein Schrägstrich oder eine Klammer und symbolisierte, dass Frauen
die zweite Wahl sind.
Das Binnen-I, das sich nicht nur in feministischen Kreisen durchgesetzt
hat, kommt der [3][von mir bevorzugten Lösung, dem generischen Femininum],
optisch noch am nächsten. Um diese wichtige Assoziation nicht zu zerstören
und trotzdem Kompromissbereitschaft zu zeigen, habe ich eine Fusion des
Binnen-Is mit dem Genderstern vorgeschlagen: Am hübschesten wäre ein
kleines i mit Sternchen statt i-Tüpfelchen. Das geben aber unsere
Tastaturen noch nicht her, deshalb benutzen wir stattdessen vorerst ein
Ausrufezeichen: Hörer!nnen.
## Nicht per se unsichtbar, sondern untergeordnet
Abschließend noch eine wichtige Unterscheidung: Die Unsichtbarkeit
derjenigen, die jetzt durch den Genderstern sichtbar gemacht werden sollen,
liegt daran, dass die Sprachgemeinschaft sie lange nicht wahrgenommen hat.
Das ist eine völlig andere Problematik als die sprachliche Unsichtbarkeit
der Frau.
Frauen sind in der Männersprache nicht per se unsichtbar, sondern
untergeordnet und deshalb mal sichtbar, mal unsichtbar. Die Unsichtbarkeit
der Frauen wird durch Regeln dynamisch erzeugt bei Vorhandensein auch nur
eines einzigen Mannes. 99 Sängerinnen und 1 Sänger sind auf Deutsch
zusammen 100 Sänger.
Es sollte klar sein, dass es DAS Ziel der feministischen Sprachkritik ist,
diese Regeln auf allen sprachlichen Ebenen abzuschaffen. Da es für
nicht-binäre Personen keine sie gezielt deklassierenden Sprachregeln gibt,
gibt es da auch nichts abzuschaffen, höchstens etwas hinzuzufügen.
Soll die dritte Option grammatisch im deutschen Sprachsystem sichtbar
gemacht werden, bräuchte es eine weitere Endung und [4][ein neues
Pronomen]. Das Englische hat sich für das schon lange ähnlich genutzte
singular they entschieden. Soll das Gesamtsystem gerecht sein, bräuchte es
überdies eine eigene Endung für das Maskulinum, ähnlich wie es der 2015
verstorbene feministische Sprachforscher Matthias Behlert vorgeschlagen
hat.
Wir hätten dann etwa Freundin (Frau), Freundis (Mann) und Freundil
(divers), Plural Freundinne, Freundisse, Freundille. Wenn das Geschlecht
(welches auch immer) keine Rolle spielen soll, entfällt die Endung.
Beispiel: Fragen Sie Ihre Freund, Arzt oder Apotheker. Wieso Ihre und nicht
Ihren? Weil es in [5][Behlerts entpatrifiziertem Deutsch] nur noch ein
Genus gibt: Das Femininum. Warum? Das klären wir ein andermal.
8 Mar 2019
## LINKS
[1] /Grundsatzurteil-des-Bundesgerichtshofs/!5491047
[2] /Kommentar-Gendergerechte-Sprache/!5578851
[3] https://www.emma.de/artikel/fuehlen-sie-sich-mitgemeint-336301
[4] https://annaheger.wordpress.com/2012/07/25/pronomen-ohne-geschlecht-3-0/
[5] http://pauker.at/VIP/Matti/kate_de/11921
## AUTOREN
Luise F. Pusch
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