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# taz.de -- Linguistin Luise F. Pusch: "Worte sind die Sache selber"
> man oder frau: Luise F. Pusch hat die feministische Linguistik
> mitbegründet. Sie erklärt, wie ihre Analyse der Männersprache Deutsch sie
> die Karriere gekostet hat und wie die Chancen für eine Revolution der
> Zeichen zu mehr Geschlechtergerechtigkeit stehen.
Bild: Bezahlte mit ihrer Karriere für ihren Dickkopf in Sachen Gleichberechtig…
taz: Frau Pusch, warum hat sich das "frau" nicht durchgesetzt?
Luise F. Pusch: Ab wann gilt denn für Sie ein Wort als durchgesetzt?
Das "man" zählt noch zu den meist gebrauchten Worten …
Natürlich hat es das "man" nicht ersetzt. Aber alle kennen das "frau", es
wird gebraucht und seit 2006 stehts im Duden. Das ist doch ein großer
Erfolg.
Empirisch belegt ist: Das von Ihnen definierte Ziel einer
geschlechtergerechten Sprache ist mehrheitsfähig. Aber das Pronomen "frau"
halten fast alle für inakzeptabel.
Das wundert mich nicht: So etwas dauert sonst Jahrhunderte. Und die meisten
sind nun mal konservativ. Die benutzen es nicht - oder mehr so wie ein
Gewürz. Wenn sie etwas pointiert sagen wollen, greifen aber sogar Gegner
von allem Feministischen wie Der Spiegel auf das "frau" zurück.
Vergleichsweise zarte Bandagen. Brachial war ja die Reaktion der Uni auf
Ihre ersten feministisch-linguistischen Aufsätze vor 30 Jahren. Hatten Sie
das erwartet?
Nein. Ich war ja in meinem Fach immer sehr angesehen, habe alle Preise
abgeräumt, …
… von den damals 150 Heisenberg-Stipendiaten wurden 149 auf Lehrstühle
berufen, …
… und ich war eben die eine, die nicht berufen wurde. Ich war darauf gar
nicht gefasst. Das Thema war neu und interessant: Es war grammatische
Forschung mit gesellschaftspolitischer Relevanz. Ich hatte mit Respekt
gerechnet, weil ich die Wissenschaft für innovationsfreudig hielt - und
musste lernen, dass das für feministische Forschung jedenfalls nicht gilt.
Das war für mich eine massive Kränkung und finanzielle Verunsicherung.
Eine bleibende?
Es hat sich zum Guten entwickelt. Aber akademischen Nachwuchs ausbilden
konnte ich nie, genau wie meine Kollegin Senta Trömel-Plötz. Unsere
Studentinnen waren verwiesen an die antifeministischen Linguisten, die uns
rausgeschmissen hatten.
Sie hätten Nachfolgerinnen gehabt?
Mehr als das! Das wäre eine weite und breite Schule geworden - wie in der
Soziologie und in der Literaturwissenschaft. Die Linguistik hat das
abgewürgt.
Was hatte Sie politisiert?
Die Reaktion der Uni hat mich aufgeweckt und radikalisiert. Ich bin
friedfertig. Aber es gibt Ungerechtigkeiten, die mich wütend machen, schon
als Kind: Einmal habe ich gesehen, wie ein dicker Junge ein kleines Mädchen
in die Pfütze gestoßen hat. Da habe ich mich auf ihn gestürzt und ihm zwei
Zähne ausgeschlagen. Hier bin ich Senta Trömel-Plötz beigesprungen. Für
ihren ersten Text über Frauen und Männer in der Sprache wurde sie derart
unsachlich angegriffen, …
… dass Sie dem Rezensenten …?
… dass ich dachte, das darf so nicht stehen bleiben. Ohne Widerspruch hätte
sich vielleicht festgesetzt, dass Senta bekloppt ist und das Thema
verrückt. Also habe ich geantwortet, auch, um den Eindruck zu erwecken: Da
ist nicht nur eine einzelne Verrückte, da muss ein Nest sein.
Aber das gabs noch nicht?
Bis dahin hatte ich mich noch nicht damit befasst. Vieles fand ich sogar
überzogen. Aber als ich mir das Ganze anguckte mit meinen linguistischen
Fach-Augen, stellte ich fest: Es war ja noch viel schlimmer als vermutet.
Deshalb haben Sie Ihren Lebensentwurf vom Modell "sozialer Aufstieg durch
Bildung" umgestellt auf - Märtyrerin?
Nein, Märtyrertum liegt mir nicht. Das hatte eher etwas Protestantisches:
Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Mir wurde damals geraten, meine
widerwärtigen Entgleisungen aufzugeben, und wieder "etwas Vernünftiges" zu
schreiben. Ich war aber überzeugt, dass es das Beste war, was ich jemals
gedacht hatte. Dem wollte ich nicht abschwören - um einer Karriere willen.
Dabei hatte 68 die Uni doch politisiert?
Aber nichts am Verhältnis der Geschlechter geändert. Das Gute an 68 war,
dass sich die Frauen da abgespalten und ihre eigenen Interessen artikuliert
haben.
Sie hatten in Hamburg studiert, das berühmte Muff-Transparent erlebt …
Damals war ich noch nicht politisch. Ich hatte mit meinen
Überlebensproblemen zu kämpfen.
Mit welchen?
Mit denen meiner Partnerin, ihrem Rollstuhl, und denen, die sich aus dem
Lesbisch-Sein in dieser Zeit ergaben. Dass wir das im Versteck leben
mussten - das war derartig abendfüllend, dass ich für Politik keinen Nerv
mehr hatte. Außerdem hatte ich eine schwere Angstneurose: Ich ging täglich
eine Stunde zur Psychoanalyse. Zum großen Teil war das bedingt durch die
Angststrukturen der Männer-Uni. Die waren für eine ängstliche Frau,
Neurotikerin und Lesbe in der damaligen Zeit geradezu tödlich.
Geradezu? Nicht sogar im Wortsinn - für Ihre Freundin?
Bei ihr kam alles zusammen. Weil sie sich den familiären Zwängen nicht
entziehen konnte, hatte sie mit 19 Jahren einen Selbstmordversuch
unternommen, saß danach im Rollstuhl und wollte nur noch sterben, weil das
Leben schwierig war und sie sehr depressiv. In Hamburg waren wir dann
zusammengekommen - und allein gelassen mit so vielen Problemen, von denen
ein Einziges schon die Leute umbringen kann. Trotzdem konnte ich ihren
Wunsch, zu sterben, noch sieben Jahre eindämmen. Aber auch ich wurde immer
mürber unter dem Druck der Gesellschaft. Wahrscheinlich war das mein erster
Radikalisierungsschritt - der Selbstmord meiner Partnerin. Der zweite war
die Reaktion der Uni.
Wie lange haben Sie sich auf Lehrstühle beworben?
Aus existenziellen Gründen noch bis 1986. Vor meinen feministischen
Forschungen und schon vor meiner Habilitation war ich ja bei den
Berufungsverfahren immer auf den vorderen Plätzen gelandet. Aber damit war
es vorbei. Der größte Klops, das war 1983 / 84 in Bielefeld: Dort stand ich
schließlich, nach einer Intervention von Studentinnen und der
literaturwissenschaftlichen Fakultät, auf Platz zwei der Vorschlagsliste.
Und der Wissenschaftsminister Hans Schwier hatte versprochen: Sobald ich
auf egal welchem Listenplatz eine Frau sehe, berufe ich sie - weil er die
Zahlen so beschämend fand. Aber gegen Ende des Verfahrens wurde er durch
Rolf Krumsiek abgelöst. Der fühlte sich ans Wort seines Vorgängers nicht
gebunden. Den Frauen, die in ganz Nordrhein-Westfalen für meine Berufung
demonstrierten, sagte er: Er könne ja nicht den armen Mann auf Platz eins
wegen seines Geschlechts diskriminieren. Danach hatte ich keine Lust mehr.
Und das alles für einen Streit - um Worte?
Natürlich ist es ein Streit um Worte. Wir leben aber doch im Zeitalter der
Information. Und Sprache ist das Mittel der Information. Wie wollen Sie
denn zwischen Worten und Information unterscheiden? Die Worte sind die
Sache selber. Gleiche Erwähnung ist genauso wichtig wie gleiche Bezahlung.
Genauso wichtig? Die Linguistin Gisela Klann-Delius nennt Feminismen wie
das Binnen-I "Beruhigungsmittel" …
Da halte ich es lieber mit Bourdieu, der gesagt hat: Dass sich diese
Männerherrschaft derart hat perpetuieren können, liegt an ihrem
symbolischen Kapital. Das wurde niemals angegriffen. Und es prägt uns. Ein
Beispiel: Die amerikanische Psycho-Linguistin Lera Boroditsky hat spanisch-
und deutschsprachige Leute Assoziationen zu Bildern der Golden Gate Bridge
notieren lassen. Die Deutschsprachigen fanden die Brücke elegant, leicht,
schön - die Spanischsprachigen fest, hart, stabil. Im Spanischen heißt die
Brücke "el puente". Maskulinum. Wenn sich die Menschen selbst die als etwas
Männliches oder Weibliches vorstellen, wie gehen sie dann mit angeblich
neutralen Begriffen wie "Lehrer" oder "Student" um? Selbst Dinge werden
maskulinisiert - und bei Personenbezeichnungen soll das anders sein? Das
ist doch Unsinn!
Also müssten wir Ihren Vorschlag aufgreifen, die Artikel frei und wählbar
zu machen, sprich: "die Professor" zu sagen, "die Kanzler", "die Linguist"?
Kämen wir damit Bourdieus Symbol-Revolution nicht näher als mit dem
Binnen-I?
Natürlich. Das sage ich ja seit 30 Jahren. Aber das wird von vielen als so
unerträglich radikal empfunden, …
… dass es sich nie durchsetzen wird?
Erst einmal muss der politische Wille da sein, die Sprache als krank und
reparaturbedürftig anzuerkennen. Wenn wir im Parlament 52 Prozent Frauen
hätten, wie in der Bevölkerung, könnte ich mir vorstellen, dass diese
Lösung durchgesetzt würde. Um diesen Streit ein für alle Mal vom Tisch zu
bekommen.
19 Apr 2009
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Benno Schirrmeister
## TAGS
Gendergerechte Sprache
Feminismus
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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