# taz.de -- Unesco-Kulturerbe: Das Carbonara-Copyright | |
> Italiens rechte Regierung will die Küche des Landes als immaterielles | |
> Kulturerbe schützen lassen. Ihre völkische Rhetorik ist nur schwer | |
> verdaulich. | |
Bild: Britische Touristin 1949 in Positano mit einem Teller Fadennudeln, deren … | |
Die Spaghetti alla carbonara sind italienische Küche pur: ein grandioses | |
Gericht ganz ohne Schnickschnack, zubereitet mit nur vier Zutaten – | |
Guanciale, dem Speck aus der Schweinewange, römischem Schafskäse, Eiern und | |
Pfeffer. Es waren wohl Rezepte wie dieser Klassiker aus Rom, die jetzt die | |
Regierung unter [1][Ministerpräsidentin Giorgia Meloni] dazu veranlasst | |
haben, bei der Unesco den Antrag einzureichen, die italienische Küche möge | |
zum „immateriellen Weltkulturerbe“ erklärt werden. | |
Gleich zwei Minister, der für Landwirtschaft und Ernährungssouveränität, | |
Francesco Lollobrigida, und der für Kultur, Gennaro Sangiuliano, sind die | |
Unterzeichner des Antrags, in dem es darum geht, „die Idee der Qualität des | |
italienischen Lebens, die aus Kunst, Kultur, Landschaften, aber auch den | |
önogastronomischen Exzellenzen besteht, zu unterstützen“. | |
Schließlich ist da nicht irgendeine Regierung seit nun gut fünf Monaten im | |
Amt, sondern eine Koalition aus Melonis postfaschistischen Fratelli | |
d’Italia (Brüder Italiens, FdI), aus Matteo Salvinis rechtspopulistischer | |
und stramm nationalistischer Lega und aus Silvio Berlusconis Forza | |
Italia. | |
Eine Koalition der „Patrioten“, die von neuer Größe des Landes träumt, a… | |
am Herd, wie Staatssekretär Gianmarco Mazzi aus dem Kulturministerium mit | |
einer großzügigen Berechnung der Bataillone darlegt, die die Regierung in | |
den Kulturerbe-Kampf zu führen gedenkt: „Heute eröffnen wir ein Spiel, in | |
dem 140 Millionen Italiener aufs Feld gehen, die 60 Millionen, die in | |
Italien leben, aber auch die 80 Millionen im Ausland.“ | |
## Parmesan aus Wisconsin? | |
Über diese leicht völkisch anmutende Rechnung, die mal eben 80 Millionen | |
Menschen als „Italiener“ eingemeindet, weil irgendwann einmal ferne | |
Vorfahren nach Amerika, Australien oder Frankreich ausgewandert sind, ließe | |
sich trefflich streiten, nicht aber über den Gegenstand des „Spiels“, die | |
ja nun wirklich rund um den Erdball [2][als exzellent geltende Italienische | |
Küche]. | |
Bei ihr jedenfalls sind große Zweifel nicht angebracht. Oder doch? | |
Ausgerechnet einen italienischen Kronzeugen bemühte jetzt die Financial | |
Times, um ein wenig über den Unesco-Antrag der Meloni-Regierung zu lästern. | |
Professor Alberto Grandi aus Parma ließ dort in einem Interview wissen, | |
ganz viel „Italienisches“ im Kochtopf und aus dem Ofen sei so italienisch | |
gar nicht, angefangen bei der Carbonara, die erst 1944 dank der US-Soldaten | |
in Rom erfunden worden sei. | |
Und dann legte er noch nach, der originalgetreue Parmesankäse sei heute | |
eher in Wisconsin als in der Emilia-Romagna zu finden. „Jetzt auch noch | |
‚Experten‘ und Zeitungen, die auf unsere Geschmacksnoten und unsere | |
Schönheit neidisch sind!“, jaulte Lega-Chef Salvini auf. | |
Denn dass die Rechtsregierung in Rom sich mit dem „immateriellen | |
Weltkulturerbe“ schmücken will, kommt nicht von ungefähr. Auch für sie ist | |
diese Anstrengung eher „immateriell“, sprich: Sie kostet nichts, und trägt | |
wunderbar zur Profilbildung der stramm nationalistischen Koalition bei. Bei | |
jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit hält sie die grün-weiß-rote | |
Trikolore hoch, feiert mit überbordender Rhetorik das Vaterland und den | |
„Heroismus“ seiner Kinder. Zum Beispiel beim „Tag der Erinnerung an die | |
Alpini“, der italienischen Alpenjäger. Aufgrund eines erst 2022 auf Antrag | |
der Lega verabschiedeten Gesetzes wird er am 26. Januar begangen, just | |
einen Tag vor dem Tag der Erinnerung an die Schoah. | |
## Rechte Erinnerungskultur | |
Und die Wahl des Datums erfolgte nicht zufällig. Am 26. Januar 1943 | |
schlugen die Alpini an der Ostfront die sowjetischen Truppen; im | |
Gesetzesantrag der Lega hieß es, „unter ihrem heroischen Kommandanten“ | |
hätten sie „wie eine Lawine den sowjetischen Widerstand niedergewalzt“. | |
Wenn das kein Grund zum Feiern ist – eines Tages zu gedenken, an dem | |
italienische Faschisten und die deutsche Naziwehrmacht einen ihrer letzten | |
Siege verbuchen konnten! | |
Dass die rechte „Erinnerungskultur“ zwar gratis zu haben, aber alles andere | |
als unschädlich ist, zeigte sich auch am 24. März, dem Jahrestag des | |
deutschen Massakers in den Ardeatinischen Höhlen in Rom, als Nazischergen | |
335 Männer erschossen, um den Tod von 33 deutschen Soldaten bei einem | |
Partisanenanschlag zu rächen. Die Märtyrer seien umgebracht worden, „bloß | |
weil sie Italiener waren“, fiel Ministerpräsidentin Meloni dazu ein: Selbst | |
der Massenmord, begangen von den mit den italienischen Faschisten | |
verbündeten deutschen Nazis, wurde ihr zum Anlass, die italienische Fahne | |
zu schwingen. | |
Nein, gaben der Partisanenverband, die Jüdische Gemeinde Rom, die | |
Linksparteien zurück, die 335 Männer waren auf die Todesliste nicht als | |
„Italiener“ gekommen, sondern weil sie Juden oder Antifaschisten gewesen | |
waren – und Meloni konterte diese Kritik nur mit der dummdreisten Frage, ob | |
denn die Antifaschisten „etwa keine Italiener gewesen“ seien? | |
Bei ihrer Wählerschaft verfängt diese Tour, ebenso wie das Unterfangen | |
dieser Regierung, die zwar materiell nichts groß zu verteilen hat, deshalb | |
aber auch auf einem ganz anderen Feld „immaterielle“ Gratispolitik | |
betreibt, auch dort mit Kollateralschäden: auf dem Feld der Bürgerrechte. | |
## Streichung des Folterparagrafen? | |
So wies das Innenministerium die Bürgermeister*innen an, sie sollten | |
die in den Augen der Regierung unsägliche Praxis einstellen, die Kinder aus | |
gleichgeschlechtlichen Paaren standesamtlich als Kinder beider Eltern | |
einzutragen. „Kinder haben das Recht aufs Maximum: auf eine Mama und einen | |
Papa“, fällt Meloni hierzu nur ein, und ihre Familienministerin Eugenia | |
Roccella erklärt treuherzig, Kinder aus gleichgeschlechtlichen Ehen seien | |
„keineswegs diskriminiert“, schließlich werde „ein Elternteil“ ja | |
standesamtlich eingetragen. | |
Dass man es mit zu vielen Bürgerrechten nicht übertreiben soll, | |
demonstriert die Regierungskoalition auch beim Folterparagrafen, der erst | |
vor wenigen Jahren ins Strafgesetzbuch geschrieben wurde, vor allem um | |
Häftlinge vor Übergriffen der Vollzugsbeamten zu schützen. | |
Die Meloni-Partei Fratelli d’Italia hat jetzt einen Antrag ins Parlament | |
eingebracht, den Paragrafen ersatzlos zu streichen, weil der – so Meloni – | |
„die Beamten daran hindert, ihre Arbeit zu tun“. Und wenn die „Arbeit“ … | |
verrichtet ist, und sei es auch mit systematischen Prügeleinsätzen gegen | |
wehrlose Gefangene, wie sie in den letzten Jahren mehrfach vorkamen, dann | |
schmeckt ein Teller „uritalienischer“ Spaghetti Carbonara umso besser. | |
1 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Giorgia-Meloni-zu-Besuch-bei-Olaf-Scholz/!5913506 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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