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# taz.de -- Ein Ferienhaus in Süditalien: Lehren aus der Sesshaftigkeit
> Mein Freund und ich haben ein Ferienhaus gekauft. Und gelernt: Auf dem
> Land ist es überall ähnlich, egal ob in Italien oder Deutschland.
Bild: Leben auf dem Land ist nicht nur Idylle
Zu Hause sein bedeutet, plötzlich planen zu müssen, wann man weg kann. Das
ist meine erste Lehre aus der Sesshaftigkeit. Mein Freund und ich haben ein
Ferienhaus für die warmen Monate in Süditalien gekauft. Fürs Unterwegssein
ist jetzt nicht mehr viel Kohle übrig, und wir tragen plötzlich
Verantwortung, für ein Stück Land.
Wir haben gepflanzt, es soll ja nicht langweilig werden. Das ist super,
ständig passiert etwas: Die Zitronen reifen, die Zwiebeln verdorren, weil
ich „Die brauchen nicht viel Wasser“ überinterpretiere, und manchmal
überlebt auch was. Zu spät ist mir die Frage gekommen: Wenn wir länger weg
sind, wer gießt dann? Also verbringen wir erst mal viel Zeit in der neuen
Nachbarschaft.
Unsere Straße, ein einspuriger Weg, windet sich zwischen Olivenhainen, weiß
getünchten Landhäuschen und im Frühjahr leuchtenden Wiesen voller
Wildblumen. Ein wunderschöner Ort. Früher lebten das ganze Jahr Familien
hier, viele davon verwandt und verschwägert. Heute wohnen die meisten nur
noch im Sommer auf dem Land, und sie sind alt geworden.
Die Kinder finden in Süditalien keine Arbeit, sie gehen nach Rom oder
gleich nach Deutschland. Die Alten bleiben und verkaufen ihre Häuser an
andere Rentner:innen, zunehmend aus dem Ausland. Oder lassen sie verfallen.
Sehr herzlich kümmern sich alle um uns, die unverhofft jungen Leute.
## „Ich bin wie deine Mama, du kannst mich alles fragen“
Ich lerne, dass Nachbarschaft zudem ein kostbares Wissensnetzwerk bietet:
Wer liefert Brennholz, wie schneidet man Olivenbäume, welcher Handwerker
ist ehrlich und günstig. „Ich bin wie deine Mama, du kannst mich alles
fragen“, sagt eine Oma.
Erstaunt stelle ich gleichzeitig fest, dass die Leute kaum miteinander zu
tun haben. Ich dachte, hier hängen alle miteinander ab. Aber nach kurzer
Zeit kennen wir hilfsbedürftigen Deutschen die Nachbar:innen besser, als
diese einander. Und natürlich sind Untiefen nicht weit.
Rassismus und Sexismus sind hier offen und hart. Diebstahl liege in der
Natur des N*, das sei eine biologische Sache, sagt die Oma. Eine andere
Nachbarin kocht weiter für den längst ausgezogenen Sohnemann und hofft
statt eines Machtworts lieber darauf, dass ihr Sohn endlich heiratet, denn
Kochen und Waschen müsse die Frau. Diskussionen führen zu nichts.
Vieles erinnert mich ans deutsche Land. Die unerträglich selbstgewissen
alten Männer, die auf Flugreisenverzicht reagieren mit „ein Flugzeug hebt
auch ohne dich ab“. Landbevölkerung definiert sich über Heimat und
Zugehörigkeit, gegen die vorgebliche Heimatlosigkeit und Uniformität der
Großstadt. Dabei gilt in Wahrheit, was mein Freund sagt, der selbst in
Deutschland auf dem Land aufgewachsen ist: „Das wirklich Uniforme ist das
Land.“
10 Apr 2023
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Sexismus
Reiseland Italien
Kolumne Hin und weg
Nachbarschaft
Kolumne Hin und weg
Kolumne Hin und weg
Giorgia Meloni
Kolumne Hin und weg
Lesestück Recherche und Reportage
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