# taz.de -- Postsowjet-Identität und Ukraine-Krieg: Selbstverständnis im Kauk… | |
> Unsere Autorin ist russischsprachige Aserbaidschanerin und lebt jetzt in | |
> Georgien. Ist sie ehemalige Sowjetbürgerin? Oder doch eher | |
> Südkaukasierin? | |
Bild: Blick über Tbilissi, die Hauptstadt Georgiens | |
Russischsprachige Aserbaidschanerin zu sein, aufgewachsen im Baku der | |
1990er Jahre mit russisch-sowjetisch-aserbaidschanisch-westlicher Kultur – | |
das ist fast das Gleiche, als wäre man ein Niemand. Oder als wäre man alles | |
auf einmal, wie ein Wesen aus der Mythologie mit menschlichem Kopf, | |
Vogelflügeln und Katzenschwanz. | |
Ich hatte lange Probleme mit meinem eigenen nationalen Selbstverständnis. | |
Meine aserbaidschanische Identität war mir zu eng, und ich fühlte mich | |
unwohl in der Rolle der Kosmopolitin. Mit der Zeit wurde mir klar, dass ich | |
mich in erster Linie als jemand aus dem südlichen Kaukasus sehe. Und die | |
drei Länder dieser Region – Aserbaidschan, Armenien und Georgien – als ein | |
Ganzes, einen kulturhistorischen Raum betrachte. Und den Südkaukasus selbst | |
als Teil der postsowjetischen Raums. Und meine südkaukasische Identität | |
entsprechend als Teil einer postsowjetischen Identität. | |
Viel zu kompliziert, oder? Besonders jetzt, wo eine solche postsowjetische | |
südkaukasische Identität schon fast unanständig ist. Durch seinen Überfall | |
auf die Ukraine hat Russland, abgesehen von allem Vorangegangenen, nicht | |
nur sich selbst vollends diskreditiert, sondern sogar den Begriff | |
„postsowjetischer Raum“ und alles das, was die Länder, aus denen er | |
besteht, miteinander verbindet. | |
Und während Russland einerseits auf die Ukraine schießt, hält es | |
anderseits die Fäden des [1][Karabach-Konflikts] zwischen Armenien und | |
Aserbaidschan in der Hand. Schon seit dreißig Jahren werden hier die | |
südkaukasischen Völker mit einem Stacheldraht aus Hass und Angst | |
voneinander getrennt. | |
Mir schien immer, dass eine Art Idealvariante für die Länder des | |
Südkaukasus wäre, „zusammenzuhalten“, so etwas wie eine politische und | |
humanitäre Union zu bilden. Aber mir ist klar, dass das utopisch ist. Und | |
vor dem Hintergrund all der aktuellen Ereignisse ist der einzige „Ort“, an | |
dem ich mir meine „unanständige Identität“ leisten kann, die Emigration. | |
Jetzt, wo ich in Georgien lebe, [2][das sich im Karabach-Konflikt neutral | |
verhält], gestatte ich mir, „Südkaukasierin“ zu sein. Als ich das letzte | |
Mal beim Haareschneiden war, hat mein Friseur, ein junger Armenier aus | |
Tbilissi, auf Russisch ein Lied aus einem aserbaidschanischen Film der 50er | |
Jahre gesungen. | |
„Himmel, Sergo, woher kennst du das denn überhaupt?“, fragte ich ihn. | |
„Das hab ich als Kind mal von einem Maler gehört, der bei uns zu Hause | |
renoviert hat“, erklärte er. | |
Würde ich mal über die Grenzen unserer Region hinaus emigrieren, könnte ich | |
vermutlich eine „postsowjetische Südkaukasierin“ sein. Das heißt, ich | |
selbst. Eines dieser mythologischen Wesen mit menschlichen Köpfen, | |
Vogelflügeln und Katzenschwänzen, die es tatsächlich gibt. | |
Aus dem Russischen von [3][Gaby Coldewey] | |
Finanziert wird das Projekt von der [4][taz Panter Stiftung]. | |
Einen Tagebuch-Sammelband hat der Verlag [5][edition.fotoTAPETA] im | |
September 2022 herausgebracht. | |
28 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Konflikt-mit-Aserbaidschan/!5879458 | |
[2] /Konflikt-um-Bergkarabach/!5915297 | |
[3] /Gaby-Coldewey/!a23976/ | |
[4] /Osteuropa-Projekte/!vn5913530 | |
[5] https://www.edition-fototapeta.eu/ | |
## AUTOREN | |
Nika Musavi | |
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