| # taz.de -- Geflüchteter Aktivist Arshak Makichyan: Der Einzelkämpfer | |
| > Der russisch-armenische Aktivist Arshak Makichyan lebt seit seiner Flucht | |
| > aus Moskau in Berlin. Doch dort wird sein Protest kaum wahrgenommen. | |
| Bild: Fordert Solidarität mit der Region Arzach: Arshak Makichyan am Bundeskan… | |
| Arshak Makichyan hat sein Protestplakat noch nicht fertiggeschrieben, als | |
| er wegen der schwarzen Fahrzeuge innehält, die flankiert von Polizeiautos | |
| gegenüber am Kanzleramt vorfahren. „Auf geht’s“, sagt der | |
| [1][russisch-armenische Aktivist]. Er packt seinen Marker weg und geht mit | |
| dem A3-großen Zettel in Richtung des Eisenzauns, der das Gebäude abschirmt. | |
| Darüber weht neben den Fahnen Deutschlands und der EU eine weitere | |
| blau-rot-grün gestreifte mit weißem Halbmond in der Mitte – die [2][Fahne | |
| Aserbaidschans]. | |
| Der Machthaber des zentralasiatischen Landes, Ilham Aliyev, ist an jenem | |
| tristen Dienstag Mitte März nach Berlin gekommen. Bundespräsident | |
| Frank-Walter Steinmeier und Kanzler Olaf Scholz haben ihn zu Gesprächen | |
| über die aserbaidschanisch-deutsche [3][Energiepartnerschaft] eingeladen. | |
| Denn die Bundesregierung will wie andere europäische Staaten auch künftig | |
| mehr Öl und Gas aus Aserbaidschan einkaufen. Grund ist das Energieembargo | |
| gegen Russland, das sie infolge des Angriffskriegs in der Ukraine | |
| beschlossen haben. | |
| Wegen dieses Kriegs ist auch Makichyan jetzt in Berlin. Der 24. Februar | |
| 2022 hätte eigentlich ein schöner Tag für ihn werden sollen, in einem | |
| Moskauer Standesamt war der Hochzeitstermin mit seiner jetzigen Frau | |
| angesetzt. Als er aber an jenem Morgen von der russischen Invasion hörte, | |
| war er geschockt. Der inzwischen 28-Jährige schrieb mit rot „Fuck the War“ | |
| auf sein Hemd, seine Frau kombinierte ihr blaues Kleid mit einem gelben | |
| Blumenstrauß. | |
| ## Leben in Russland wurde unerträglich | |
| Ein Foto, das sie anschließend in den sozialen Netzwerken posteten, ging | |
| sofort viral. Knapp einen Monat später reiste das Paar mit Touristenvisa | |
| nach Deutschland. Dass sie länger als für einen Urlaub bleiben würden, war | |
| beiden klar – die zunehmende Unterdrückung in Russland hatte das Leben | |
| immer unerträglicher gemacht. | |
| „Westliche Politiker haben eine Menge Fehler in ihrem Umgang mit Russland | |
| gemacht“, sagt der schmächtige Aktivist mit den schwarzen Locken. „Und | |
| jetzt machen sie genau das gleiche mit Aserbaidschan. Sie schauen weg, | |
| lassen die Menschen in Arzach verhungern.“ Er ist an jenem Dienstag zum | |
| Kanzleramt gekommen, um gegen den deutsch-aserbaidschanischen Energiedeal | |
| zu protestieren. | |
| Arzach – so nennen viele der 120.000 Einwohner*innen die Region | |
| Bergkarabach. Sie ist seit Jahrzehnten umstritten, denn Aserbaidschan | |
| stellt historische Gebietsansprüche darauf, während die Bevölkerung sich | |
| mehrheitlich Armenien zugehörig fühlt. | |
| Immer wieder eskalierte der Konflikt, seit Dezember blockieren | |
| aserbaidschanische Einsatzkräfte die einzige Zufahrtsstraße. Deshalb können | |
| weder Medikamente noch Lebensmittel in die Region geliefert werden. Als in | |
| Berlin die Fahrzeugkolonne aus dem Blickfeld verschwunden ist, kniet | |
| Makichyan vor dem Eisenzaun, um weiter an seinem Plakat zu schreiben. | |
| ## In Armenien geboren | |
| Die Worte „Stand with Artsakh. Not Dictators“ nehmen in blutroten | |
| Buchstaben Form an. „Unterstützt Arzach. Nicht Diktatoren.“ Die | |
| Organisation „Freedom House“ bewertet Aserbaidschan mit einem Rating von 9 | |
| aus 100 in ihrem „Freedom in the World“-Index als „nicht frei“. Aliyev | |
| regiert dort seit 2003 und übernahm damals das Zepter von seinem Vater. | |
| Makichyan wurde in Armenien geboren, zog aber noch im Kleinkindalter mit | |
| seiner Familie nach Russland. Er studierte am Moskauer Konservatorium | |
| Violine, als er 2019 erstmals von „Fridays for Future“ hörte. Ab da ging er | |
| jede Woche mit einem Plakat zum Puschkin-Platz, um gegen die | |
| Klimazerstörung zu demonstrieren. Oft stand er allein dort. | |
| „Es gab auch davor schon Aktivisten in Russland, die für Tierrechte | |
| protestierten oder gegen einzelne Bauvorhaben“, sagt er. „Ich wollte den | |
| Klimaprotest aber mit politischem Engagement verknüpfen.“ Sein Ansatz | |
| zeigte Erfolg, eine kleine Bewegung entwickelte sich. 2020 nominierte das | |
| Magazin Forbes Russia ihn für ihre „30 unter 30“-Liste. | |
| Mit wachsender Bekanntheit wurde Makichyan aber immer öfter verhaftet. Auch | |
| in Deutschland spürt er die Konsequenzen noch – diesen Februar entzog ein | |
| russisches Gericht dem Aktivisten nach monatelangen Verhandlungen seine | |
| einzige Staatsbürgerschaft. Offiziell wegen eines angeblichen Formfehlers. | |
| „Ich glaube, sie wollen damit andere Angehörige von Minderheiten vom | |
| Protest abhalten“, vermutet Makichyan, der somit staatenlos ist. Er wirft | |
| den russischen Behörden vor, mit dem Schritt gegen das Gesetz zu verstoßen. | |
| Nicht nur Makichyan ist dadurch der Rückweg nach Russland versperrt – die | |
| Behörden wiesen zudem seinen Vater und seine Brüder nach Armenien aus. | |
| „Wegen der Nähe zu Russland und dem Konflikt mit Aserbaidschan mache ich | |
| mir dort Sorgen um sie. Deshalb habe ich in den vergangenen Wochen alles | |
| gemacht, um meinen Bruder nach Deutschland zu holen“, sagt Makichyan. | |
| ## Lässt sich nicht beirren | |
| In zwei Wochen soll er nun bei einem Termin in der deutschen Botschaft in | |
| Jerewan die nötigen Papiere für seine Ausreise nach Deutschland beantragen. | |
| Sobald er selbst dann wieder mehr Zeit hat, möchte Makichyan Asyl | |
| beantragen. „Aber das ist ein anstrengender, langer Prozess.“ Seit Januar | |
| hat er erstmal ein Visum für Freiberufler. | |
| In Berlin setzt er sich weiter gegen den Krieg in der Ukraine und für mehr | |
| Klimagerechtigkeit ein. Zuletzt protestierte er auch häufiger für | |
| Bergkarabach, so wie an jenem Dienstag vor dem Kanzleramt. Makichyan kniet | |
| immer noch am Boden, als um ihn schwere, schwarze Stiefelpaare auftauchen. | |
| Acht Polizist*innen haben sich zwischenzeitlich um den Aktivisten | |
| gescharrt und fordern ihn zum Gehen auf. Dies sei eine unangemeldete | |
| Kundgebung, behaupten sie. | |
| Arshak lässt sich davon nicht beirren. Die Demonstration sei zwar erst für | |
| dreißig Minuten später angemeldet, aber er verstoße nicht gegen das Gesetz, | |
| antwortet er immer wieder ruhig auf Englisch. Er sei ja allein. | |
| „Es ist schon komisch, wenn meine Freunde Proteste organisieren, kommen | |
| Tausende Menschen“, sagt er wenig später. „Wenn ich in den vergangenen | |
| Monaten etwas für Arzach organisiert habe, kamen vielleicht 50 Menschen – | |
| alle davon hatten Wurzeln in Armenien.“ Trotzdem zeigt er Verständnis. In | |
| den vergangenen Jahren habe es wegen der Corona-Pandemie und des Kriegs | |
| gegen die Ukraine viel zu tun gegeben für Aktivist*innen „und dann ist | |
| da irgendwo noch ein anderer kleiner Krieg“. Am Ende werden sie an diesem | |
| Tag zu viert gegen Aliyev protestieren. | |
| Im Kanzleramt treten indes Aliyev und Scholz vor die Presse. Der | |
| Bundeskanzler lobt ihn für den raschen Ausbau aserbaidschanischer | |
| Lieferungen von Erdöl und -gas an Deutschland im vergangenen Jahr. Darüber, | |
| dass der zentralasiatische Staat selbst seitdem mehr Gas aus Russland | |
| bezieht, fällt an jenem Nachmittag kein Wort. Zu Bergkarabach sagt der | |
| SPD-Politiker ein paar floskelhafte Sätze. | |
| Etwa eine Stunde nach ihrer Ankunft am Kanzleramt setzt sich die | |
| Fahrzeugkolonne erneut in Bewegung, diesmal in die entgegengesetzte | |
| Richtung. Nur Makichyan schreit ihnen nach: „Aliyev ist ein Mörder.“ | |
| 29 Mar 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sarah Vojta | |
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