# taz.de -- Flucht aus Russland nach Georgien: Vier Mädchen aus Dagestan | |
> Früher flohen Frauen aus dem Nordkaukasus vor häuslicher Gewalt nach | |
> Zentralrussland. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine ist das fast unmöglich | |
> geworden. | |
Bild: Bald geschafft: eine Frau am russisch-georgischen Grenzübergang | |
Der Grenzübergang Werchnij Lars ist einer von zweien in Russland, über den | |
man noch ohne Visum ausreisen kann. [1][Er liegt an der Grenze zu Georgien, | |
in Nordossetien]. | |
In den letzten Monaten kamen viele Mädchen und Frauen aus den | |
nordkaukasischen Republiken hierher, die vor häuslicher Gewalt fliehen und | |
versuchen, Russland zu verlassen. Der bekannteste dieser Fälle ist der von | |
vier Mädchen aus Dagestan, nämlich von Hadishat und Patimat Chisriew, | |
Aminat Gasimagomedowa und Patimat Magomedowa. | |
Am 29. Oktober 2022 versuchten sie, aus Russland auszureisen, ihre | |
Angehörigen jedoch wollten sie daran hindern. Die Familienmitglieder | |
versuchten, die jungen Frauen festnehmen zu lassen. Das wäre auch fast | |
geschehen, hätte der Vorfall nicht eine so breite Öffentlichkeit erreicht. | |
Nach einem 12-stündigem Aufenthalt am Grenzübergang ließ man die Mädchen | |
trotz der Proteste ihrer Familien, die an die Grenze gekommen waren, | |
schließlich ausreisen. | |
Wie sich später herausstellte, waren die vier Mädchen in ihrer Kindheit | |
beschnitten worden, sie durften das Haus nicht alleine verlassen, wurden | |
geschlagen und durften keine Ausbildung machen. Der Tropfen aber, der das | |
Fass zum Überlaufen brachte, war die Absicht der Eltern, eine von ihnen mit | |
ihrem Cousin zu verheiraten. | |
Geschichten wie diese gibt es viele. Georgien ist für Mädchen aus den | |
Republiken, in denen noch traditionelle Lebensweisen vorherrschen und in | |
denen Frauen (besonders in abgelegenen Dörfern) im Grunde keine Rechte | |
haben, zu einem Ort geworden, an den sie schnell und relativ ungefährlich | |
reisen können. Von Georgien aus fahren die Mädchen in die ganze Welt. Oder | |
sie bleiben dort. | |
An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Autor dieses Textes | |
häufig selbst an solchen Grenzüberquerungen beteiligt war. Als Einwohner | |
Nordossetiens werde ich von Menschenrechtsorganisationen mit der Bitte | |
kontaktiert, Flüchtlinge bis zur Grenze zu begleiten. Meist handelt es sich | |
bei diesen Flüchtlingen um Menschen, die sich vor ihren Verwandten | |
verstecken, denen ein sogenannter Ehrenmord droht. | |
Bis zum Krieg in der Ukraine flohen diese Mädchen vor allem nach | |
Zentralrussland, doch jetzt ist Georgien der einzige Ort, wohin sie noch | |
fliehen können. Wie sie selbst und die, die ihnen helfen sagen, ist es in | |
Russland jetzt schwierig, mit einer, und sei es nur formalen, Gesetzgebung | |
zu rechnen. Deshalb sehen sie ihre einzige Rettung jetzt darin, das Land zu | |
verlassen. | |
Dabei kann man nicht mal sagen, dass in den russischen Regionen Dagestan, | |
Tschetschenien und Inguschetien (vor allem von dort fliehen die Mädchen) | |
die Gewalt gegen Frauen besonders weit verbreitet ist. Jedoch leben die | |
Menschen gerade in den entlegenen Dörfern nach den immer gleichen | |
kulturellen Traditionen. Zur Gewalt gegen Frauen führt manchmal schon der | |
schlichte Wunsch nach einer Ausbildung oder nach einem Gespräch mit | |
Männern. Diesen Mädchen bleibt jetzt nur ein Weg: [2][der nach Georgien]. | |
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey] | |
Finanziert von der [4][taz Panter Stiftung]. | |
Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag [5][edition.fotoTAPETA] | |
im September 2022 herausgebracht. | |
4 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Russen-fliehen-nach-Georgien/!5883416 | |
[2] /Russen-in-Georgien/!5889274 | |
[3] /Gaby-Coldewey/!a23976/ | |
[4] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245248 | |
[5] https://www.edition-fototapeta.eu/ | |
## AUTOREN | |
Boris Epchiev | |
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