| # taz.de -- Queere Ukrainer*innen in Deutschland: „Ich war alleine und verlor… | |
| > In der Ukraine tobt der Krieg, in der Hoffnung auf ein sicheres Leben | |
| > fliehen Tausende. Doch für Queers ist die Flucht deutlich gefährlicher. | |
| Bild: 24. Februar 2022: Tausende Menschen fliehen aus Charkiw in der Ostukraine | |
| Berlin taz | „Ich hatte kein Leben in der Ukraine. Es war die Hölle. Und | |
| ich möchte mich nicht an die Zeit zurückerinnern.“ Das ist das Urteil von | |
| Rem. Sie ist 20 Jahre alt, Ukrainerin aus Odessa, studiert IT und sie ist | |
| eine trans* Frau. Das ist sie schon ihr Leben lang. Nur leben konnte sie | |
| nie, wie sie wollte. Zu groß war die Angst. | |
| „In der Ukraine sind fast alle homophob und transphob“, sagt Rem. „Selbst | |
| meine Familie weiß nichts von meiner begonnenen Transition, nur enge | |
| Freundinnen und Freunde.“ Ein halbes Jahr vor [1][dem Krieg] beginnt Rem | |
| damit, sich die Haare wachsen zu lassen und sich ganz langsam mit dem | |
| Gedanken anzufreunden, bald vielleicht offen trans* leben zu können. Doch | |
| dann kommt der Krieg. | |
| Auch für Rem ist klar, dass sie [2][flüchten muss]. Und sie befürchtet, | |
| dass ihre Flucht ganz anders verlaufen wird. In Deutschland finden zwar | |
| seit Kriegsbeginn jeden Tag viele Frauen aus der Ukraine eine Zuflucht. | |
| Doch für Rem wird die Flucht bis zu ihrer neuen Heimat eine etwas größere | |
| Herausforderung. | |
| In ihrem ukrainischen Pass ist bis heute das Geschlecht eingetragen, das | |
| ihre Eltern ihr zugeteilt haben: männlich. Deshalb darf sie die Ukraine | |
| erst nicht verlassen, als der Krieg beginnt. „Vom ersten Tag an habe ich | |
| überlegt, wie ich hier wegkomme. Da war mir eigentlich schon klar, dass das | |
| auf legalem Wege nicht gehen wird.“ | |
| ## Flucht übers Feld | |
| Die Soldaten an der Grenze weisen sie zurück. Rem hat Angst, sich als | |
| trans* zu erkennen zu geben, sie erlebt die Situation als sehr bedrohlich. | |
| „Es war sehr gefährlich, denn die ukrainischen Soldaten sind alle sehr | |
| transfeindlich.“ So schildert sie ihre Erfahrungen. | |
| Sie dürfe das Land wegen ihres eingetragenen Geschlechts nicht verlassen, | |
| müsse wohl bald selbst kämpfen – [3][so laute das Gesetz in der Ukraine]. | |
| Mit solchen Aussagen wird sie immer wieder konfrontiert. „Wir sagen bei | |
| uns: Die Soldaten schenken dir ein Ticket für den Krieg, weil sie dich | |
| manchmal sofort in ein Ausbildungscamp schicken. Ich hatte Glück, dass ich | |
| sie davon abhalten konnte“, erinnert sich Rem. | |
| Derweil sieht sie, wie andere junge Frauen das Land verlassen. Darunter | |
| auch Freundinnen, die ohne sie in Richtung Westen aufbrechen. Und das ganz | |
| legal. Zehn Tage nach Kriegsbeginn entscheidet sich auch Rem, über die | |
| sogenannte grüne Grenze zu fliehen. Sie rennt abends über ein Feld. | |
| Rem nimmt durch ihre illegale Flucht eine hohe Strafe und Gefahren in Kauf. | |
| „Ich bin das Risiko eingegangen, weil es eine Chance war. Ich war bereit | |
| dafür zu sterben.“ Ihr Weg führt über die [4][Republik Moldau] schließlich | |
| nach Nürnberg, wo sie Freundinnen trifft, die dort zu ihrer Familie | |
| geflohen sind. Endlich wieder bekannte Gesichter, freut sich Rem. Doch die | |
| Freude währt nicht lange: Rem darf nicht bleiben. „Die Familien meiner | |
| Freundinnen hatten etwas dagegen“, berichtet sie. „Ich war alleine und | |
| verloren.“ | |
| ## Sparen für die Flucht | |
| Rem liest im Internet von Hilfsorganisationen wie [5][Quarteera], einer | |
| Organisation aus Berlin, die sich an russischsprachige Flüchtende aus der | |
| LGBTQ-Community richtet. Rem zieht mit Hilfe der Initiative zu einer | |
| Familie nach Berlin und kommt in Kontakt mit anderen queeren Geflüchteten, | |
| die ihre Probleme verstehen. | |
| Und davon gibt es etliche. Svetlana Shaytanova aus dem Vorstand von | |
| Quarteera hofft auf mehr Unterstützung. „Politiker:innen geben Versprechen | |
| ab, dass sich die Situation für queere Flüchtende verbessern soll. Aber | |
| durch die Bürokratie dauert alles sehr lange“, sagt Shaytanova. „Viele | |
| Menschen, die mit Flüchtenden arbeiten, haben auch kein Verständnis für die | |
| besondere Situation von queeren Menschen. Sie haben oft noch ein | |
| zusätzliches Trauma erlebt.“ | |
| Es sind Erfahrungen, die auch Sasha gemacht hat. „In Mariupol soll ein Mann | |
| ein Mann sein. Das bedeutet: am besten in einer Fabrik arbeiten und mit den | |
| Händen etwas erschaffen. Viele Menschen dort sind homofeindlich.“ Das | |
| berichtet der 23-Jährige. Seine Eltern wissen ebenfalls bis heute nicht, | |
| dass er schwul ist. Und das soll am besten so bleiben, sagt Sasha. „Die | |
| würden das nicht verstehen. Ich habe schon immer eine Rolle gespielt.“ | |
| Einen Monat nach Kriegsbeginn macht sich der Kunststudent auf den Weg zu | |
| seiner Mutter auf die Krim, denn er will fliehen und braucht dabei ihre | |
| Unterstützung. Völlig ausgehungert kommt er dort an. Er verdient mit | |
| kleineren Jobs illegal Geld. Er spart, um sich die Flucht leisten zu | |
| können. | |
| ## Todesangst an der Grenze | |
| Als er später weiterzieht und in Donezk ankommt, trifft er seine beste | |
| Freundin. Sie weiß als eine von wenigen von seiner sexuellen Orientierung | |
| und sagt plötzlich Dinge wie: „Finde endlich eine Frau.“ Oder: „Deine | |
| Sexualität ist nur eine Phase.“ Sie sei pro Russland, erklärt Sasha. Und | |
| das ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird. | |
| Immerhin: Sasha darf fliehen. Obwohl er ein Mann ist. Doch weil seine | |
| Heimatstadt damals von den Russen kontrolliert wird, kann ihm die Ukraine | |
| als jungem Mann nicht verbieten, das Land zu verlassen. An der Grenze | |
| zwischen Russland und Lettland angekommen, wird Sasha allerdings von | |
| tschetschenischen Truppen kontrolliert. Stundenlang halten sie ihn fest und | |
| fragen ihn aus. | |
| „Das war der Moment, an dem ich wirklich Todesangst hatte“, sagt er. „Sie | |
| haben mich gefragt, warum meine Haare blond gefärbt seien und warum ich ein | |
| Ohrpiercing habe. Das hätten Männer schließlich nicht.“ | |
| Sasha wird außerdem gefragt, ob er „zu denen“ gehöre. Er sieht sich schon | |
| im Gefängnis oder im Arbeitslager, umso mehr, als er zuvor als | |
| ehrenamtlicher Helfer in einem Community-Center für LGBTQ in Mariupol | |
| arbeitete und viele schlimme Geschichten hörte. An der Grenze redet er sich | |
| damit heraus, dass er Kunst studiere: „So sehen wir Studierenden nun einmal | |
| aus, sagte ich.“ Er wolle weiter nach Polen und dort in Frieden sein | |
| Studium beenden. Die Grenzsoldaten lassen ihn schließlich passieren. | |
| ## „Ich kann sein, wer ich will“ | |
| Sasha lebt jetzt in Köln und ist seit einigen Monaten mit seinem Freund | |
| zusammen. Die Menschen hier greifen ihn nicht für seine Sexualität an. Er | |
| ist glücklich, sagt er. Er wisse, dass es auch hier Homophobie gebe. Aber | |
| das sei kein Vergleich zur Lage in Mariupol. | |
| Hilfe und Unterstützung hat Sasha von Anfang an beim [6][Kölner Verein | |
| Rubicon] bekommen, der für und mit queeren Menschen arbeitet. „Wir haben | |
| sofort ein Ukraine-Team eingerichtet mit russischsprachigen | |
| Mitarbeitenden“, sagt Tanya Parvez. Sie leitet im Rubicon die Gruppe | |
| Baraka, die sich zu kleineren Events trifft und zum Beispiel | |
| Erstausstattungen für Flüchtende organisiert. | |
| Die Gruppe ist aber nicht nur offen für Flüchtende aus der Ukraine. „Wir | |
| wollen alle Menschen miteinander vernetzen, egal aus welchem Land“, so | |
| Parvez. Der Verein unterstützt auch bei bürokratischen Vorgängen und | |
| medizinischen Angelegenheiten. Dort hat Sasha Freund:innen gefunden. | |
| Jetzt lebt er bei einem schwulen Mann und sucht nach einer eigenen Wohnung. | |
| Auch Rem sucht nach einer eigenen Wohnung. Sie wohnt nun in Berlin bei | |
| einer Familie und kann endlich offen als trans* Frau leben. „Ich bin hier | |
| viel freier. Ich kann sein, wer ich will.“ Aber auch in Berlin begegne ihr | |
| mitunter Feindlichkeit, berichtet sie, vor allem in den Ämtern. „Ich habe | |
| noch ein Foto aus einem anderen Leben in meinem Pass. Mir wird oft | |
| vorgeworfen, ich wäre jemand anderes.“ | |
| Als sie im Sprachkurs darum bittet, man solle sie mit ihrem Namen Rem | |
| ansprechen, verliert sie sogar ihren Platz. „Einen Monat durfte ich nicht | |
| mehr mitmachen.“ Wieso? Das weiß sie nicht. Man besteht zunächst darauf, | |
| dass sie mit ihrem Deadname angesprochen wird, also dem männlichen | |
| Geburtsnamen, den ihre Eltern ihr gegeben hatten. | |
| Zurück in die Ukraine kann sie wohl nicht, sagt Rem. „Meine Eltern | |
| respektieren mein Leben so nicht. Ich glaube, ich habe keine Eltern mehr.“ | |
| Jetzt ist sie ohnehin erst mal in Deutschland und konzentriert sich auf | |
| ihre Transition. „Ich möchte Deutsch lernen und dann schnell einen Job | |
| finden, um meine Operationen zu bezahlen. Ich habe neue Freundinnen | |
| gefunden und ich glaube, ich kann mir hier ein neues Leben aufbauen.“ | |
| 5 Jan 2023 | |
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| [4] /Moldau-und-der-Krieg-gegen-die-Ukraine/!5898529 | |
| [5] https://www.quarteera.de/ | |
| [6] https://rubicon-koeln.de/https://rubicon-koeln.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Cedrik Pelka | |
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