# taz.de -- Flucht aus der Ukraine: Exodus mit ungewissem Ausgang | |
> Ein Riss geht durch die ukrainische Gesellschaft. Er trennt die | |
> Dagebliebenen von denen, die das Land verlassen haben. | |
Bild: Die einen bleiben, die andere fahren: Abschiedsszene am Bahnhof Odessa, A… | |
Jedes ukrainische Kind liest in der Schule ein Buch, das bei uns als | |
Klassiker gilt: „Das Steinkreuz“ von Wassil Stefanik. Es ist eine | |
Geschichte über Emigration. Der Hauptheld nimmt Abschied von der | |
heimatlichen Erde, bevor er sie für immer verlässt – nach Kanada. Dort | |
findet man bis heute die größte ukrainische Diaspora weltweit. Als Kind | |
fand ich es schwer vorstellbar, dass so ein Massenexodus einmal unsere | |
Realität werden könnte. Heute fliehen Ukrainer vor dem Krieg in alle | |
möglichen Länder und schaffen sich vor Ort neue Gemeinschaften. Sie | |
unterstützen die Ukraine weiterhin, haben aber häufig nicht mehr vor | |
zurückzukehren. | |
Schon jetzt spürt man wie die Gesellschaft auseinanderdriftet. Es gibt die, | |
die das Land verlassen haben und [1][die, die geblieben sind]. Diejenigen, | |
die nach Europa geflohen sind, schlagen sich mit einer für uns ungewohnten | |
Bürokratie herum und damit, dass vieles aus dem ukrainischen Leben dort | |
fast surreal klingt: So sind schnelles Onlinebanking oder Supermärkte, die | |
rund um die Uhr geöffnet haben, für Europäer nicht selbstverständlich. | |
Diejenigen, die geblieben sind, verurteilen oft die Geflüchteten, weil sie | |
meinen, dass Kyjiw oder Lwiw schon lange wieder sichere Städte sind und es | |
an der Zeit sei zurückzukommen. Ein wichtiger Aspekt: Die meisten | |
derjenigen, die die Ukraine verlassen haben, sind Frauen, weil die | |
wehrpflichtigen Männer nicht ausreisen können. Und deshalb wird jeder Mann | |
mit ukrainischem Pass, egal ob er legal oder illegal ausgereist ist, als | |
Verräter betrachtet. | |
Wir Ukrainer sind mittlerweile über den ganzen Erdball verstreut. Wir haben | |
zwar unseren eigenen Staat, aber fahren in andere Städte und Länder, wo wir | |
außer mit Hilfsbereitschaft auch mit Diskriminierung konfrontiert werden, | |
mit Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen und leider auch mit prorussischen | |
Demonstrationen. | |
Fast alle mir nahestehenden Menschen sind gegangen. Sie sind jetzt in | |
Bulgarien, Deutschland, Finnland – und bauen sich dort ein neues Leben auf, | |
ohne zu wissen, ob sie irgendwann zurückkommen können. Nur eines kann man | |
mit Sicherheit sagen: Kein einziger von ihnen wollte fliehen. [2][Sie haben | |
ihr Land nicht auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen]. | |
Sie sind nicht schuld daran, dass die Preise in den Geschäften steigen und | |
die europäischen Regierungen ihre Bevölkerung zum Sparen anhalten. Es ist | |
nicht den ukrainischen Frauen und Kindern anzulasten, dass es in den | |
Städten keine freien Wohnungen gibt, und sie sind auch nicht Schuld daran, | |
[3][dass kein billiges russisches Gas mehr durch die Leitungen fließt]. | |
Ich denke, das ist allen klar. Nur nicht denjenigen, die fordern, dass die | |
Ukraine Russland zum Fraß vorgeworfen wird und „alles wird wie früher“. | |
Aber so wie früher wird es nicht mehr. Wir, die wir Millionen Menschen als | |
Flüchtlinge verloren haben, wissen das so gut wie niemand anderes. | |
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter-Stiftung]. | |
Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag [6][edition.fotoTAPETA] | |
im September herausgegeben. | |
21 Oct 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Gefluechtete-in-der-Westukraine/!5885251 | |
[2] /Merz-unterstellt-Sozialtourismus/!5880211 | |
[3] /Buendnis-ruft-zu-Energie-Protest-auf/!5885849 | |
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/ | |
[5] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245248 | |
[6] https://www.edition-fototapeta.eu/ | |
## AUTOREN | |
Roman Huba | |
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