# taz.de -- Ukrainische Hilfsorganisationen im Krieg: Als Freiwilliger Leben re… | |
> In der Stadt Lwiw nahe der polnischen Grenze helfen Ukrainer anderen, das | |
> Land Richtung Westen zu verlassen. Das ist anstrengend. Und oft auch | |
> gefährlich. | |
Bild: Mit Reifenpanne auf dem Weg zur Grenze | |
Ich sollte eine Frau treffen am Lwiwer Bahnhof morgens um zehn. Ein enger | |
Freund hatte mich darum gebeten, der wie ich in der humanitären | |
Hilfsorganisation „Spilna Meta“ (ukr. „Gemeinsame Ziele) ist. Ich wusste … | |
dem Zeitpunkt nichts von ihr, außer, dass sie Hilfe brauchte. | |
Als Freiwilliger begleite ich Flüchtlinge an die Grenze, ich helfe | |
ausländischen Journalisten, hole Kisten mit Hilfsgütern an der Grenze ab | |
und bringe sie zu Menschen, die bereit sind, in die Hotspots des Krieges zu | |
fahren, um die Sachen dort an Bedürftige weiterzugeben. Das ist jetzt | |
sozusagen mein Job. Der Sitz unserer Freiwilligenorganisation ist in der | |
Wohnung meiner Freundin Sofia, bei der ich seit Kriegsbeginn wohne. | |
In der Nacht, bevor ich die Frau an die Grenze bringen sollte, war fünf | |
Stunden Luftalarm. [1][Wir versteckten uns wie gewöhnlich im Keller des | |
Hauses], wohin alle Bewohner kamen, sobald sie die Sirene hörten. Es war | |
kalt dort, deshalb konnten wir lange nicht einschlafen. Nachdem ich etwa | |
vier Stunden geschlafen hatte, aß ich ein bisschen Haferflockenbrei und | |
machte mich zum Bahnhof auf, um diese Frau außer Landes zu bringen. | |
Sie hatte einen Koffer, eine Tasche, eine Matratze und eine kleine Katze | |
dabei. Ich lud alles ins Auto und wir fuhren Richtung polnische Grenze in | |
die Stadt Jagodin, etwa vier Stunden Fahrt von Lwiw. Bevor wir losfuhren, | |
rauchten wir noch eine Zigarette. Dabei merkte ich, wie bei jedem Zug ihre | |
Hände zitterten. [2][Sie kam aus der Ostukraine]. Auf der anderen Seite der | |
Grenze sollte sie ihre Tochter treffen. | |
Sie fragte mich, warum ich so ernst und angespannt sei, und ich dachte an | |
meine Mama, wie sie auch bei Sirenengeheul im Kohlekraftwerk von Slowjansk | |
weiterarbeitete. Ich überlege, wie und wohin sie mit meiner Schwester | |
fahren sollte, weil der Krieg ja wieder meine Heimatstadt erreichen könnte. | |
Ich antwortete: „Ich muss mich auf den Weg konzentrieren.“ | |
Auf dem Rückweg hatte ich eine Reifenpanne und ich musste mitten auf einem | |
Feld anhalten. Ich war allein, niemand war in der Nähe, und von weit | |
entfernt konnte man Explosionsgeräusche hören, als ob irgendwo irgendwas | |
fällt und detoniert. Ich fühlte mich unwohl, begann schnell den Reifen zu | |
wechseln. Die Eile führte zu nichts. Nach einer Stunde halfen mir ein paar | |
Jungs aus einem Bus, der gerade vorbeikam. Dreckig und voller Erde von dem | |
Versuch, selbst einen Reifen zu wechseln, fuhr ich schließlich weiter. | |
Um neun Uhr abends – die Sperrstunde beginnt um zehn – kam ich müde, aber | |
zufrieden, weil ich vielleicht einem Menschen das Leben gerettet hatte, | |
zurück nach Lwiw. Ich legte mich ins Bett in der Hoffnung, dass ich dieses | |
Mal zum Schlafen käme. Um am nächsten Tag Energie genug zu haben, die | |
Kisten mit humanitärer Hilfe zu sortieren. Und vielleicht ein weiteres | |
Leben zu retten. | |
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey] | |
Finanziert wird das Projekt von der [4][taz Panter Stiftung]. | |
Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA | |
im September heraus | |
29 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Alexandr Babakov | |
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