# taz.de -- Flucht innerhalb der Ukraine: Die neuen Taxifahrer | |
> Während ukrainische Frauen und Kinder vor dem Krieg ins Ausland geflohen | |
> sind, dürfen Männer nicht ausreisen. Viele stranden im grenznahen Lwiw. | |
Bild: Fahrzeuge passieren einen Kontrollposten in der ukrainischen Stadt Lwiw | |
Während meines ersten Evakuierungsmonats in Lwiw habe ich mich vor allem | |
per Taxi fortbewegt. Nicht, weil plötzlich der Reichtum bei mir | |
ausgebrochen wäre. Ich bin vor allem zum Bahnhof gefahren. Oder vom Bahnhof | |
in die Stadt – meistens nachts. Ich fuhr zum Bahnhof, um Bekannte oder | |
Verwandte abzuholen und ihnen zu helfen, sich in der unbekannten Stadt | |
zurechtzufinden bzw. weiterzufahren, [1][bis zur Grenze]. Zuerst begleitete | |
ich meine Schwester, anschließend meine Mutter. | |
Aber ich möchte nicht über die Passagiere sprechen, sondern über die, die | |
uns fuhren. In Zeiten wie diesen kann jeder Taxifahrer sein. Man braucht | |
dafür nur Auto und Smartphone. Schnell habe ich gelernt, einheimische | |
Taxifahrer von zugezogenen zu unterscheiden. | |
Ihre Geschichten ähneln einander oft. „Ich bin mit meiner Familie aus | |
([2][hier den Namen der Stadt eintragen], oft eine russisch besetzte), aber | |
meine Frau ist mit den Kindern weitergefahren, ich bin geblieben“ – so | |
ungefähr klingt es bei allen. Männer im wehrpflichtigen Alter dürfen die | |
Ukraine nicht verlassen, deshalb erwartet Familien an der Grenze ein kurzer | |
Abschied. Und dann sind die Männer oft sich selbst überlassen. Sehr viele | |
Möglichkeiten haben sie nicht gerade. | |
Sie können zum Kreiswehrkommando gehen. Aber dort werden sie oft auch | |
gleich wieder nach Hause geschickt, weil „wir Ihre Dienste gerade nicht | |
brauchen“. Und so werden Ingenieure, Bauarbeiter, Geschäftsleute und | |
Vertreter anderer Berufsgruppen zu Taxifahrern. Nicht alle haben übrigens | |
Lust, mit den Fahrgästen zu reden. Im Gegensatz zu lokalen Taxifahrern | |
kennen sie die Stadt nicht und lassen sich daher nicht so leicht durch | |
Gespräche ablenken. Sie schimpfen über die schlechten Straßen und sagen, | |
dass die in Cherson oder Melitopol besser sind. Das ist wahrscheinlich | |
nicht der Fall, aber zu Hause ist eben einfach alles besser. | |
Einmal fuhr ich mit einem Immobilienmakler, der sich beschwerte, dass | |
einige Tage vor dem Einmarsch der Russen mehrere große Geschäfte | |
gescheitert seien. „Es gab Menschen mit viel Geld, die das wirklich früher | |
wussten“, war er überzeugt. Ich schwieg, denn woher sollte ich darüber | |
irgendwas wissen, ich hatte noch nie Geld gehabt. | |
Aber Taxifahrer sind Taxifahrer. Mit der Zeit lernen sie die einheimischen | |
Fahrer zu beschimpfen und den Markt unter sich aufzuteilen. Die | |
einheimischen beschweren sich, dass die neuen ihnen einen Teil der Fahrten | |
wegnehmen – dabei können Taxis gar nicht schnell bestellt werden, was einen | |
Mangel an Aufträgen unwahrscheinlich scheinen lässt. Die Verzweifeltesten | |
unter ihnen wagen sogar, während der Sperrstunden zu fahren, obwohl man das | |
wirklich nicht für besonders vernünftig halten kann. Aber ist es | |
vernünftig, dass einige Züge vor fünf Uhr morgens abfahren? | |
Wenn etwas verboten ist, man aber so gerne möchte – dann geht’s halt | |
irgendwie doch. Und dann kommt irgendein verängstigter Taxifahrer: „Falls | |
jemand fragt, dann seid ihr meine Verwandten und ich habe angeboten, euch | |
zum Bahnhof zu fahren“, erklärt er. „O. k., Verwandter, wie heißen Sie?�… | |
solchen Momenten kann man nur Mitleid mit einer Person haben, die gerade | |
neue Verwandte aus der Region Donezk angeworben hat. Aber egal, zum Glück | |
sind wir immer pünktlich und problemlos angekommen. Und so kommt man | |
irgendwann auch nach Hause. | |
Aus dem Russischen Gaby Coldewey | |
Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA | |
im September als Dokumentation heraus. | |
3 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Roman Huba | |
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