# taz.de -- Russisch-ukrainische Beziehungen: Familie auf Distanz | |
> Noch lange nach dem Zerfall der Sowjetunion waren persönliche Bindungen | |
> zwischen Russen und Ukrainern eng. Nach 2013 kühlten Beziehungen merklich | |
> ab. | |
Bild: Putin lässt sich feiern: Am 18. März läuft in Moskau die Propagandamas… | |
Neulich habe ich aus Spaß gesagt, dass der Krieg eine gute Möglichkeit sei, | |
unliebsame Verwandte loszuwerden. Nein, niemand wünscht ihnen den Tod, und | |
glücklicherweise sterben sie auch nicht durch Kugeln oder Granaten. Es | |
passiert einfach, wenn du in der Ukraine lebst und deine Verwandten in | |
Russland. | |
Es fing damit an, dass man bei vorsichtigen Anrufen feststellten musste, | |
dass man anscheinend unterschiedliches Fernsehen schaut. „Bei uns ist | |
gerade Revolution auf dem Maidan.“ – „Nein, bei euch sind Faschisten“, … | |
begann für viele Ukrainer dieser Prozess im Spätherbst 2013. Und das war | |
noch vor den Ereignissen auf der Krim [1][und dem Krieg im Donbass]. Das | |
russische Fernsehen sprach vom „Recht auf Selbstbestimmung der Bewohner des | |
Donbass“ und über die „Rückkehr in den heimatlichen Hafen“. Aus dem | |
Telefonhörer klang das genau so. | |
„Alle glücklichen Familien ähneln einander, jede unglückliche Familie ist | |
auf ihre eigene Weise unglücklich“, schrieb Lew Tolstoi. Er dachte dabei | |
natürlich nicht an die russisch-ukrainischen Beziehungen. Aber tatsächlich | |
haben die Geschichten darüber, wie der Krieg Familien auseinanderbringt, | |
ganz unterschiedliche Schattierungen. | |
Mein verstorbener Vater hatte einen älteren Bruder, der noch zu | |
sowjetischen Zeiten in Moskau landete. Als ich Kind war, fuhren wir | |
manchmal hin, in diese große, reiche Stadt, und mir kam sie vor wie ein | |
Wunder. Alles in Moskau war toll, besonders, wenn man an einem Tag erst im | |
Zoo und später im Zirkus sein konnte. | |
[2][Im Jahr 2014] brachen unsere Beziehungen zur Moskauer Verwandtschaft | |
nicht völlig ab, aber sie wurden deutlich distanzierter. 2018 starb mein | |
Vater, und ich wurde zum Bindeglied zwischen den beiden Zweigen unserer | |
Familie. Wie auch in vielen anderen Familien üblich bemühten wir uns, nicht | |
über politische Themen zu sprechen. | |
Jetzt, nach Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine, geht die | |
Witwe meines Onkels nicht mal mehr ans Telefon. Und einige Tage vor | |
Kriegsbeginn schrieb sie mir auf Social Media in die Kommentare, dass ich | |
Faschist sei. Ich denke, das ist nur eine Geschichte von Hunderttausenden. | |
Viele meiner Freunde haben Eltern, Großeltern, Brüder und Schwestern in | |
Russland. Im besten Fall beschreiben sie ihre Beziehungen als kompliziert, | |
obwohl es auch Ausnahmen gibt. Der Bruch mit Verwandten aufgrund | |
unterschiedlicher politischer Ansichten ist schmerzhaft. Doch die Praxis | |
zeigt: Er kann reversibel sein. | |
Aus dem Russischen von [3][Gaby Coldewey] | |
Finanziert wird das Projekt durch die [4][taz Panter Stiftung]. | |
27 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Roman Huba | |
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