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# taz.de -- Bahnverkehr in der Ukraine: Menschen aus Eisen
> Lange galt die ukrainische Bahn als ineffizientes Unternehmen. Nun retten
> Evakuierungszüge Millionen Menschen vor dem Tod.
Bild: Zivilisten an Bord eines Evakuierungszugs am 16. März 2022
Meine Eltern haben viel Mühe darauf verwandt, dass ich, wie man so sagt,
„Kopfarbeiter“ werde, und nicht beruflich in ihre Fußstapfen trete. Mein
verstorbener Vater war Eisenbahner und verbrachte fast sein ganzes Leben
auf den Schienen. Auch seine Eltern haben ihr ganzes Leben bei der
Eisenbahn gearbeitet. Sogar meine Mama, sowjetische Ingenieurin, wurde in
den 1990er Jahren Eisenbahnerin, weil die Fabrik, in der sie bis dahin
gearbeitet hatte, aufgehört hatte zu existieren.
Ironischerweise hat sie dann ihre eigene Mutter an der Fahrkartenkasse
abgelöst, als die in Rente ging. Unsere ganze Stadt, ein kleiner Fleck auf
der Landkarte im Gebiet Donezk, ist ein einziger großer
Eisenbahnknotenpunkt, der in den postsowjetischen Jahren für „nicht mehr
notwendig“ gehalten wurde, seit die neue Zeit und neue marktwirtschaftliche
Bedingungen Einzug gehalten haben. Und staatliche Unternehmen für
„ineffizient“ erklärt wurden.
[1][Und dann marschierte Russland in der Ukraine ein].
Als in der ganzen Ukraine russische Raketen einschlugen, begannen die
Leute, in den Westen des Landes zu flüchten. Die Straßen waren schnell
überfüllt und nicht ungefährlich, die privaten Busunternehmen erhöhten
sofort die Fahrpreise oder verschwanden einfach.
Ein großer Teil der Menschen, die aus anderen Regionen des Landes kamen
oder [2][in die Westukraine flüchteten, um von dort das Land zu verlassen],
fuhr mit Evakuierungszügen.
Haben Sie in Filmen über den Zweiten Weltkrieg schon mal Militärzüge
gesehen? Ja? Ungefähr genau so sehen die Evakuierungszüge von heute auch
aus, nur dass sie statt von einer Dampflok jetzt von einer Diesel- oder
Elektrolok gezogen werden. Die Zugfenster sind verdunkelt [3][zum Schutz
vor Luftangriffen], und die Züge fahren zwei-dreimal langsamer als
gewöhnliche. Aber sie fahren.
Eisenbahner in der Ukraine tragen besondere Schulterklappen und eine
Uniform. Früher habe ich Mama ausgelacht, haha, solche Schulterklappen, du
verkaufst doch bloß Fahrkarten. Jetzt rettet ein ganzes Heer von
Zugbegleitern, Lokführern, Fahrdienstleitern, Rangierern, Streckenarbeitern
und anderen Millionen Menschen. Mehr als drei Millionen bislang, um genau
zu sein. Meiner Meinung nach ist das mehr als effizient. Oder was meinen
die Herren Manager dazu?
Am 12. März fuhr der Evakuierungszug 261/262 Lemberg-Kramatorsk in die
Stadt Liman im Gebiet Donezk. Für die Zugbegleiterin Natalja Babitschewa
wurde dies die letzte Reise ihres Lebens. In der Umgebung der Station
Brusino geriet der Zug unter Beschuss. Nur einige Tage zuvor hatte genau
dieser Zug auf genau dieser Strecke meine Schwester und meine Nichte aus
der Region herausgeholt.
Bis zum 26. März sind 54 Arbeiter der Ukrainischen Eisenbahn durch
Kriegshandlungen ums Leben gekommen, 64 weitere wurden verwundet. Sie haben
nicht besonders gut verdient, ihre Arbeit war nicht prestigeträchtig und
die Bedingungen waren hart. Aber sie haben weitergearbeitet, um andere zu
retten. Ihre Leistung sollte nicht vergessen werden. An vielen Bahngebäuden
hängen Gedenktafeln zu Ehren der Arbeiter, die während des Zweiten
Weltkriegs gestorben sind.
Leider haben wir jetzt einen Grund, diese Tradition fortzuführen.
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
7 Apr 2022
## LINKS
[1] /Hauptstadt-der-Ukraine-im-Krieg/!5839658
[2] /Flucht-in-die-Westukraine/!5839807
[3] /Schutzraeume-im-Ukrainekrieg/!5844124
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Roman Huba
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kolumne Krieg und Frieden
Eisenbahn
Luftangriffe
Flucht
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