# taz.de -- Flucht und Evakuierungen in der Ukraine: Wer zurückbleibt, verdien… | |
> Ukrainer, die ihre Heimatorte nicht verlassen wollen, werden häufig | |
> kritisiert. Dabei gibt es ganz verschiedene Gründe, in den Kriegsgebieten | |
> zu bleiben. | |
Bild: Mychaylo Jurkiw, 65, klettert aus dem Bunker, in dem er im Gebiet Charkiw… | |
Eines der wichtigsten Themen im Kontext des russisch-ukrainischen Krieges | |
sind die Flüchtlinge. Millionen Menschen waren gezwungen, ihr Zuhause zu | |
verlassen, um ihr Leben zu retten. Sie sind jetzt [1][über die ganze Welt | |
verteilt], versuchen, an den neuen Wohnorten zu überleben, um zumindest | |
teilweise wieder ihren Lebensstandard aus der Vorkriegszeit zu erreichen: | |
eine Wohnung finden, einen Job, eine Schule für ihre Kinder, medizinische | |
Versorgung. | |
Aber was ist mit denen, die ganz bewusst in den umkämpften Gebieten | |
geblieben sind? Man hält sie oft für Selbstmordkandidaten, und manchmal | |
bezeichnet man sie sogar als Kollaborateure, die quasi auf die Okkupanten | |
warten würden. | |
[2][Meine Oma zum Beispiel] ist praktisch noch nie aus dem Gebiet Donezk | |
herausgekommen. Jetzt ist sie fast 80, sie ist Witwe, schwer krank und | |
möchte ihr Zuhause einfach nicht mehr verlassen. In ihrem kleinen Haus gibt | |
es keine einzige heile Fensterscheibe mehr, das Dach ist beschädigt und | |
fast alle ihre ehemaligen Nachbarn sind nicht mehr da. Seit einem halben | |
Jahr hat sie keinen Strom mehr und selbst das Aufladen ihres Mobiltelefons | |
wird zum Abenteuer, weil sie immer erst mal zu einem Haus gelangen muss, wo | |
ein Generator steht. | |
Dieses Existieren kann man nur noch mit gutem Willen als Leben bezeichnen. | |
Und solche Leute wie meine Oma gibt es viele. Die Behörden setzen sie | |
ständig mit der Forderung zur „Evakuierung“ unter Druck – obwohl die | |
staatliche Unterstützung hier sehr begrenzt ist. [3][Sie helfen dabei, die | |
Gegend zu verlassen]. Für alles Weitere ist man dann schon selber | |
verantwortlich. | |
„Wie kann man dort nur bleiben?“, schreibt jemand in einem Onlinekommentar. | |
„Sie sind selber schuld“, schreibt ein anderer, als wieder eine Meldung | |
über den Tod von Zivilisten in einem umkämpften Gebiet kommt. | |
„Man hat Ihnen doch die Evakuierung angeboten? Welche Forderungen haben Sie | |
denn noch?“, so enden üblicherweise diese Diskussionen. Menschen, die | |
verhältnismäßig warm und sicher leben, fällt es aus irgendwelchen Gründen | |
leichter, unschuldige Kriegsopfer zu beschuldigen als, sagen wir, die | |
Besatzungsmacht, die auch ihnen das Leben unerträglich macht. | |
Aber die Menschen, die noch in den umkämpften Gebieten leben, wollen nicht, | |
können nicht und sind in ihrem Zustand auch gar nicht mehr in der Lage, | |
noch irgendwohin zu fahren. Sie haben kein Geld, keine | |
Transportmöglichkeit, keine Verwandten in einer sichereren Gegend. Manche | |
haben kranke Eltern, manche haben Tiere, und machen haben einfach Angst, | |
ihr Haus zurückzulassen, weil das oft ihr einziger Besitz ist. | |
Ja, das sind häufig keine rationalen Entscheidungen, aber im Krieg sind | |
solche Entscheidungen generell ein Problem. Zum Beispiel wurden Häuser von | |
Menschen zerstört, weil Russland beschlossen hatte, die Ukraine zu | |
„denazifizieren“. Und das ist doch das eigentlich Nichtrationale. Die | |
Ersten, die „denazifiziert“ wurden, waren die Zivilisten, die das Pech | |
hatten, in Grenznähe zu leben. Sind sie auch selber daran schuld? | |
Die Stimmen derer, die Menschen verurteilen, werden lauter als die | |
derjenigen, die direkt im Kriegsgebiet leben und immer wieder darum | |
bitten, in Ruhe gelassen zu werden, anstatt sich politisch positionieren zu | |
müssen. Ich denke, man muss die Dagebliebenen verstehen. | |
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
14 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Roman Huba | |
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