# taz.de -- Der russische Krieg gegen die Ukraine: Sieben gerettete Leben | |
> Die Stadt Awdijiwka in der Ostukraine ist ständig unter Beschuss. Ein | |
> Freiwilliger riskiert jeden Tag sein Leben, um das anderer Menschen zu | |
> retten. | |
Bild: Ausgebrannte Schule in Awdijiwka | |
Es ist stockdunkel im Zimmer, nur das Licht des Laptop-Bildschirms fällt | |
auf Oleksijs Gesicht. Im Haus gibt es, wie in dem ganzen Dorf Nowosjolka, | |
seit einigen Tagen keinen Strom. Bei den Kämpfen wurde das Umspannwerk in | |
dem Dorf im Donezker Gebiet, das 20 Kilometer von der Stadt Awdijiwka | |
entfernt ist, zerstört. Noch ist es nicht gelungen, es wieder instand zu | |
setzen. | |
Doch auch das schummrige Licht hält gij nicht davon ab, konzentriert zu | |
arbeiten. Nicht nur, weil er bis morgen eine Übersetzung abliefern muss, | |
sondern auch, weil Explosionen regelmäßig in die Stille der Nacht donnern. | |
Manche irgendwo weit weg, manche ganz in der Nähe. | |
„Die Russen nehmen Awdijiwka von Donezk aus unter Beschuss und unsere Jungs | |
antworten“, erklärt er ganz ruhig, ohne vom Bildschirm aufzublicken. Er | |
will unbedingt noch vor Tagesanbruch fertig werden, denn nur nachts kann er | |
seinem Job als Englischübersetzer nachgehen. Von morgens bis spät abends | |
ist Oleksij als Freiwilliger unterwegs und versucht alles, um den Menschen | |
im vom Krieg gebeutelten Awdijiwka zu helfen. Aus Sicherheitsgründen soll | |
sein Nachname nicht veröffentlicht werden. | |
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine geht bereits in den fünften | |
Monat. [1][Besonders heftig gekämpft wird nach wie vor im Donbass], wo | |
bereits seit acht Jahren Krieg herrscht. Die russische Armee setzt alle ihr | |
zur Verfügung stehenden Waffentypen ein, um die Gebiete Luhansk und Donezk | |
vollständig zu erobern. Dabei bedient sich der Kreml der Taktik der | |
verbrannten Erde. Das heißt: Mithilfe schwerer Artillerie werden Städte und | |
Dörfer zerstört, bis nur noch Ruinen übrig sind. Dann übernehmen russische | |
Truppen die Kontrolle. Diese Taktik war bereits bei der Einnahme von | |
Mariupol, Sjewjerodonezk, Lyssytschansk und anderen Städten zu beobachten. | |
Doch ungeachtet dieser schwierigen Bedingungen [2][geht das Leben der | |
Menschen weiter]. Aus unterschiedlichen Gründen lassen sie sich nicht aus | |
ihren Heimatorten evakuieren. Sie haben kein Wasser, keinen Strom, kein | |
Gas, keinen Mobilfunk und keinen Zugang zu Medikamenten. Das gilt auch für | |
Awdijiwka. Von 20.000 Menschen, die hier vor dem Krieg gelebt haben, sind | |
noch rund 2.000 übrig geblieben. Und es liegt auch an Leuten wie Oleksij, | |
wie lange diese Menschen noch durchhalten können. | |
Oleksij stammt aus Awdijiwka, aber er musste die Stadt verlassen und sich | |
in dem Nachbardorf Nowosjolka niederlassen. Sein Haus befindet sich in dem | |
Teil der Stadt, der ständig angegriffen wird, dort sind besonders viele | |
Gebäude zerstört. Das Haus, in dem er jetzt wohnt, gehört Bekannten von | |
ihm. Diese halten sich derzeit in Norwegen auf. | |
Der Vater der Familie arbeitete in der Kokerei Awdijiwka, der größten | |
derartigen Anlage in Europa. Als er Anfang Mai nach der Arbeit nach Hause | |
fahren wollte, begann der Beschuss. Der Mann und einige Dutzend seiner | |
Kollegen warteten zu diesem Zeitpunkt an einer Haltestelle auf den Bus. | |
Zehn Personen starben sofort, weitere zwanzig wurden schwer verletzt, | |
einige verloren Gliedmaßen – darunter auch der Besitzer des Hauses, in dem | |
Oleksij jetzt wohnt. | |
Derzeit wird der Hausbesitzer in Norwegen behandelt, er muss lernen, sein | |
Leben mit Prothesen zu meistern. Frau und Tochter sind bei ihm. „So hatten | |
sie sich ihre erste Auslandsreise nicht vorgestellt“, sagt Oleksij und es | |
klingt bitter. In seinem vorübergehenden Zuhause kümmert er sich auch um | |
die zurückgelassenen Haustiere. Außer Hunden und Katzen gibt es auch noch | |
zwei Dutzend Küken, die nach der überstürzten Abreise der Familie | |
geschlüpft sind. | |
## Ständig Explosionen | |
Oleksijs Frau und seine zwei Kinder sind ebenfalls im Ausland. Im März sind | |
sie nach Berlin geflüchtet, die beiden Kinder gehen dort in die Schule. | |
Oleksijs Frau Switlana, die Ukrainischlehrerin ist, lernt jetzt Deutsch. | |
„Switlana will so schnell wie möglich wieder zurückkommen. Ich sehne mich | |
so nach ihnen und würde sie in dieser schwierigen Zeit so gerne bei mir | |
haben.“ Aber es gehe nicht, es sei einfach zu gefährlich. In ihrer Straße | |
wurden bereits mehrere Menschen durch Granatsplitter getötet. Vor ihrem | |
Haus hat eine Druckwelle den Zaun weggerissen und die Fenster zerbrochen. | |
„Man weiß nie, was ein neuer Tag bringt“, sagt Oleksij. | |
Als der Akku seines Laptops leer ist, verlässt Oleksij das Haus, trotz der | |
ständigen Explosionen vor dem Fenster. Er steigt in sein Auto, das im Hof | |
steht. Da es keinen Strom gibt, will er den Akku über die Autobatterie | |
aufladen. „Unter solchen Bedingungen muss man sich immer etwas einfallen | |
lassen“, sagt er. Und dann kommt ein Satz, der seltsam klingt an diesem | |
Ort. „Gleichzeitig schaue ich mir das Feuerwerk an.“ Das Feuerwerk, damit | |
meint er das Licht von am Himmel fliegenden Projektilen. | |
Zwei Stunden nachdem sich Oleksij ins Auto gesetzt hat, ist irgendwo in der | |
Nähe eine starke Explosion zu hören. Es scheint, als würden die Wände des | |
Hauses von einer Explosionswelle weggerissen. | |
Oleksij kommt ins Haus zurück und fragt, ob alles in Ordnung sei. „So etwas | |
habe ich noch nie gesehen! Diesmal gab es ein richtiges Feuerwerk! Tausende | |
kleiner Lichter begannen langsam vom Himmel auf Häuser in mehreren Straßen | |
zu fallen. Morgen früh werden wir herausfinden, wo sie genau niedergegangen | |
sind“, beschreibt er, was er gesehen hat. Das alles ähnelt sehr dem | |
Beschuss mit Phosphorbomben. Solche Geschosse sind mit Phosphor gefüllt, | |
der sich bei Kontakt mit der Luft entzündet. Die Verwendung dieser Granaten | |
ist durch die Genfer Konvention verboten, was Russland jedoch ignoriert. | |
## Rechtzeitig retten | |
Am Morgen erzählt Oleksij, dass er die ganze Nacht im Auto verbracht habe. | |
„Am Ende bin ich eingeschlafen. Aber mit meiner Arbeit bin ich fertig. | |
Jetzt steht ein anstrengender Tag bevor“, sagt er und macht sein Auto für | |
die Fahrt nach Awdijiwka startklar. Im Kofferraum seines alten Schigulis | |
verstaut er einige große Kisten. Das sind Pakete, die er an Menschen in der | |
Stadt verteilen muss, sowie eine Kiste mit Medikamenten für die örtliche | |
Apotheke. | |
Oleksij setzt einen blauen Helm auf und zieht eine Schutzweste mit der | |
Aufschrift „Freiwilliger“ über – daran befestigt er eine Taschenlampe, e… | |
Erste-Hilfe-Set und eine Aderpresse, um Blutungen stillen zu können. „Die | |
Straße, auf der wir fahren, wird beschossen. Deshalb muss es sehr schnell | |
gehen“, erklärt er und schließt den Kofferraum. Die Heckscheibe ist, wie | |
auch die Karosserie des alten Autos von Splittern beschädigt. Wie es dazu | |
gekommen sei, wolle er unterwegs erzählen, sagt Oleksij und startet den | |
Motor. | |
Er tritt das Gaspedal durch. Trotz des Alters des Autos, tiefer | |
Schlaglöcher und scharfer Kurven zeigt der Tacho 120 km/h. Er steuert das | |
Fahrzeug gekonnt – es wirkt, als könne er diese Route mit geschlossenen | |
Augen bewältigen. | |
Die Fahrt selbst erinnert an ein Rennen, bei dem es ums Überleben geht. Je | |
näher Awdijiwka kommt, desto mehr Explosionen sind zu hören. „Und jetzt die | |
Geschichte mit dem Auto“, sagt Oleksij und grinst. | |
Das Ganze ist erst vor einigen Wochen passiert, als er eine alte Frau aus | |
Awdijiwka evakuieren wollte. „Ich habe ihr lange gut zureden müssen, aber | |
sie hat sich jedes Mal geweigert und gesagt, dass sie sich mit ihren | |
Nachbarn im Keller gut fühle.“ So sei es auch dieses Mal gewesen. | |
Während er noch auf die ältere Frau eingeredet habe, den Keller zu | |
verlassen und in sein Auto einzusteigen, sei eine Grad-Granate nicht weit | |
von seinem Auto entfernt niedergegangen und habe das Fahrzeug zertrümmert. | |
Ein Granatsplitter habe das Fahrzeug nur wenige Zentimeter vom Benzintank | |
entfernt durchbohrt. „Glück gehabt. Vielleicht hat diese alte Frau uns das | |
Leben gerettet“, sagt Oleksij ironisch und fügt hinzu, dass sie sich am | |
Ende dann doch geweigert habe, die Stadt zu verlassen. | |
Überhaupt: Fast täglich muss Oleksij Menschen dazu überreden, Awdijiwka den | |
Rücken zu kehren. Die Gründe, warum sie das ablehnen, sind ganz | |
unterschiedlich. „Vor allem Familien mit Kindern verstehe ich nicht! Worauf | |
warten sie? Die Kinder müssen doch gerettet werden. Sie sind ohnehin schon | |
traumatisiert, nach Monaten unter diesen Bedingungen“, sagt Oleksij | |
sichtlich erregt. In den vergangenen Wochen hat er so manche Erfahrungen | |
sammeln können. | |
„Vor einigen Tagen musste ich bei einem alten Mann 20 Minuten lang | |
Überzeugungsarbeit leisten“, erzählt Oleksij. „Das ist viel, denn | |
normalerweise dauert eine Evakuierung einige Minuten, weil die ganze Zeit | |
geschossen wird. Schließlich war der alte Mann einverstanden, aber erst für | |
den nächsten Tag“, erinnert er sich. Als er wieder nach Awdijiwka kam, | |
erfuhr er, dass der Mann gestorben war, wahrscheinlich war die Belastung zu | |
groß gewesen. „Das war in der vergangenen Woche. Gestern habe ich eine | |
Nachbarin des alten Mannes getroffen. Die beschwerte sich bei mir, dass den | |
Mann noch niemand beerdigt habe und dass ich das tun müsse“, sagt Oleksij | |
und in seiner Stimme schwingt Verzweiflung mit. „Aber ich bin doch nur | |
Freiwilliger. Ich versuche Menschen zu retten, aber doch nicht zu | |
beerdigen.“ Und ergänzt: „Dazu habe ich auch rein juristisch keine | |
Berechtigung.“ | |
Mit Beerdigungen ist es derzeit in Awdijiwka schwierig. Die wenigen | |
verbliebenen Mitarbeiter der Bestattungsunternehmen können das | |
Arbeitspensum nicht bewältigen. Und allein stehende und ältere Menschen | |
haben nicht die Mittel, um für eine Beerdigung zu bezahlen. | |
## Sieben Anschriften | |
Die Ankunft in Awdijiwka erinnert an eine Szene aus einem Horrorfilm. Die | |
Straßen sind an diesem Tag Ende Juni fast menschenleer, jedes zweite | |
Gebäude ist beschädigt. Zunächst will sich Oleksij mit drei anderen | |
Freiwilligen treffen, die einen kleinen Bus haben, um Menschen zu | |
transportieren. Am Vortag hat er eine Liste mit den Namen und Adressen von | |
Personen zusammengestellt, [3][die ihn um eine Evakuierung gebeten haben]. | |
Heute sind es sieben Anschriften in verschiedenen Teilen der Stadt. Die | |
Freiwilligen teilen sie untereinander auf, um die Evakuierung so schnell | |
wie möglich über die Bühne zu bringen. | |
Unter der ersten Adresse lebt eine dreiköpfige Familie – ein Sohn mit | |
seinen alten Eltern. Als das Auto vor ihrem Haus eintrifft, stehen sie | |
bereits mit kleinen Taschen vor der Tür. Sie binden ihren Hund los und | |
lassen die Katze frei – die Nachbarn haben versprochen, auf die Tiere | |
aufzupassen. Sie schließen die Tür ab, verabschieden sich schnell und | |
steigen ins Auto. | |
„Wir haben 51 Tage im Keller gelebt. Immer wurde geschossen, Tag und Nacht. | |
Unsere Essensvorräte sind aufgebraucht“, sagt die 75-jährige Inna | |
Jewgenjewna zur Erklärung, warum sie Awdijiwka jetzt endlich verlassen. | |
„Wir fahren nach Dnipro. Dort hoffe ich Arbeit zu bekommen und meinen | |
Eltern dabei zu helfen, eine Wohnung zu finden“, sagt ihr Sohn, auch er | |
heißt Oleksij und ist 40 Jahre alt. Er ist zu seinen Eltern gezogen, | |
nachdem eine Granate in seine Wohnung im Zentrum von Awdijiwka | |
eingeschlagen war. „Das war schon das zweite Mal. 2016 ist das schon einmal | |
geschehen, da hatte ich gerade renoviert“, sagt er. Jetzt fährt die Familie | |
ins Ungewisse, doch sie ist froh, keine Angst mehr vor Granaten haben zu | |
müssen, die ihr Haus treffen könnten. | |
Als Nächstes fährt Oleksij zu einer alten Frau, die am Vortag endlich ihrer | |
Evakuierung zugestimmt hat. Ihr Haus befindet sich zwischen mehrstöckigen | |
Wohnblocks im Zentrum von Awdijiwka. Auf dem Weg dorthin entsteht langsam | |
ein genaueres Bild vom Leben der Bevölkerung. | |
In jedem Hof sitzen Menschen um ein Feuer herum. Manche sammeln Feuerholz, | |
schälen Kartoffeln, holen Wasser aus einem Brunnen oder bereiten das | |
Abendessen für die Nachbarn zu, irgendwo köchelt Wasser in einem Teekessel. | |
Es ist schwer vorstellbar, dass Menschen unter solchen Bedingungen leben | |
müssen. Alle haben ihre Häuser vor Augen – mit zerbrochenen | |
Wohnungsfenstern, Löchern in den Wänden von Granateinschlägen oder | |
ausgebrannten Eingängen. In der Nähe des Hauses der alten Frau trifft | |
Oleksij auf eine Nachbarin. Die alte Frau sei in der Nacht gestorben, sagt | |
sie tonlos. „Sie hat ihre Sachen zusammengepackt, sich in ihrer Wohnung in | |
einen Sessel gesetzt. Dort ist sie eingeschlafen. Wir habe sie vor einer | |
Stunde gefunden“, erzählt sie und fragt sofort, wann Oleksij die Tote | |
beerdigen könne. | |
Doch der zuckt nur mit den Schultern. Die Nachricht vom Tod der Frau | |
erschüttert ihn, doch er will jetzt nicht darüber reden. Leise sagt er: | |
„Ich muss weiter. Es warten auch noch andere.“ Nachdem alle Adressen | |
abgefahren sind, willigt er ein, den Anlaufpunkt für humanitäre Hilfe zu | |
zeigen bzw. das, was davon noch übrig geblieben ist. | |
Die Stelle war in einer Schule im Zentrum von Awdijiwka untergebracht. Vor | |
dem Krieg hat Oleksij hier oft Konzerte und andere kulturelle | |
Veranstaltungen für Schulkinder mit einer Gruppe lokaler Aktivist*innen | |
organisiert. | |
In den ersten Tagen nach Kriegsbeginn wurde im ersten Stock ein Lager für | |
humanitäre Hilfsgüter eingerichtet – Lebensmittel, Hygieneartikel, Wasser, | |
Medikamente, Kleidung und Tierfutter. Die Bewohner*innen wussten, dass | |
sie an diesem Platz Hilfe bekommen würden. Eines Nachts wurde das Gebäude | |
von russischen Grad-Raketen beschossen. Die Schule brannte vollständig | |
nieder. Da es keine Feuerwehr mehr in der Stadt gibt, wurde gar nicht erst | |
versucht, das Feuer zu löschen. | |
Obwohl der Beschuss bereits einige Tage her ist, raucht es noch aus einigen | |
Fenstern. Offensichtlich brennt es immer noch. Innen ist der ganze Boden | |
mit verbrannten Blechdosen übersät. „Das war die Garderobe. Hier hatten wir | |
Babynahrung gelagert. Und hier lagen Konserven und daneben Medikamente“, | |
sagt Oleksij. Die russische Armee begründete den Angriff auf die Schule | |
damit, dass sich hier angeblich ein Stab der ukrainischen Armee befunden | |
habe. | |
„Jeden Tag sind Menschen hierher gekommen. Sie haben gesehen, was für ein | |
Hauptquartier hier war. Ich will diese Absurdität gar nicht weiter | |
kommentieren“, sagt er. Plötzlich taucht eine Frau auf. „Sagt mal, kann ich | |
hier noch Futter bekommen?“, fragt sie und stellt sich als Alla vor, 63 | |
Jahre alt. „Hier sind so viele zurückgelassene Hunde und Katzen. Sie wollen | |
alle fressen, aber ich habe nicht genug Futter für alle.“ | |
Aber alles ist verbrannt. Doch im Auto eines anderen Freiwilligen liegt | |
noch ein halbes Päckchen Tiernahrung, das er der Frau gibt. Sie bedankt | |
sich und sagt leise beim Hinausgehen: „Oh, was war das für eine Schule. Wo | |
werden die Kinder jetzt hingehen?“ Sie bricht den Satz ab. | |
## Kein Soldat | |
Nach einer kurzen Pause sind wieder Explosionen in der Stadt zu hören. | |
Oleksij muss noch ein Paket abgeben – eine Schachtel mit Medikamenten für | |
eine der wenigen noch geöffneten Apotheken der Stadt. Sie befindet sich in | |
dem Teil, der nahe an der Front liegt. „Da muss ich unbedingt hin. Die | |
Leute warten auf die Medikamente“, sagt er und steigt ins Auto. Die | |
Entfernung ist kurz, aber die donnernden Geräusche von Explosionen machen | |
selbst eine kurze Fahrt zu einer Nervenprobe. | |
Nicht weit vom Ziel entfernt befindet sich auch das Haus von Oleksij. Aber | |
er hat nicht vor, dorthin zu gehen. Der Anblick des Hauses, in dem er alles | |
selbst hergerichtet hat und in dem seine Kinder aufgewachsen sind, ist zu | |
schmerzhaft. In der Apotheke wird Oleksij freudig begrüßt, das Personal | |
hört gar nicht auf, sich zu bedanken. | |
Für heute ist alles erledigt, jetzt geht es zurück in das fremde Haus, in | |
dem er wohnt. Manchmal kaufe er mit seinem Geld Medikamente, die er dann | |
verschenke, sagt Oleksij. Auch sein Auto betankt und repariert er auf | |
eigene Kosten. „Ich tue, was ich kann. Im Gegensatz zu anderen Leuten | |
verdiene ich hier etwas Geld, deshalb kann ich es für andere ausgeben“, | |
sagt er. Und dann erzählt er noch, dass er sich eigentlich der Armee haben | |
anschließen wollen, um die Ukraine zu verteidigen. Dann sei er jedoch | |
ziviler Freiwilliger geworden. „Ich bin kein Soldat, also habe ich mich am | |
Ende dafür entschieden, einfach anderen Menschen zu helfen. Ich kann nicht | |
untätig abseits stehen. Wie heißt es so schön: Die Freiwilligen kommen in | |
einer schwierigen Zeit für das Land. Also bin ich gekommen“, sagt er und | |
lächelt. | |
An diesem Tag holen die Freiwilligen sieben Menschen aus Awdijiwka heraus. | |
Das ist wenig für eine Stadt, in der immer noch rund 2.000 | |
Einwohner*innen ausharren. Aber es es sind sieben gerettete Leben. | |
Aus dem Russischen von Barbara Oertel | |
27 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anastasia Magasowa | |
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