# taz.de -- Intellektuelle zum Krieg in der Ukraine: Weltmeister im Pazifismus | |
> Deutsche Intellektuelle belehren die Welt mit ihrer Tugend und halten | |
> Waffenlieferungen an die Ukraine für kriegstreibend. Putin dürfte das | |
> gefallen. | |
Bild: Peace-Zeichen in einem Maisfeld | |
Ich verliere langsam die Beherrschung, wenn ich jenen zuhöre, die sich | |
gerade als Pazifisten inszenieren. Natürlich braucht eine Demokratie den | |
vielfältigen Diskurs. Natürlich müssen Fragen nach den Bedingungen, | |
Ursachen und Zielen dieses Krieges gestellt werden. Der Zweifel gehört | |
dazu, die Unsicherheit darüber, was richtig ist in dieser Zeit, all das | |
muss seinen Platz haben. Doch es gibt eine [1][spezifische Art des | |
deutschen Pazifismus,] die sich absichtlich dumm und naiv gibt, die so tut, | |
als wäre ein gewisser Habitus ausreichend, um Lösungen für das Ende eines | |
Angriffskriegs aus dem Handgelenk zu schütteln. | |
Locker, so den Ellbogen auf der Lehne des biederen Ohrensessels, versteht | |
sich, denn wie unverschämt muss man sein, um als gebildeter Deutscher zu | |
fragen: Wann hat Krieg etwas Gutes über die Menschheit gebracht? | |
Man tut so, als wüsste man nicht, wie es ist, wenn faschistische Herrscher | |
ihre Machtansprüche mit Gewalt durchsetzen. Wenn unter Diktatoren Kritiker | |
eingesperrt, wenn Zivilisten ermordet, Frauen vergewaltigt und Unschuldige | |
aus ihren Häusern vertrieben werden. | |
Krieg bringt nie Gutes, aber so mancher Verteidigungskrieg besiegt Böses. | |
Ex-Bundespräsident Gauck brachte es bei Markus Lanz in der Sendung auf den | |
Punkt: „Pazifismus ist ehrenvoll, führt aber nicht zum Guten. Er zementiert | |
nur die Dominanz der Bösen, der Unmenschlichen und der Verbrecher.“ | |
Im Moment wird man für Sätze wie diese in Deutschland immer häufiger als | |
Kriegstreiber beschimpft. Während sich die Superpazifisten als friedliebend | |
und besorgt inszenieren, werfen sie anderen den Krieg und seine Fortsetzung | |
vor, ohne auf die spezifischen Bedingungen näher einzugehen. Wer der | |
Ukraine für ihren Verteidigungskrieg Waffen liefern will, der wird | |
zunehmend in die Ecke der Kriegstreiber gestellt. Wer Waffenlieferungen | |
fordert, sei angeblich an Verhandlungslösungen nicht interessiert. Seit | |
Monaten äußert sich im Zwei-Tages-Takt irgendein deutscher Intellektueller | |
in diese Richtung, und sie alle bereiten damit eine gefährliche Stimmung in | |
einem Land, das bald schon in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten wird | |
und deshalb Ausdauer und Moral braucht. | |
Man tut in Texten und Interviews so, als sei die Verteidigung gegen Putin | |
das größte Problem an diesem Krieg. Man tut so, als wäre mit Putin nie | |
zuvor verhandelt worden, als hätte es nicht unzählige Abkommen mit Russland | |
gegeben, die Putin selbst gebrochen hat. Man tut nicht nur zwischen den | |
Zeilen, sondern immer offener so, als wäre dieser Krieg letztlich kein | |
strategisch angelegter Vernichtungskrieg Russlands, sondern die unnötige | |
Folge der Selbstverteidigung der Ukrainer. Kurz: Man tut so, als seien alle | |
anderen schuldiger an diesem Krieg als Putin. Am schlimmsten seien demnach | |
jene Kräfte, die mithelfen, die Vernichtung der Ukraine – im | |
völkerrechtlichen wie kulturellen wie körperlichen Sinn – zu verhindern. | |
Das sei unpazifistisch, womit wir wieder beim Anfang dieses Textes wären | |
und bei einer Debatte, [2][die sich im Kreis dreht,] doch genau dieses | |
Im-Kreis-Drehen ist der geistige Zermürbungskrieg, den Putin auf | |
moralischer Ebene bewirken will: Die Europäer, die ohnehin zu hoch zu | |
Werteross saßen, sollen entlarvt werden in ihrer Heuchelei. | |
Wenn nun also auch der Soziologe Hartmut Rosa einen Text schreibt, der | |
jene, die der Ukraine Waffen liefern wollen, in die Nähe von | |
Kriegsbefürwortern rückt, so ist das nicht nur eine Ehrverletzung jener, | |
die den Freiheitskampf der Ukraine verstehen, es ist auch ein gefährliches | |
Spiel mit den moralischen Kategorien, die es braucht, um Putin die Stirn zu | |
bieten. | |
Diesen Krieg will jedoch niemand außer Putin führen, wenn er anhält, so nur | |
deshalb, weil der Angriffskrieg nicht aufhört. Auch Rosa suggeriert, wie | |
viele andere, Putin würde bei entsprechenden Angeboten den ausgehandelten | |
Frieden akzeptieren – dafür wollen sie ihm fremdes Territorium schenken, | |
wie großzügig. | |
Der gute Putin wird – diesen Fantasien nach – plötzlich akzeptieren, dass | |
die zerstückelte Ukraine und andere russische Nachbarländer Teil der Nato | |
werden. Nach all dem Verständnis für sicherheitspolitische | |
Bedrängungsgefühle Putins soll er bei diesen Friedensverhandlungen | |
plötzlich akzeptieren, von der Nato umzingelt zu sein? | |
Das Völkerrecht ist plötzlich egal und die Jugoslawienkriege werden | |
instrumentalisiert und verzerrt – da habe man auch Kroatien und Slowenien | |
neu anerkannt. Ja, aber um die Angegriffenen zu schützen. Wenn man Bosnien | |
und Herzegowina herbeizieht, dann sollte man erwähnen, was das bis heute | |
bedeutet, wenn Aggressoren Land erhalten und von da an die Geschichte zu | |
ihren Gunsten und zum Schaden der Opfer verzerren, dafür reicht der Kampf | |
um das Erinnern in Srebrenica, das seit dem Abkommen von Dayton zur | |
Republika Srpska gehört. | |
Warum verwenden all diese Intellektuellen ihre Kraft nicht für | |
Überlegungen, wie aus der Energieabhängigkeit von Russland herauszukommen | |
wäre oder die Ärmeren durch den Winter gerettet werden könnten? Warum hat | |
man oft den Eindruck, eine bestimmte intellektuelle Klasse fürchtet, dass | |
sie ihre Themen so weit ausdifferenziert hat, dass ein archaischer Krieg | |
keinen Platz hat – und so opfert man die Realität dem Wunschdenken und | |
labelt das dann auch noch „Realpolitik“ – wie Hartmut Rosa es tat. | |
Es tut weh, wenn Autoren aus der Ukraine sich gezwungen sehen, den offenen | |
Briefen deutscher Intellektueller mit Texten entgegenzutreten, und man in | |
jeder Zeile liest, dass sie um ihr nacktes Überleben kämpfen. Nicht um | |
höhere Stromrechnungen, sondern um Vernichtung geht es. | |
Dabei argumentieren die Ukrainer entlang des Rechts, das die freie | |
westliche Welt sich gab, während jene, die in Freiheit leben, denken und | |
reden dürfen, bereit sind, diese Freiheit zu opfern, als wäre sie nichts. | |
27 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jagoda Marinić | |
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