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# taz.de -- Russische Exilanten in der Ukraine: Traum vom Pass mit dem Dreizack
> In der Ukraine wird darüber diskutiert, was Exilrussen erfüllen müssen,
> um die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Maksim Motin weiß: Es ist nicht
> leicht.
Bild: Begehrtes Dokument: ukrainische Pässe
Luzk taz | Maksim Motin hat einen Traum: Der Russe lebt seit vier Jahren in
der Ukraine und will endlich ukrainischer Staatsbürger werden. Schließlich
sei er doch vor Verfolgung geflohen, sagt Motin. Politische Flüchtlinge aus
Russland müssen, um die Staatsbürgerschaft der Ukraine zu erhalten, auf die
russische Staatsbürgerschaft verzichten und ein Dokument vorlegen, das
Repressionen aus politischen Gründen bestätigt.
Beides trifft auf Motin zu. Der Moskauer war als Manager für mehrere
Fußballklubs tätig, bevor er seine eigene PR-Agentur für Sportevents
gründete. In Moskau hatte der 38-Jährige zweimal erfolgreich bei
Kommunalwahlen kandidiert – 2012 und 2017. Wiederholt war er offen gegen
die Annexion der Krim aufgetreten, bis Freunde ihn warnten, dass ihm nur
wenige Stunden blieben, um einer Festnahme zu entgehen.
Angeblich soll Motin Gelder für ein Fußballturnier zwischen verschiedenen
Waisenhäusern unterschlagen haben. „Das ist eine weit verbreitete Praxis.
Leuten mit liberalen Ansichten werden Zuwendungen gegeben, um sie dann des
Diebstahls beschuldigen zu können“, sagt Motin.
2018 ging er in die Ukraine. Bis zum 24. Februar 2022 war er
Marketingdirektor bei dem Fußballklub „Ruch“ in Lwiw. Nach dem
Kriegsausbruch arbeitete er in der Produktion von Schutzwesten für die
ukrainische Armee mit. Deswegen wurde in Russland gegen ihn ein
Strafverfahren eingeleitet.
## Der „Fall Newzorow“
Motin wähnt sich auf der „richtigen Seite“, doch das alles reicht
offensichtlich nicht für einen Pass. Anders als im Fall von Alexander
Newzorow. Die Nachricht über den angeblichen Erwerb der ukrainischen
Staatsbürgerschaft durch den russischen Journalisten löste in der Ukraine
unlängst eine Welle von Diskussionen und Protesten aus. Dass Newzorow im
vergangenen Juni Ukrainer geworden war, hatte zunächst niemand mitbekommen.
Ukrainische Beamte und der russische Journalist selbst bestätigten den
Erhalt eines Reisepasses mit Dreizack zunächst, dementierten es dann aber
wieder.
Newzorow spart gegenwärtig nicht mit Kritik an Russlands Präsidenten
Wladimir Putin. Doch vorher hatte er einen anti-litauischen Film über die
Ereignisse von Januar 1991 in Vilnius gedreht (damals hatten moskautreue
Kräfte mit Unterstützung sowjetischer Militärs und Spezialeinheiten
versucht, sich an die Macht zu putschen. Dabei starben 14 Zivilisten, über
1.000 Personen wurden verletzt) und im Umfeld des Kreml gearbeitet.
Der „Fall Newzorow“ erinnerte die Ukrainer*innen daran, wem die
jeweiligen Präsidenten die ukrainische Staatsbürgerschaft in den
vergangenen acht Kriegsjahren verliehen hatten. So hatte der damalige
Staatschef Petro Poroschenko dem georgischen Ex-Präsidenten [1][Michail
Saakaschwili] im Mai 2015 einen ukrainischen Pass gegeben. Er sollte, als
Gouverneur in Odessa, helfen, Reformen umzusetzen. Doch dann kam es zum
Streit und Saakaschwili wurde aus dem Land gejagt. Wolodimir Selenski
machte die Entscheidung rückgängig und verhalf Saakaschwili wieder zu
einem ukrainischen Pass.
In den Genuss dieses Dokuments kamen außer Newzorow auch weitere russische
Journalist*Innen – darunter Marija Gaidar, Tochter des russischen
Wirtschaftsexperten und liberalen Politikers Jegor Gaidar. Sie wurde
Saakaschwilis Beraterin. An seinem letzten Arbeitstag verlieh Poroschenko
der Cousine des in Russland inhaftierten und von der Krim stammenden
Filmemachers [2][Oleh Sentsow], Natalia Kaplan, die Staatsbürgerschaft. Er
wollte das Verfahren zur Erlangung der Staatsbürgerschaft und zur Gewährung
von politischem Asyl für in ihrer Heimat verfolgte Bürger vereinfachen.
Aber ein entsprechender Erlass wurde erst im August 2019 von Selenski
unterzeichnet.
Lange hoffte Maksim Motin auch deswegen auf die ukrainische
Staatsbürgerschaft, weil er ukrainische Wurzeln hat. Allerdings ist seine
Großmutter in den Dokumenten nicht als Alla, sondern als Anna verzeichnet.
Das Protokoll ist unleserlich, die Korrektur muss ein Gericht vornehmen,
aber die Dokumente befinden sich im besetzten Luhansk.
Auf diesen Rechtsweg kann sich Motin derzeit nicht berufen – in
Kriegszeiten sind in der Ukraine alle Rechtsgeschäfte mit Russ*innen
verboten, selbst die Beglaubigung eines Dokuments durch einen Notar. Zudem
braucht Motin, um die russische Staatsbürgerschaft abzugeben, eine
Bescheinigung, dass keine offenen Geldforderungen des russischen Staates
(etwa nach der Verurteilung zu einer Geldstrafe) gegen ihn vorliegen.
„Sehr bald habe ich weitere Strafverfahren und Geldstrafen wegen
antirussischer Aktivitäten zu erwarten. Ich werde definitiv keine derartige
Bescheinigung erhalten. Trotzdem werde ich alle transparenten Spielregeln
akzeptieren. Ich verstehe, dass es unmöglich ist, Pässe in alle Richtungen
zu verteilen. Aber ich will unbedingt Ukrainer werden“, sagt Motin.
Er erzählt, dass die Ukrainer*innen sich vor, aber auch nach dem 24.
Februar ihm gegenüber normal verhielten. Ein wenig Ukrainisch hat er
bereits gelernt, im Gespräch wechselt er hin und wieder in diese Sprache.
## Sprachprüfungen gefordert
Noch hat Motin Chancen auf einen Pass mit Dreizack. Derzeit werden
entsprechende Gesetzesänderungen vorbereitet. Selenski hat die Regierung
angewiesen, einen Bürgervorschlag zur Einführung einer obligatorischen
Sprachprüfung für Bewerber*innen auszuarbeiten, die Ukrainer*innen
werden wollen.
Damit reagierte der Präsident auf eine Petition, die in kurzer Zeit 25.000
Unterschriften bekommen hatte und als Bedingung für die Zuerkennung der
ukrainischen Staatsbürgerschaft „Kenntnisse der Staatssprache oder
Kenntnisse in einem für die Verständigung ausreichenden Umfang“ fordert.
Schon jetzt verpflichtet das Gesetz die Bewerber*innen, ein
angemessenes Sprachniveau nachzuweisen, aber wie hoch dieses sein soll und
wie die Prüfungen ablaufen, ist nicht geregelt. In der Petition werden
Tests in ukrainischer Sprache und Geschichte der Ukraine vorgeschlagen, die
Kenntnis der Verfassung und der Nationalhymne.
Am 12. Juli hat der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal bekannt
gegeben, dass die Regierung Gesetzesvorlagen zur Einführung einer
umfassenden Prüfung für diejenigen vorbereite, die die ukrainische
Staatsbürgerschaft annehmen möchten. Maksim Motin kann also weiter hoffen.
Aus dem Russischen: Barbara Oertel
28 Jul 2022
## LINKS
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[2] /Regisseur-Oleg-Senzow-im-Hungerstreik/!5505787
## AUTOREN
Juri Konkewitsch
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Wladimir Putin
Exil
Michail Saakaschwili
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Ukraine
Inflation
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Lesestück Recherche und Reportage
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