# taz.de -- Salzburger Festspiele: Ein faustischer Konflikt | |
> Unheimlich war es in der Oper „Herzog Blaubarts Burg“ schon immer. Bei | |
> den Salzburger Festspielen sorgen russische Förderer für Beunruhigung. | |
Bild: „Herzog Blaubarts Burg“ mit Ausrine Stundyte (Judith), Mika Kares (He… | |
Wird die Kunst am Ende ihrer Geschichte wieder zur sakralen Angelegenheit? | |
Ein Besuch bei den Salzburger Festspielen scheint das nahezulegen. Der | |
[1][Regisseur Romeo Castellucci] und der Dirigent Teodor Currentzis | |
erschaffen das barocke Welttheater neu aus Elementen der Moderne: „Herzog | |
Blaubarts Burg“ von Béla Bartók und Carl Orffs selten gespieltes „De | |
temporum fine comoedia – Das Spiel vom Ende der Zeiten“. | |
Dieser Abend sucht über zwei Spielstunden Gott und das Schöne, beschwört | |
die Kunst als Gegenglück des Geistes in einer Welt, die den Zustand ihrer | |
Unaushaltbarkeit gerade neu definiert. Darin treffen beide Künstler nahezu | |
punktgenau die rückwärtsgewandte Utopie, die den Festspielen ein | |
Jahrhundert zuvor in den Trümmern des Ersten Weltkriegs und einer darin | |
zugrunde gegangenen Großmacht zur Gründung verhalf. Castellucci und | |
Currentzis zelebrieren Musiktheater von monumentaler Kargheit in seinen | |
Bildern und einer überbordenden Opulenz in seinen Mitteln. | |
Das könnte und sollte eigentlich jene seltenen Glücksmomente hervorbringen, | |
die das Theater heute so dringend braucht – angesichts knapper Budgets, | |
schlanker Betriebsführungen und eines Wettbewerbs um schwindende | |
Aufmerksamkeit. Gleichwohl stellt sich hier die Frage nach dem Preis der | |
Schönheit. Der überschattet, so der britische Guardian, die Eröffnung der | |
Festspiele am Tag dieser Premiere. | |
## Global agierende Kunstunternehmen | |
Castellucci wie [2][Currentzis] betreiben transnational oder schon global | |
agierende Kunstunternehmungen, die den hergebrachten Systemen öffentlicher | |
Förderung auf der nationalstaatlichen Ebene längst entwachsen sind. Auf der | |
Suche nach neuen Geldquellen sind sie bei [3][russischen Oligarchen fündig | |
geworden, die nach dem 24. Februar, dem Angriff Russlands auf die Ukraine | |
nun in neuem Licht erscheinen]. | |
Castellucci wird seit Jahren von der V-A-C-Stiftung von Leonid Mikhelson, | |
eines in der Gasbranche tätigen russischen Milliardärs gefördert. | |
Currentzis Unternehmen mit Chor und Orchester steht in Verbindung mit der | |
von der EU sanktionierten halbstaatlichen russischen VTB, Putins | |
„Privatbank“ (so der Guardian) und anderen Vertreter:innen des Regimes. | |
Ein Konzertprogramm, das auch bei den Festspielen zu hören sein wird, | |
tourte zuvor mit freundlicher Unterstützung von Gazprom durch Russland. | |
Die Frage, die sich hier stellt, ist nicht unbedingt die, die in und | |
außerhalb der Musikbranche derzeit heiß diskutiert wird: ob, wann und wie | |
glaubwürdig sich Künstler:innen zum russischen Angriffskrieg gegen die | |
Ukraine geäußert haben. Ginge es doch eher darum, die Zwecke zu betrachten, | |
die private Förderer verfolgen, von denen man direkt oder auch mittelbar | |
profitiert. | |
Wenn die Debatte, die sich jetzt entspinnt, einen bleibenden Nutzen haben | |
soll, dann leitet sie das Ende einer neoliberalen Ära in der Kulturpolitik | |
ein. Jahrelang hatte der österreichische Staat das Spektakel bei den | |
Betrieben einer repräsentativen Hochkultur zwar bestellt, hat dessen | |
Spitzenfinanzierung aber zunehmend den gewachsenen Geldvermögen überlassen, | |
von denen man sich den warmen Regen eines „Trickle- down“-Effekts für | |
gesellschaftlich wünschenswerte Praktiken erhoffte. | |
Die Verwunderung ist nun groß, dass sich das Schöne scheinbar selbst genügt | |
und die beiden anderen Werte der bürgerlichen Kunst-Trias, das Wahre und | |
das Gute, nicht frei Haus mitliefert. | |
## Zirzensischer Feuerzauber | |
Aber Schatten lassen sich am besten tilgen, indem man sie gänzlich ins | |
Dunkel taucht. Am Anfang von „Herzog Blaubarts Burg“ war die Bühne in der | |
Felsenreitschule zu Salzburg wüst und leer. Und bevor Licht war, jenes der | |
technischen Apparatur, verging glatt eine Stunde. Himmel und Erde waren | |
noch nicht geschieden, auch nicht Innen und Außen, wie ein Spielansager | |
(Christian Reiner) den andächtig Lauschenden verkündet. | |
Die Schrecken, die die Wunderkammern von Blaubarts Burg bergen, sind | |
getragen von Bartóks Musik zunächst nur als inneres Bild vorhanden, bis | |
Castellucci den darin ruhenden Schlaf der Vernunft in einen zirzensischen | |
Feuerzauber verwandelt. | |
Flammenskulpturen in geometrischen Grundformen brannten Menetekel des | |
Unbewussten ins horizontlose Dunkel, bis sie sich irgendwann in den Wassern | |
des gefluteten Bühnenbodens spiegelten. Die Seele ist ein weites Land, aber | |
was darin wütet, ist wie Feuer und Wasser. Schließlich malen die Elemente | |
die in Großbuchstaben spiegelsymmetrische Zeichenfolge „I-C-H“. Der Prozess | |
der Individuation führt durch Konflikte, angstbesetzte Entdeckungen und | |
Triebverzicht. | |
## Tour de Force ins Unbewusste | |
Das Libretto von Béla Balázs macht aus einem Schauermärchen über toxische | |
Männlichkeit eine Tour de Force ins Unbewusste, in der die sieben Kammern | |
von Blaubarts Burg nach und nach geöffnet werden. Unternommen wird sie von | |
einem Paar, Judith (Ausrine Stundyte) und Blaubart (Mika Kares). | |
Bezeichnenderweise ist der Logos darin weiblich, Judith treibt den | |
Erkenntnisprozess, Blaubart gibt nach und nach verdrängte Inhalte preis. | |
Die Psychoanalyse inspiriert die Kunst mit ihren Fragestellungen, ihre | |
Antworten an sie bleiben dann doch oft unterkomplex. Castellucci schenkt | |
dem Paar ein Kind, um es dann sterben zu lassen – eine | |
Kleinfamilienstruktur, die die Sache eher verkleinert. Zwischen | |
zirzensischer Verspieltheit und Weltdeutungspathos sind es die Stimmen von | |
Stundyte und Kares, die zuverlässig einen Weg durchs Dunkel weisen. | |
Im zweiten Teil des Abends reaktivieren Castellucci und Currentzis ein | |
vielleicht nicht zu Unrecht selten gespieltes Werk von Carl Orff – zur | |
Freude einer kleinen, aber verschworenen Gemeinde des Komponisten. „De | |
temporum fine comoedia – Das Spiel vom Ende der Zeiten“ wurde 1973 unter | |
Herbert von Karajan in Salzburg uraufgeführt. Mit großem musikalischem | |
Apparat und viel Schlagwerk setzt sich hier ein Wettstreit der Chöre, ein | |
weiblicher und ein männlicher, in Szene. | |
Die Weissagungen der vorchristlichen Sibyllen und die frühchristlichen | |
Anachoreten (Einsiedler) streiten in einer Art Battle-Rap über die letzten | |
Dinge, wer in den Himmel kommt, nur die Guten oder auch die Sünder. Bei | |
Orff bereut sogar Lucifer (wiederum Christian Reiner) und alles wird gut. | |
Castelluccis visuelle und choreografische Umsetzung gerät immer mehr in das | |
Fahrwasser einer Redundanz, die Orffs Taktschlag lediglich verdoppelt. | |
## Kein Verzicht auf Currentzis | |
Was sagt eigentlich die Festspielleitung zum Preis der Schönheit? Ein | |
kleinerer Sponsorenbeitrag des Bergbauunternehmens Solway wurde wegen | |
Umwelt- und Menschenrechtsverstößen in Guatemala auf Betreiben einiger | |
Künstler:innen aufgegeben. Vormalige Stars wie Anna Netrebko oder der | |
[4][Dirigent Valery Gergiev] sind ohnehin in der Klassikszene kriegsbedingt | |
in Ungnade gefallen. Gergiev, der es dem Vermögen nach selbst schon zum | |
Oligarchen gebracht hat, kanzelt der Eröffnungsredner der Festspiele, der | |
Schriftsteller Ilja Trojanow, hart, aber zu Recht als „Großgrundgewinnler“ | |
ab, „gefördert von den mafiösen Banken seines Landes“ und der Moskauer | |
Regierung. | |
Castellucci und vor allem Currentzis wollte Festspielintendant Markus | |
Hinterhäuser dagegen um jeden Preis halten. Auch wenn eine grundlegende | |
Erklärung zum Weltgeschehen, die Currentzis im Frühjahr noch in Aussicht | |
gestellt hatte, nie abgegeben wurde. Sein [5][Förderer VTB-Chef Andrei | |
Kostin] zitiert ihn in russischen Medien dagegen mit Loyalitätsbekundungen. | |
Currentzis wurde im Russland der 2000er Jahre zum Popstar, was ihn auch im | |
Westen begehrt machte. Was er nun durchlebt, ist ein faustischer Konflikt | |
auf hohem Niveau. Die Festspiele konnten gar nicht auf Currentzis | |
verzichten, sie hätten sonst ein klaffendes Loch mitten im Programm. | |
## „Another russian season“ | |
Wichtiger wäre indessen zu verstehen, wie der musikalisch-industrielle | |
Komplex Russlands im Westen wirkt, wie Geld in symbolische Werte, wie diese | |
in Geschäftsanbahnung, politischen Einfluss oder einfach nur gutes Wetter | |
in der Öffentlichkeit umgesetzt werden. | |
Das ist nicht erst seit dem 24. Februar ein Problem. Schon 2019 verkündete | |
ein Mitteilungsmagazin des russischen Außenministeriums stolz, dass die | |
Festspiele auf „another Russian Season“ zusteuerten. Das war kaum die | |
Wahrnehmung der Festspiele, ihres Publikums oder der österreichischen | |
Öffentlichkeit, erklärt aber möglicherweise im Nachhinein so manche | |
Großzügigkeit. | |
28 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Uwe Mattheiß | |
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