# taz.de -- Evakuierung aus der Ostukraine: Freiwillig im Donbass gefangen | |
> Viele Menschen im ukrainischen Donbass leben lieber ohne Strom in Ruinen, | |
> als ihre Heimat zu verlassen. Schuld daran ist auch russische Propaganda. | |
Bild: Eine Frau weint vor ihrem zerstörten Wohnhaus nach einem Raketenangriff … | |
„Wer braucht uns?“ „Wo werde ich wohnen?“ „Ich habe kein Geld, um | |
wegzufahren.“ Das sind die häufigsten Antworten von Menschen im Donbass auf | |
die Frage, warum sie sich bisher noch nicht an sicherere Orte haben | |
evakuieren lassen. Jeden Tag und jede Nacht werden ihre Städte von der | |
russischen Armee bombardiert. | |
Schon seit einigen Monaten gibt es dort weder Wasser noch Strom, kein Gas | |
und keine Internetverbindung. Die Menschen leben in Kellern und kochen auf | |
offenen Feuern. Wasser holen sie aus Brunnen, manchmal auch aus Pfützen. | |
Unter ihnen gibt es viele alte Menschen und genauso viele Kinder. Sie | |
spielen russisches Roulette mit dem eigenen Leben: [1][entweder sterben sie | |
durch Granatbeschuss oder an Hunger und Krankheit]. Trotzdem gehen sie | |
nicht weg. Und jedes Mal frage ich mich, warum. Und kann es nicht | |
begreifen, selbst wenn ich ihre Erklärungen höre. | |
Die, die bleiben, haben Angst. Aber paradoxerweise fürchten sie sich | |
weniger [2][vor den Raketen, die über ihren Köpfen hinweg fliegen], als vor | |
dem Unbekannten, das für sie mit der Evakuierung verbunden ist. Es scheint, | |
dass all diese Ängste stärker sind als der Selbsterhaltungstrieb, stärker | |
als der Wunsch, die eigenen Kinder zu schützen. „In unserem Haus schützen | |
uns die heimischen Wände“, antworten sie oft. Oder: „Besser im Keller | |
meines eigenen Hauses als in einer Turnhalle unter fremden Menschen.“ | |
Es scheint, als ob das Vermeiden der alternativlosen „schrecklichen | |
Bedingungen in den Turnhallen“ eines der am meisten verbreiteten Gerüchte | |
unter der lokalen Bevölkerung ist. Dieses Narrativ liest man vor allem in | |
den anonymen lokalen Onlinechats. So wie die Informationen darüber, dass | |
auch in den EU-Ländern niemand auf die ukrainischen Flüchtlinge warte und | |
sie von dort sogar zurück in die Ukraine geschickt würden. | |
Experten für Desinformation weisen darauf hin, dass dies eine der vielen | |
Informationstechnologien der russischen Propaganda ist. Sie zielt nicht nur | |
darauf ab, die Stimmung der Menschen im Donbass zu manipulieren, sondern | |
auch darauf, i[3][hre Evakuierung gezielt zu sabotieren]. Gleichzeitig | |
ändert das aber nichts am Problem, dass die Ukraine nicht über genügend | |
eigene Kräfte verfügt, um alle Binnenflüchtlinge umzusiedeln. | |
Jetzt gelten alle Anstrengungen der Unterstützung der Armee. Aber die Zeit | |
schreitet schnell voran, der Herbst rückt näher und mit ihm kommt die | |
winterliche Kälte. Selbst wenn die Kampfhandlungen bald zu Ende wären, gibt | |
es doch Hunderttausende Menschen, die ihre Wohnungen verloren haben und | |
nirgendwohin zurückkehren können. Wo und unter welchen Bedingungen diese | |
Menschen in einigen Monaten leben werden – darüber muss man bereits jetzt | |
nachdenken. | |
Aus dem Russischen von [4][Gaby Coldewey] | |
Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung]. | |
Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA | |
im September heraus. | |
27 Jul 2022 | |
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[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/ | |
[5] /!p4550/ | |
## AUTOREN | |
Anastasia Magasowa | |
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