# taz.de -- Ukrainisches Medienprojekt: Für die Freiheit | |
> Das unabhängige Medienprojekt „Donbas Frontliner“ berichtet seit einem | |
> Jahr aus der Ostukraine. Einblicke in ihre Arbeit im Kriegsgebiet. | |
Bild: Reporter halten Szenen aus dem Frontgebiet fest | |
KIEW taz | In ihren Videos und Texten sprechen sie selbst am wenigsten, die | |
Reporter des ukrainischen Medienprojekts „Donbas Frontliner“. Die Bilder | |
und Videos, die sie zeigen, sprechen für sich, und die Menschen, die sie | |
interviewen, bedürfen keiner Kommentierung mehr. Gerade weil nicht viele | |
Reporter direkt an die [1][Front in der Ostukraine] reisen, haben sich das | |
vor einem Jahr in der Ukraine gegründete „Donbas Frontliner“-Projekt das | |
Ziel gesetzt, direkt von der Front zu berichten und KollegInnen zu | |
unterstützen, die das auch wollen. | |
Es reiche nicht, Berichte von OSZE oder Militärs zu lesen und auch zu | |
analysieren, Journalisten müssten mehr an die Front fahren, sich ein Bild | |
von dem machen, was los ist, so die „Donbas Frontliner“ auf ihrem Portal. | |
Finanziert wird die Arbeit des Medienprojekts von Spenden und westlichen | |
Stiftungen, wie der Renaissance-Stiftung des Milliardärs George Soros. | |
Ihre Videos sind keine leichte Kost: immer wieder Bombenkrater, Verletzte, | |
Lazarette, Blut, Ärzte bei der Arbeit, Bahren für Verwundete und Tote. Ein | |
Dorfbewohner führt die Reporter auf den Friedhof, zeigt ihnen mehrere | |
frische Gräber. Drei der Toten seien jüngst von den russischen Besatzern | |
erschossen worden, berichtet er unter Tränen. Kriegsreporter Andriy | |
Dubchak, seit Jahren Foto- und Videokorrespondent und nun Gründer und Chef | |
von „Donbas Frontliner“, schafft es mit seinen Videoreportagen den | |
ZuschauerInnen etwas vom Lebensgefühl der Menschen in den umkämpften Orten | |
zu vermitteln. | |
Ärzte, die Schwerverletzte behandeln, beschreiben den ReporterInnen ihre | |
Gefühle. Eine Frau an einer Bushaltestelle, an der schon lange kein Bus | |
mehr fährt, erzählt, warum sie ihre umkämpfte Stadt Bachmut nicht verlassen | |
will, obwohl die meisten schon gegangen sind. „Ich bin für die Katzen und | |
Hunde zuständig, die hier sind.“ Sie bleibt in ihrer Wohnung, geht nun eben | |
alle Strecken zu Fuß. Und die 65-jährige Nadja fragt eher rhetorisch: „Soll | |
ich denn meine 95-jährige Mutter einfach hier lassen? Sie kann doch nicht | |
laufen.“ | |
Man kann nachempfinden, dass der Bauer, der die Reporter, begleitet von | |
seinen Hunden, durch sein Gehöft führt, resigniert und hilflos ist. An | |
einer Wand ist noch ein „Z“, das die Besatzer gemalt hatten, am Boden liegt | |
ein leeres Paket mit der Aufschrift „Russische Armee“, in der Küche ist | |
alles durchwühlt. In seinem Haus hatten russische Soldaten gelebt. Und man | |
kann gleichzeitig verstehen, dass der Mann hier zu Hause ist, nicht weg | |
will. | |
## Russische Besatzung | |
Am Gartentor ihres Hauses interviewte „Donbas Frontliner“ eine ältere Frau, | |
die von den Schüssen berichtet, von den Tagen und Nächten, die sie in ihrem | |
Keller verbracht hat und den Grausamkeiten, die sie vor allem durch | |
Militärs der „Volksrepubliken“ Lugansk und Donezk erfahren hat. Sechs | |
Monate habe sie unter russischer Besatzung gelebt, berichtet sie. Und | |
trotzdem scheint sie gerne in diesem Garten zu stehen. | |
Deutlich wird dieses Gefühl auch bei einem anderen Video, das eine Frau, | |
die Kartoffeln sortiert, zeigt – und im Hintergrund ein abgebranntes Haus. | |
Dubchak spricht in einem Video auch von seinen persönlichen Ängsten. | |
Aggressiver geworden sei der Krieg, so seine Beobachtung. Und fügt dann | |
hinzu: „Gut, dass ich überlebt habe.“. | |
„Seit der Gründung des unabhängigen, interaktiven Mediums „Donbas | |
Frontliner“ im Jahr 2021 sind die Foto- und Videoreportagen von Andriy | |
Dubchak eine der wichtigsten Informationsquellen über das Leben an der | |
Front im Donbas“, heißt es in der Würdigung der Zeit-Stiftung für die | |
Auszeichnung von Dubchak mit dem Free Media Award 2022. | |
Dubchak, der seit 2003 für Radio Liberty arbeitet, war der erste | |
Journalist, der die Maidan-Proteste 2013 live gestreamt hatte. Wenig | |
später, als Russland die Krim annektierte, war er auch vor Ort. Sein Team | |
war zur Stelle, als die Verbrechen von Irpin und Butscha bekannt geworden | |
sind. Und die „Donbas Frontliner“ hatten auch vor einer Woche direkt | |
[2][aus Cherson] den Einsatz von Streubomben durch die russische Armee | |
dokumentiert. | |
Dubchak sieht seine Arbeit als Reporter auch als Kampf für Freiheit und | |
Unabhängigkeit. In einer Message an seine Zuschauer im Ausland ruft er | |
diesen zu: „Ihr müsst uns helfen, denn wir kämpfen für unsere | |
Unabhängigkeit, für die Freiheit. Wir sind freie Menschen. Und wenn wir das | |
hier nicht stoppen können, wird sich das, was wir hier erleben, auf Europa | |
ausbreiten.“ | |
24 Nov 2022 | |
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[1] /Journalismus-in-der-Ukraine/!5870873 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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