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# taz.de -- Berliner Onlineportal über Ukraine-Aufbau: Was aus den Ruinen ents…
> Sofia E. ist aus Russland nach Berlin geflohen. Nun hat sie „Pyl“
> grgründet, das sich vor allem mit dem Wiederaufbau der Ukraine
> beschäftigt.
Bild: Banksy was here: Zerstörung im Kiewer Stadtteil Borodyanka
Ein neues Medium an den Start zu bringen in Zeiten wie diesen, noch dazu im
Exil, erfordert Mut und Risikobereitschaft. Sofia E. hat beides, und sie
hat noch mehr: Sie brennt für ihre Themen und hat einen unerschütterlichen
Glauben an sich selbst. „Ich weiß, dass ich das stemmen kann“, sagt sie.
Die 30-jährige Russin, die auch einen israelischen Pass hat, lebt seit
Mitte Juni mit ihrem Mann in Berlin. Sie ist eine von vielen Russ*innen,
die ihr Heimatland im Zuge von Wladimir Putins [1][Angriffskrieg gegen die
Ukraine] verlassen haben und versuchen, im Ausland beruflich Fuß zu fassen.
Das Projekt, dem sich die junge Frau jetzt widmet, ist das
russischsprachige [2][Onlineportal Pyl ] (Staub). Seit August ist es
online.
Eigentlich richtet sich das Portal an Menschen, die sich für Architektur
sowie nachhaltige Stadtentwicklung interessieren. Doch der russische
Angriffskrieg mitten in Europa hat das Themenspektrum etwas erweitert, etwa
darum, wie Städte, von denen nach massiven Angriffen außer ein paar
verkohlten Ruinen nichts übrig geblieben ist, wiederaufgebaut werden
können.
Sofia E. verbringt ihre Jugend in der südrussischen Stadt Samara. Mit 16
beginnt sie in der Zeitung ihrer Schule erste journalistische Erfahrungen
zu sammeln, wird mit der Goldenen Feder, dem renommierten russischen Preis
für journalistischen Nachwuchs, ausgezeichnet und stellt eine
Journalistenakademie für Kinder auf die Beine. Zum Thema Urbanistik kommt
sie während des Besuchs einer litauischen Sommerschule in Vilnius. Nach
ihrem Studium landet Sofia E. schließlich am Moskauer Strelka-Institut für
Medien, Architektur und Design, das sechsmonatige Postgraduiertenprogramme
für Urbanistik und Stadtentwicklung sowie thematisch ähnlich ausgerichtete
Sommerschulen für ein breit interessiertes Publikum durchführt. Bei dem
Institut hat Sofia E. bald ihren eigenen Blog. Dieser geht in der Folgezeit
nahtlos in das bilinguale Onlinemagazin Strelka Mag (in englischer und
russischer Sprache) über, das außer Sofia E. noch rund 20 weitere
Mitarbeiter*innen mit Inhalten versorgen. 2021 verzeichnet das Magazin
450.000 Besuche im Monat und erwirtschaftet 70 Prozent der Finanzen in
Eigenregie.
## Es läuft gut – bis der Krieg kommt
Es läuft gut für Sofia E. Dann kommt der Februar 2022. Als Russlands
Präsident Putin am 21. Februar die beiden Volksrepubliken Luhansk (LNR) und
Donezk (DNR) in der Ostukraine offiziell anerkennt, beschleichen Sofia E.
bereits böse Vorahnungen. Drei Tage später beginnt der Krieg. „Wir waren
starr vor Schreck, uns fehlten die Worte. Dann dachten wir, das alles ist
in drei bis vier Tagen vorbei und wir warten erst einmal ab“, sagt sie der
taz.
Ein Irrtum. Am 28. Februar stoppt das Strelka-Institut bis auf Weiteres
alle Aktivitäten, auch für das Strelka Mag stellt sich die Existenzfrage –
vor allem, weil für Medien noch strengere Zensurvorschriften in Kraft
treten. „Wir haben uns gefragt: Wie weitermachen, wenn ein Krieg nicht
Krieg heißen darf? Und über die Weiterentwicklung von Städten zu schreiben,
wenn Russland seinen Nachbarn bombardiert, das kam mir unangemessen vor“,
sagt Sofia E.
Am 4. März verlässt sie Russland – zuerst in Richtung Israel, das Strelka
Mag wickelt sie sechs Tage später von dort aus ab. Anfang April reift bei
ihr der Gedanke, ein neues Projekt außerhalb von Russland in Angriff zu
nehmen. Sie hat so etwas noch nie gemacht, geschweige denn Mittel, um ihre
Idee umzusetzen. Aber sie hat ihr Team: sechs Menschen, von denen einige zu
diesem Zeitpunkt noch in Russland, andere bereits im Exil sind. Sofia E.
holt sich juristischen Rat, schließlich geht es um die persönliche
Sicherheit ihrer Mitstreiter*innen. Aber obwohl das Terrain gefährlich
ist, wollen alle mitmachen.
## Wieder ins Gespräch kommen
Sei nunmehr fast vier Monaten ist Pyl online. Aber der Anfang ist
beschwerlich für das siebenköpfige Kernteam, dem derzeit auch noch drei bis
vier freie Mitarbeiter*innen Material zuliefern. Für 2022 hat Pyl
insgesamt 50.000 Euro Starthilfe erhalten. Geldgeber ist der JX Fund, den
die Rudolf Augstein Stiftung, Reporter ohne Grenzen und die Schöpflin
Stiftung gegründet haben. Der europäische Fonds unterstützt
Medienschaffende, die aus Kriegs- und Krisengebieten geflohen sind, damit
sie ihre Arbeit im Exil fortsetzen und die dort notwendigen
Redaktionsstrukturen aufbauen können.
Derzeit steht die Berichterstattung von Pyl ganz im Zeichen des
Ukrainekriegs und seiner Folgen. Jedoch seien die [3][Zerstörung und der
Wiederaufbau von Städten] auch über die Ukraine hinaus interessant, sagt
sie. Als ein Beispiel führt sie Berlin und das Umland an. Da würden ja auch
jetzt noch Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Insgesamt sollen sich
die Inhalte jedoch nicht nur an Architekt*innen, Journalist*innen und
andere Spezialist*innen richten, sondern man wolle ein größeres Publikum
erreichen. „Dazu gehören alle russischsprachigen Menschen, die in andere
Länder gegangen sind, um sich dort ein neues Leben aufzubauen“, sagt Sofia
E.
Um Reichweite zu generieren, werden alle möglichen Kanäle in den sozialen
Medien genutzt. Doch die Zahlen sind bislang überschaubar: 653
Abonnent*innen auf Instagram, 530 auf Telegram, 250 auf Tiktok. Viel ist
das nicht, aber einzelne Videos erreichen mitunter auch mal 62.000
Accounts. Wie bei einem Video, worin die Geschichte einer Notunterkunft für
Russen in Kasachstan erzählt wird. Sie waren vor der Mobilisierung in
Russland geflohen.
Ein besonderes Anliegen ist es für sie, mit den Ukrainer*innen ins
Gespräch zu kommen. „Der Krieg ist auch eine menschliche Katastrophe. Es
muss geschrieben werden, was ist“, sagt sie. Momentan ist Sofia E. auf der
Suche nach Protagonist*innen und Autor*innen: Menschen, die unter
russischer Besatzung gelebt haben, oder Aktivist*innen, die beim
Wiederaufbau helfen. Die Kommunikation gestaltet sich schwierig. Bislang
hat sich erst eine ukrainische Journalistin bereit erklärt, für Pyl einen
Kommentar zu schreiben.
„Ich warte auf den Moment, dass wir wieder miteinander reden können. Dieser
Krieg hat viele Gesichter. Wir werden Jahrzehnte brauchen, um zu
reflektieren, was passiert ist“, sagt sie. Trotz aller Schwierigkeiten ist
Sofia E. zuversichtlich, die Unterstützung wachse – langsam, aber stetig,
sagt sie. Eine gute Portion Optimismus wird sie auch brauchen. Rund 200.000
Euro benötigt das Redaktionsteam, um im kommenden Jahr einigermaßen über
die Runden zu kommen.
9 Dec 2022
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[2] https://pyl.media/
[3] /Politologe-ueber-Wiederaufbau-in-Ukraine/!5890876
## AUTOREN
Barbara Oertel
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