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# taz.de -- Arbeitsbedingungen an Unis: „Professur ist ein Lottogewinn“
> Die Situation für junge Wissenschaftler:innen an Unis ist prekär –
> und nach den Ampel-Plänen bald noch schlimmer, sagt die Professorin
> Paula-Irene Villa Braslavsky.
Bild: Unbefristete Festanstellung an der Uni gleiche einem Sechser im Lotto, sa…
wochentaz: Frau Villa Braslavsky, Sie haben vor 25 Jahren promoviert. War
die Arbeit als junge Wissenschaftlerin damals auch schon prekär?
Paula-Irene Villa Braslavsky: Ja, das war sie eigentlich schon immer.
Bereits Max Weber hat in einem Vortrag 1917 das Risiko beschrieben, fest in
der Wissenschaft bleiben zu wollen. Als ich studiert und promoviert habe,
war das Stereotyp, dass wir in den Sozialwissenschaften später Taxi fahren.
Eine Professur zu ergattern ist damals wie heute ein Lotteriespiel.
Trotzdem muss man sagen, dass sich die Situation noch deutlich verschärft
hat.
Viele schreiben das dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu, das befristete
Arbeitsverträge für insgesamt 12 Jahre zulässt. Unter dem Hashtag
[1][#WirSindHanna] berichten Wissenschaftler:innen von Kettenverträgen
und psychischem Druck. Warum tun junge Menschen sich das überhaupt an?
Weil es – bei allen Problemen – ein inhaltlich toller Job ist. Es gibt eine
sehr starke innere Motivation: Ich will dieses mathematische Problem oder
jene ökologischen Fragen lösen. Und weil es ja wirklich die Aussicht gibt,
die Lotterie zu gewinnen und damit in eine zumindest in Deutschland extrem
privilegierte Situation zu kommen.
Das schaffen jedoch nur die wenigsten. Bei Wissenschaftler:innen unter
45 Jahren sind 93 Prozent befristet angestellt.
Der Leidensdruck ist sehr hoch, unbefristete Stellen gibt es tatsächlich
nur für wenige Professor:innen, zum Glück auch an meinem Lehrstuhl, an der
Ludwig-Maximilians-Universität in München. Wie die meisten deutschen
Universitäten ist da auch die LMU strukturkonservativ. Dabei wollen wir
Professor:innen gar nicht alle unbedingt 3 oder 10 „eigene“ Mitarbeiter
haben. Viele würden mit diesen Stellenanteilen lieber langfristige
Perspektiven schaffen, das tun wir auch jetzt zum Teil schon, wenn es
technisch geht.
Vergangene Woche hat Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP)
Eckpunkte vorgestellt, wie sie die Arbeitsbedingungen an Hochschulen
verbessern will, und damit großen Protest ausgelöst – auch unter
Professor:innen. In einem [2][auf Twitter geposteten Protestbrief]
bezeichnen Sie die Pläne als „Verschlimmbesserung“. Warum?
Manche Vorschläge Stark-Watzingers wie die Mindestlaufzeiten für
Arbeitsverträge gehen in die richtige Richtung. Andere leider nicht. So
sollen Wissenschaftler:innen nach der Doktorarbeit statt bisher für
sechs künftig nur mehr für drei Jahre befristet angestellt sein dürfen. Die
Idee dahinter – den Personen früher zu sagen, ob sie im System bleiben
können oder nicht – mag ja gut sein. Das Problem ist aber: In drei Jahren
hat man keine Chance, sich so zu qualifizieren, dass man im Wettbewerb um
eine Professur bestehen könnte.
Warum nicht?
Weil die Anforderungen für eine Berufung so hoch sind. Wenn Sie heute einen
begutachteten Fachartikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift
veröffentlichen wollen, dauert das locker anderthalb Jahre oder deutlich
mehr. Und Sie brauchen ja eine ganze Liste an Publikationen, bevor Sie
irgendwo für eine Vollprofessur genommen werden. Dann noch die
Habilitation, die in vielen Fächern wichtig ist. Und Sie müssen auch
lehren, sich vernetzen, auf Tagungen gehen, Vorträge halten – und konkret
forschen, ob im Labor oder an der Ausgrabungsstelle. Dazu kommt, dass das
alles genau mit der Phase der Familiengründung zusammenfällt. Das ist in
drei Jahren einfach nicht zu schaffen.
Stark-Watzinger verspricht mehr Zeit für Eltern.
Diese Regel gilt ja jetzt schon. Wir sehen aber, dass das in der Praxis
nicht gerecht läuft. Das ist ein so kompetitives Feld, da hat jede
Publikation Gewicht. Wenn sich hundert Personen auf eine Professur
bewerben, sind Bewerber:innen, die halt ein bisschen länger gebraucht
haben, einfach weg vom Fenster. Deshalb muss man das System grundlegender
ändern.
Wie sähe eine Lösung aus? Eine Dauerstelle für jede:n nach der Promotion?
Ich finde das einen sehr überlegenswerten Vorschlag. Das dreht den Spieß
um, die Entfristung ist dann der Normalfall. Ich weiß aber nicht, ob nach
der Promotion wirklich alle Stellen automatisch entfristet werden müssen.
Wettbewerb ist ja an sich etwas Gutes – wenn er wirklich auf Leistung
basiert und wenn es langfristige Perspektiven für viel mehr Forschende als
jetzt gibt.
Die Umsetzung scheint aber schwierig, wie man in Berlin sieht. Dort wehren
sich die Unis vehement gegen das neue Hochschulgesetz, das Menschen mit
Promotion, sogenannten Post-Docs, eine Aussicht auf eine unbefristete
Stelle garantiert. Mehrere Klagen laufen, und wie die neue Koalition zum
Thema steht, ist ungewiss.
Zum Streit in Berlin will ich mich nicht äußern. Er zeigt aber, dass wir
andere, gerechtere Strukturen schaffen müssen. Bei uns in Deutschland gibt
es wenige unbefristete Professor:innen und sehr viele befristet
angestellte „Nachwuchswissenschaftler:innen“. Und dazwischen quasi
nichts. Es kann aber doch Mittel- und Langfristigkeit geben, die weder
ausbeuterisch prekär noch lebenslänglich sein muss.
Was halten Sie vom Modell der „Tenure Track“-Professuren, über die
Hochschulen Wissenschaftler:innen mit fester Zusage auf Entfristung
binden können? 1.000 solcher Stellen bezahlt der Bund bis 2032.
Das ist eine Möglichkeit. Allerdings geht jedes Bundesland und jede
Universität anders mit diesen Stellen um. Und 1.000 Stellen sind bei über
200.000 wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen an deutschen Hochschulen
natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Da braucht es eine
konzertierte Aktion zwischen Bund und Ländern. In Großbritannien, Holland,
Dänemark etwa gibt es viel mehr alternative Wege, um dauerhaft in Forschung
und Lehre arbeiten zu können. Wir brauchen auch in Deutschland mehr
Dauerstellen in der Breite.
Die Hochschulen erwidern, dass sie unterfinanziert seien und zu viele
Dauerstellen das System „verstopfen“.
Das glaube ich nicht. Man könnte ja mal radikal darüber nachdenken, ob
Stellenanteile von den Professuren abgegeben werden können. Als unsere
Kinder noch jünger waren, hätte ich gerne in Teilzeit gearbeitet. Irgendwas
muss passieren. Sonst werden wir irgendwann keine Leute mehr finden, die
sich die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft antun wollen.
Drei Ihrer Kollegen warnten diese Woche in der FAZ, die Reformpläne der
Bundesregierung könnten Wissenschaftler:innen ins Ausland treiben.
Ja, das ist denkbar, wobei das nicht per se tragisch sein muss. Ins Ausland
zu gehen ist schließlich ein wichtiger Teil einer wissenschaftlichen
Karriere. Das Problem ist eher, dass es sich vor allem diejenigen leisten
können, die aus besser gestellten Verhältnissen kommen. Wenn die
Bundesregierung mit ihrer geplanten Reform also Akademiker:innen
„vertreibt“, verstärkt das die bestehenden sozialen Ungleichheiten in
Forschung und Lehre noch weiter.
Noch ist aber nichts beschlossen. Nach der massiven Kritik von Ihnen und so
vielen anderen hat das Bundesbildungsministerium für die letzte Märzwoche
[3][zu neuen Gesprächen] eingeladen. Hat Sie das überrascht?
Ehrlich gesagt, schon. Ich bin auch überrascht, wie viele
Professor:innen unseren Protestbrief unterschrieben haben und sagen: So
geht das nicht. Offensichtlich hat das auch das Ministerium nachdenklich
gemacht.
Es gab doch bereits Gespräche mit allen Akteur:innen. Was erwarten Sie sich
jetzt von einer weiteren Runde?
Ich erwarte schon, dass wir dieses Mal stärker gehört werden. Ich fände
auch gut, wenn der Wissenschaftsrat stärker in den weiteren Prozess
eingebunden würde. Also eine unabhängige Instanz, die Vorschläge auf
Grundlage von evidenzbasierter Forschung macht.
Muss es in den Gesprächen auch stärker um die Folgen befristeter
Arbeitsverträge gehen? Laut einer [4][repräsentativen Umfrage] des
Netzwerkes für Gute Arbeit in der Wissenschaft schaden diese Modelle auch
massiv der Arbeitskultur. Befristet Angestellte üben etwa seltener Kritik,
weil sie um ihre Stelle bangen.
Vollkommen! Ich kenne die Studie und kann nur unterstreichen, wie wichtig
ihre Ergebnisse sind. Ein anderer Punkt wäre hier die zunehmend
problematische Publikationspraxis. Wegen des hohen Wettbewerbs steigt auch
der Publikationsdruck. Das führt dazu, dass unspektakuläre Ergebnisse zum
Teil nicht mehr veröffentlicht werden. Innerhalb der Wissenschaft ist
Konsens, dass das der Qualität von Forschung und Lehre schadet. Auch diese
Kritik muss die Bundesregierung berücksichtigen.
Halten Sie das für wahrscheinlich?
Ich hoffe, dass sich Frau Stark-Watzinger und ihr FDP-geführtes Ministerium
endlich der Erkenntnis öffnen, dass Innovation und Exzellenz nicht durch
Fluktuation entstehen. Gute wissenschaftliche Arbeit braucht Kontinuität
und Zeit.
27 Mar 2023
## LINKS
[1] https://twitter.com/wirsindhanna
[2] https://twitter.com/DieVilla4
[3] /Arbeitsbedingungen-an-Hochschulen/!5920100
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## AUTOREN
Ralf Pauli
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