# taz.de -- Neues Hochschulgesetz in Berlin: „Druck auf andere Bundesländer�… | |
> Berlins neues Hochschulgesetz beinhaltet Dauerstellen für | |
> Postdoktoranden. Amrei Bahr, Mitinitiatorin von #IchBinHanna, verlangt | |
> mehr Antrieb von Unis. | |
Bild: Semesterstart in Berlin an der Freien Universität | |
taz: Frau Bahr, Sie sind seit Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin | |
tätig. Hatten Sie jemals einen unbefristeten Arbeitsvertrag? | |
Amrei Bahr: Nein, bislang nicht. Allein in den vergangenen vier Jahren | |
hatte ich insgesamt acht verschiedene Arbeitsverträge. | |
Mit dieser Problematik sind Sie nicht allein. | |
Die meisten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen hangeln sich von | |
Arbeitsvertrag zu Arbeitsvertrag. Insgesamt sind 92 Prozent der unter | |
45-Jährigen ohne Professur befristet angestellt. Das ist für viele | |
Betroffene ein großes Problem: Sie wissen nicht, wo und wann sie den | |
nächsten Job oder die nächste Projektzusage erhalten, und im schlimmsten | |
Fall wissen sie nicht einmal, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. | |
Der Senat in Berlin hat reagiert und vor Kurzem das Berliner | |
Hochschulgesetz reformiert: Wer promoviert und weiter wissenschaftlich | |
arbeitet, muss künftig eine sichere und unbefristete Anstellung erhalten. | |
Sind damit alle Probleme gelöst? | |
Es ist sehr zu begrüßen, dass die Politik den Handlungsbedarf endlich | |
erkannt hat und Postdoktoranden zumindest in Berlin eine Perspektive | |
erhalten. Aber es braucht auch auf Bundesebene eine einheitliche | |
gesetzliche Regelung und eine bessere Grundfinanzierung. Außerdem gilt die | |
Reform im Moment nicht für alle. | |
Für wen denn nicht? | |
Die Novelle gilt nicht für Promovierte in Projekten, die über Drittmittel | |
finanziert sind. Das betrifft an den Hochschulen bundesweit 40 Prozent | |
aller wissenschaftlich Beschäftigten. Eine unbefristete Einstellungszusage | |
erhalten nur diejenigen, die über die Grundfinanzierung an der Uni | |
angestellt sind. Dennoch ist das neue Gesetz ein wichtiges Signal: | |
Zumindest die Berliner Hochschulen müssen endlich mehr Verantwortung für | |
ihre Beschäftigten übernehmen. | |
Wer ist in Deutschland überhaupt dafür zuständig, dass sich die | |
Arbeitssituation für Wissenschaftler*innen bessert? | |
Das ist eine gute Frage, aktuell ist das eher eine komplexe Gemengelage. | |
Der Bund ist etwa über den neuen Zukunftsvertrag mittlerweile dauerhaft an | |
der Grundfinanzierung der Hochschulen beteiligt, obwohl Bildung eigentlich | |
Ländersache ist. Und dann gibt es noch die Hochschulleitungen, die | |
individuell mit ihrem Budget haushalten müssen. | |
Und keine Stelle will die Verantwortung für die prekären Arbeitsbedingungen | |
übernehmen? | |
Richtig. Im Moment zeigen alle mit dem Finger auf die anderen. Der Bund | |
gibt die Verantwortung an die Länder weiter und die Länder schieben sie auf | |
die Hochschulen. Unstreitig ist aber, dass alle Beteiligten einen Teil der | |
Verantwortung tragen und dem auch gerecht werden müssen. | |
Die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten fürchtet, dass die Reform | |
zu einer „zementierten Personalstruktur“ führen könnte und nachfolgende | |
Generationen keine Karriereperspektiven haben; zugleich erließ die FU | |
Berlin einen kurzfristigen Einstellungsstopp. Sind die Berliner Hochschulen | |
mit der Reform überfordert? | |
Es ist klar, dass mit der Novelle neue Herausforderungen einhergehen. Aber | |
wenn wir ehrlich sind, beschäftigen wir uns mit der Problematik ja nicht | |
erst seit #IchBinHanna, sondern seit Jahren. Da wäre es durchaus möglich | |
gewesen, dass sich die Hochschulen auch schon mal eher mit einer | |
vernünftigen Personalpolitik auseinandersetzen. Meiner Ansicht nach können | |
sich die Unis nicht aus der Affäre ziehen. Auch nicht, indem sie sagen, sie | |
wüssten nicht, wie man mehr unbefristete Stellen schaffen kann. Da gibt es | |
Mittel und Wege. Mir fehlt es da einfach an fairen Bedingungen. | |
Inwiefern? | |
In der Wissenschaft gibt es Regeln, die der Staat der freien Wirtschaft | |
niemals erlauben würde. Die er sich aber selbst herausnimmt – wie zum | |
Beispiel das Sonderbefristungsrecht, das zu Kurzzeit-Kettenbefristungen und | |
einem erzwungenen Karriereende all jener führt, die es nicht innerhalb von | |
zwölf Jahren auf eine der raren Professuren schaffen. Bund, Länder und | |
Hochschulen sollten sich fragen, wer Forschung und Lehre in Deutschland am | |
Laufen hält: Das sind sicher auch die Professor*innen, vor allem aber sind | |
es die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen. | |
Die SPD betont, dass eine Entfristung deutsche Universitäten durch „gute | |
und sichere Karrieremöglichkeiten weltweit attraktiv machen“ würde. Wird | |
Berlin als Forschungsstandort von der Reform profitieren? | |
Berlin ist schon jetzt kein unattraktiver Standort, könnte allerdings noch | |
interessanter werden. Mit sicheren Postdoktorandenstellen kann man | |
Expert*innen gewinnen, die sonst woanders hingegangen wären. Die | |
Regelung in Berlin könnte Druck auf andere Bundesländer ausüben. Außerdem | |
schadet eine hohe Fluktuation wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen | |
aufgrund befristeter Arbeitsverträge nicht nur den Betroffenen selbst; auch | |
die Qualität der deutschen Forschung leidet darunter, das bremst | |
Deutschlands Innovationsstärke. | |
28 Oct 2021 | |
## AUTOREN | |
Marilena Piesker | |
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