# taz.de -- Semesterstart in Berlin: Kinder müssen draußen bleiben | |
> Die Uni startet nach zwei Jahren Corona in Präsenz. An der | |
> Alice-Salomon-Hochschule werden Studierende mit Kindern deswegen | |
> ausgeschlossen. | |
Bild: Die Alice Salomon-Hochschule in Marzahn-Hellersdorf | |
BERLIN taz | Magda Zieba (35) und Max Klaus (33) sind „enttäuscht und | |
wütend“. Die beiden jungen Eltern studieren Soziale Arbeit an der | |
Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Hellersdorf, oder besser: Sie wollen es | |
studieren. Am Donnerstag wurden sie auf dem Weg ins Seminar an der Pforte | |
gestoppt: „Weil wir unsere sechs Monate alte Tochter dabei hatten.“ Nach | |
den neuen Corona-Auflagen dürfen Kinder nicht mehr auf den Campus. Dabei | |
stehe die ASH eigentlich dafür, „eine familien- und kinderfreundliche | |
Hochschule zu sein, die sich besonders für Benachteiligte einsetzt“, | |
kritisieren die beiden. | |
Die ASH ist mit rund 4.000 Studierenden die größte staatliche Hochschule | |
für Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung und Bildung in Deutschland. In | |
ihrem Profil betont sie, wie wichtig die Förderung von Gerechtigkeit und | |
Partizipation ist. Doch die pandemische Situation stellt die Hochschule vor | |
eine Herausforderung: Wie sieht eine [1][Rückkehr zur Präsenzlehre] aus, | |
die wirksamen Infektionsschutz zulässt und gleichzeitig die Partizipation | |
aller ermöglicht? | |
Das Corona-Management der ASH setzt auf anonymisierte | |
Kontaktnachverfolgung, Luftfilter und technische Ausstattung für hybride | |
Lehre. Auch wurde der Etat zur mediendidaktischen Schulung der Lehrenden | |
erheblich aufgestockt. Zum Semesterstart entschied das Pandemiemanagement | |
der Hochschule nun, die vor der Pandemie übliche hauseigene Kinderbetreuung | |
nicht anzubieten. Darüber hinaus wird Kindern der Zutritt generell | |
verweigert. | |
Sprecherin Christiane Schwausch begründet das mit Sicherheitsbedenken: Eine | |
Covid-Infektion verlaufe bei Kindern häufiger symptomlos und sei schwerer | |
zu erkennen. Gleichzeitig seien die Ansteckungsrisiken höher. Angesichts | |
der engen Räumlichkeiten der ASH wolle man „eine möglichst sichere Umgebung | |
für alle schaffen, inklusive die teilweise über 50- oder 60-jährigen | |
Lehrenden sowie natürlich für Studierende, die sich aus gesundheitlichen | |
Gründen schützen müssen“. | |
Damit hat die ASH offenbar ein Alleinstellungsmerkmal. An der Humboldt-Uni | |
und der Freien Universität gibt es solche Regelungen nicht; auch die | |
Angebote zur Kinderbetreuung sind geöffnet. Schwausch zufolge seien die | |
Gegebenheiten der beiden Hochschulen aufgrund der Größe ihrer Campus nur | |
schwer mit der ASH vergleichbar. | |
Die Rückkehr zur Präsenzlehre finden Magda Zieba und Max Klaus zwar | |
begrüßenswert; den bisherigen Austausch dazu mit Studierenden und Lehrenden | |
halten sie für einen „kommunikativen Schuss in den Ofen“. Diese hätten er… | |
zum Semesterstart davon erfahren, teilweise erst am Eingang der Hochschule. | |
Sie fühlten sich „vor den Kopf gestoßen“. Die ASH-Sprecherin räumt Fehler | |
ein: „Dass die weitere Präsenzerhöhung im Sommersemester nicht automatisch | |
bedeutet, dass die ‚alte Normalität‘ sofort wieder hergestellt wird, hätte | |
die Hochschulleitung sicher besser kommunizieren können.“ | |
Das Ausmaß des Problems ist allerdings unklar. Die Hochschule spricht von | |
„Einzelfällen“. Der Pandemiebeauftragte der ASH, Olaf Neumann, teilt der | |
taz dazu mit: „Vor der Pandemie haben nur 10 bis 20 Kinder regelmäßig die | |
Betreuungsangebote wahrgenommen.“ Auf dieser Zahlenbasis sei geplant | |
worden. Max Klaus geht hingegen davon aus, dass 5 bis 10 Prozent der | |
Studierenden betroffen sind. Bereits mehr als 100 davon hätten sich via | |
Messengerdienst Telegram vernetzt. | |
Das Kernproblem scheint die Informationsbasis zu sein, auf der geplant | |
wurde. Die Betreuungszahlen aus der Zeit vor der Pandemie sind laut | |
Studierenden nicht mehr aktuell. Die Lebenssituation vieler habe sich in | |
den letzten zwei Jahren erheblich verändert, viele hätten während der | |
Pandemie Kinder bekommen. Und gerade Menschen mit Kind hätten sich aufgrund | |
der eigentlich großen Familienfreundlichkeit der ASH hier eingeschrieben. | |
Trotz verschiedener Kanäle, über die die Hochschulleitung im Austausch mit | |
Studierendenvertreter*innen ist, wurden die veränderten Bedürfnisse | |
offenbar nicht wahrgenommen. | |
Der Pandemiebeauftragte Neumann rät den Betroffenen, die Lehrkräfte nach | |
digitalen Partizipationsmöglichkeiten zu fragen. Zudem gebe es die | |
Möglichkeit, nach Absprache Lernersatzleistungen zu erbringen. Aus Sicht | |
von Max Klaus sind beide Lösungsansätze aktuell nicht praktikabel. Die | |
Dozent*innen seien gegenüber hybrider Lehre „mindestens skeptisch“ | |
eingestellt. Dementsprechend gebe es zu wenige Angebote. | |
Lernersatzleistungen wie Hausarbeiten zu erbringen, ohne am Unterricht | |
teilzuhaben, sei ebenso schwer vorstellbar. | |
Zieba und Klaus stehen nun vor der Frage, wer von den beiden sich zu Hause | |
um die Tochter kümmert und wer weiter studieren kann. „Wir haben teilweise | |
gleiche Kurse belegt und können nun nicht gleichzeitig teilnehmen.“ | |
Vielleicht gibt es aber noch eine andere Lösung: Für Dienstag hat die | |
Hochschulleitung Studierende und Lehrende zu einem gemeinsamen Austausch | |
eingeladen. Ziel sei es zunächst, ein „gegenseitiges Verständnis zu | |
bekommen“, berichtet Schwausch. | |
Max Klaus freut sich über das Gesprächsangebot der Hochschule, hohe | |
Erwartungen hat er vor dem Treffen am Dienstag allerdings nicht: „Nachdem | |
es in der letzten Woche hieß, man wolle an den Regelungen festhalten, weiß | |
ich nicht, wie offen über Veränderungen gesprochen wird. Ausgeschlossen ist | |
das natürlich nicht.“ | |
11 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Bachmann | |
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