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# taz.de -- Rücktritt der Humboldt-Uni-Präsidentin: Einer Hochschule unwürdig
> Sabine Kunst, die erfahrene Präsidentin der renommierten Berliner
> Humboldt-Universität, gibt überraschend ihr Amt auf. Das hat die Uni
> nicht verdient.
Bild: Hätte Sabine Kunst vielleicht mal lesen sollen: Die Präambel der HU von…
Wer sich an die Spitze einer deutschen Hochschule wählen lässt, hat sich
für – im besten Falle – politisches Renommee statt wissenschaftlichen Ruhm
entschieden. Vielleicht an keinen anderen Ort einer Uni ist man von der
Forschung weiter entfernt als an deren Spitze, arbeitet sich an der
Verwaltung und den etablierten Strukturen der Fachbereiche ab, damit andere
umso besser wissenschaftlich arbeiten können.
Niemand weiß das besser als Sabine Kunst: Sie war vier Jahre Präsidentin
der Potsdam Uni, bevor sie Brandenburgs SPD-Ministerin für Wissenschaft und
Kultur wurde, bevor sie wiederum 2016 zur Präsidentin der Humboldt
Universität gewählt wurde. Völlig überraschend hat die 66-Jährige [1][am
Dienstag angekündigt], ihr Amt zum Ende dieses Jahres aufzugeben. Offiziell
gab sie als Grund das von [2][Rot-Rot-Grün gerade erst verabschiedete neue
Hochschulgesetz an]. Das sei „gut gemeint, aber schlecht gemacht“.
Das Gesetz soll unter anderem die Situation vieler wissenschaftlicher
Mitarbeiter*innen deutlich verbessern, indem diese fortan unbefristet
angestellt werden müssen. Aktuell hangelt sich ein großer Teil des
wissenschaftlichen Unipersonals nach der Doktorarbeit von einem Zeitvertrag
zum nächsten; selbst eine mittelfristige Lebensplanung ist unmöglich,
[3][der psychische und ökonomische Druck groß]. Das Problem wurde zuletzt
durch die Kampagne #IchbinHanna in den sozialen Medien einer breiteren
Öffentlichkeit bekannt.
Die Berliner Koalition wollte hier Abhilfe schaffen, zumindest für die
sogenannten Postdoktoran*innen. Das erkennt auch Sabine Kunst an: „In den
vergangenen Jahren sind Unzufriedenheit und Kritik an den schwierigen und
unsicheren Karrierewegen in der Wissenschaft gewachsen.“ Sie prophezeit:
„Mit den Änderungen wird sich die Zahl von unbefristet beschäftigten
wissenschaftlichen Mitarbeitern über die nächsten Jahre hinweg deutlich
erhöhen.“
## Das Geld reicht nicht, sagt Sabine Kunst
Darauf seien die aktuellen Strukturen der Uni aber nicht ausgerichtet,
kritisiert Kunst. Und die in den Verhandlungen mit dem Land durchaus
erreichten finanziellen Zusagen reichten nicht aus, um die anstehenden
Veränderungen zu finanzieren. Um die Herausforderungen zu meistern brauche
es eine langfristige Strategie und vor allem „einen neuen Blick auf das,
was für die Universität nötig ist“.
Daraus wird deutlich: Kunst tritt, anders als in manchen Medien behauptet,
keinesfalls wegen des neuen Hochschulgesetzes zurück, sondern schlicht aus
Altersgründen. Das sei jedem gegönnt, der 66 Jahre alt ist und sich
bekanntermaßen lange für die Wissenschaft eingesetzt hat. Aber die Art und
Weise, wie die HU-Präsidentin ihren plötzlichen Abgang orchestriert, ist
der Universität unwürdig und verantwortungslos gegenüber dem
wissenschaftlichen Nachwuchs.
Denn schließlich kommen die Veränderungen nicht überraschend; sie sind
Ergebnis langer Verhandlungen mit der Politik, insbesondere mit dem ebenso
bekanntermaßen versierten Wissenschafts-Staatssekretär Steffen Krach (SPD).
Indem sie quasi unmittelbar nach der Verabschiedung des Gesetzes den Bettel
hinschmeißt, lässt Sabine Kunst ihre Uni in einer Umbruchsituation allein
und sendet darüber hinaus das Signal, dringend nötige Verbesserungen für
junge Wissenschaftler*innen seien nicht umsetzbar.
Dass diese Aufgabe nicht leicht werden wird, insbesondere weil Berlin
Vorreiter sein will, ist unbenommen. Aber es wäre Sabine Kunst' Aufgabe als
HU-Präsidentin gewesen, zumindest die ersten Schritte zu gehen und dann
einen personellen Neuanfang zu organisieren.
Jetzt stehen alle Beteiligten schlecht da: Die rot-rot-grünen
Hochschulpolitiker*innen, die ein sinnvolles Ziel verfolgten; die Stadt,
die mal wieder in Medien als Ort des Chaos verhöhnt wird, obwohl sie
eigentlich nur progressive Politik machen will; die Leitung der
Humboldt-Uni, die jetzt sich neu sortieren muss; viele Studierenden, die
das ausbaden müssen, und natürlich auch Kunst selbst. Denn der als furioses
Signal geplante Abgang ist letztlich nur peinlich. Von ihrem politischen
Renommee bleibt jedenfalls nicht viel übrig.
30 Oct 2021
## LINKS
[1] http://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/oktober-2021/nr-211026-1
[2] /Berliner-Hochschulpolitik/!5807313
[3] /Neues-Hochschulgesetz-in-Berlin/!5811223
## AUTOREN
Bert Schulz
## TAGS
Humboldt-Universität
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Hochschulpolitik
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Freie Universität Berlin
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