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# taz.de -- Berliner Hochschulpolitik: Rücktritt statt Fortschritt
> HU-Präsidentin Sabine Kunst verkündete am Dienstag ihren Rücktritt. GEW
> und HU-Studierende finden den Schritt unverständlich, aber begrüßenswert.
Bild: Sabine Kunst bei der Eröffnung des Humboldt Forums im Dezember 2020
BERLIN taz | Laut Leistungsbericht der Berliner Hochschulen aus dem Jahr
2019 arbeiten an den Berliner Hochschulen ein knappes Dreiviertel aller
Wissenschaftler*innen befristet.
Das ist im bundesweiten Vergleich – hier sind es bis zu 90 Prozent – zwar
noch wenige. Dennoch muss es hellhörig machen, dass die Präsidentin der
renommierten [1][Humboldt-Universität zu Berlin] (HU), Sabine Kunst, am
Dienstag ihren Rücktritt verkündet.
Sie begründet ihren Schritt damit, dass das neue Berliner Hochschulgesetz
„gut gemeint, aber schlecht gemacht“ sei. Hintergrund ist, dass der
scheidende rot-rot-grüne Senat mit diesem Gesetz mehr befristet
beschäftigte wissenschaftliche Mitarbeiter*innen in Festanstellungen
bringen wollte. Konkret sollten die Universitäten Postdoktorand*innen
auf Qualifikationsstellen grundsätzlich entfristen müssen, wenn sie sich
bewähren. Kunst kritisiert, dass die Finanzierung ungeklärt sei. Außerdem
habe das Gesetz die Hochschulen vollkommen überrumpelt.
Dementsprechend bewegen sich die Reaktionen in dieser Stadt auf diese
Entscheidung von Sabine Kunst nicht nur im Spektrum Betroffenheit bis
Bestürzung. Sowohl die Berliner Linken als auch die GEW reagieren auf
Kunsts Rücktritt mit Unverständnis. „Ich finde den Rücktritt von Frau Kunst
nicht nachvollziehbar“, sagt etwa Tobias Schulze, Sprecher für Wissenschaft
und Forschung bei den Linken.
## Die Hoschschulen stehen schlecht da
„Wir haben vier Jahre über dieses Gesetz diskutiert, und auch Frau Kunst
war bei vielen unserer Gespräche anwesend.“ Nicht ohne Grund würden immer
mehr Wissenschaftler*innen aus Deutschland ins Ausland oder in die
Wirtschaft gehen. Tatsächlich steht das deutsche Hochschulsystem im
internationalen Vergleich ziemlich schlecht da.
Laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013 fehlt es
beispielsweise fast völlig an hauptamtlich und selbstständig Lehrenden und
Forschenden unterhalb der Professur, der sogenannten Junior-Staff-Ebene,
die häufig sehr viel stemmt in den Bildungsinstitutionen.
Bei Postdoktorand*innen, so Schulze, handele es sich zumeist um Menschen um
die vierzig, die sich nicht trauen, eine Familie zu gründen, weil sie nicht
wissen, ob sie nächstes Jahr die ersehnte Jobzusage bekommen oder doch
wieder nur Hartz IV beantragen dürfen.
Nicht zuletzt habe ja auch die Social-Media-Kampagne [2][#IchBinHanna]
gezeigt, wie Wissenschaftler*innen hierzulande arbeiten – nämlich viel
prekärer, als das international üblich sei. Es sei endlich an der Zeit,
dass die Universitäten eine Personalpolitik entwickeln, anstatt immer nur
als Durchlauferhitzer zu dienen.
## Befristung verhindert Forschung
Ähnlich überrascht über Kunsts Rücktritt zeigt sich Laura Haßler aus dem
Vorstandsbereich Hochschulen und Lehrer*innenbildung in der
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin (GEW). Für besonders
bedenklich hält sie Kunsts Äußerung, das Hochschulgesetz sei nicht
vereinbar mit der Exzellenzstrategie der Humboldt-Universität. „Befristung
verhindert gute Forschung, das ist nachgewiesen“, so Haßler.
„In den letzten Jahren haben die Universitäten immer nur reagiert und
Löcher gestopft. Es gab keinen großen Wurf mit klaren Konsequenzen für die
Mitarbeitenden.“ Auch habe es keine konstruktiven Gegenvorschläge zur
Personalentwicklung durch die Berliner Universitäten gegeben. Zudem handele
es sich jetzt zunächst nur um einen Bruchteil des wissenschaftlichen
Personals, der entfristet werden soll. Gravierende Kosten dafür entstünden
zunächst einmal gar keine – und eventuelle Mehrausgaben, die dafür später
benötigt werden, seien noch mit der Stadt Berlin verhandelbar.
„Aufgrund des Hochschulgesetzes hat Berlin die Chance, ein
Hochschulstandort mit Signalwirkung zu werden – und einen Weg aufzuweisen,
wie man den allgemeinen Brain Drain in Deutschland aufhalten kann“, sagt
sie. „Offenbar möchte Sabine Kunst bei dieser Entwicklung nicht dabei
sein.“
Sehr drastisch bewertet auch die Studierendenvertretung der
Humboldt-Universität, der RefRat, den Rücktritt von Sabine Kunst. Schon
auf deren Website erinnert der RefRat an die Proteste der Studierenden bei
Kunsts Wiederwahl vor einem Jahr – und an die von ihr veranlasste Räumung
einer Studentischen Vollversammlung durch die Polizei.
„Dieser Rücktritt war längst überfällig“, so Benjamin Kley, Referent f�…
Lehre und Studium beim RefRat. „Sabine Kunst wird immer als eine der
erfahrensten Hochschulmanagerinnen bezeichnet. Allerdings hat sie ihre
Erfahrungen in einem System gesammelt, das auf Ausbeutung basiert. Diese
sind bei der Transformation der Hochschule zu einem gerechteren Ort
vollkommen nutzlos.“
28 Oct 2021
## LINKS
[1] /Wissensvermittlung-in-Berlin/!5656719
[2] /Arbeitsbedingungen-in-der-Wissenschaft/!5776997
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Hochschulpolitik
Berliner Hochschulen
Prekariat
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