# taz.de -- Parteitag der Berliner Grünen: Blick voraus auf 2026 | |
> Grüne halten an Bettina Jarasch als Führungsfigur fest und gucken bereits | |
> auf die nächste Wahl. Kritik an ihr bleibt trotz drohender Opposition | |
> aus. | |
Bild: Bettina Jarasch soll als Fraktionschefin eine Führungsrolle bei den Berl… | |
Berlin taz | Demonstrierte Einigkeit statt Scherbengericht, Beifall statt | |
Demontage der zum zweiten Mal erfolglosen Spitzenkandidatin Bettina | |
Jarasch, Entschlossenheit statt Verzweiflung: Die Berliner Grünen, | |
überraschend mutmaßlich künftig in der Opposition, haben am Dienstagabend | |
auf die von ihnen [1][verlorene Wahl vom 12. Februar] zurück, aber durchaus | |
auch schon auf die nächste Berlin-Wahl 2026 vorausgeschaut. Jarasch soll | |
dabei eine Führungsrolle behalten: Sie will als neue Fraktionschefin | |
kandidieren – die bisherige Vorsitzende Silke Gebel will nicht erneut | |
antreten. | |
Jarasch war die erste Rednerin bei einem kleinen Parteitag in | |
Friedrichshain, bei dem die Grünen eigentlich nach dem Ende der | |
Sondierungen über mögliche Koalitionsoptionen abstimmen wollten. Das | |
[2][überraschende Angebot der SPD] zu einer schwarz-roten Koalition und | |
seine ebenso schnelle Annahme durch den nun designierten künftigen | |
Regierungschef Kai Wegner aber änderten die Tagesordnung grundsätzlich. | |
Eine Kandidatin, die einen Umfragevorsprung nicht nutzt, einen suboptimalen | |
Wahlkampf hinlegt und so das Ziel verpasst, erste grüne Regierungschefin | |
nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland zu werden, das hatte der | |
grüne Landesverband schon mal. 2011 ging die vormalige Bundesministerin und | |
Bundestagsfraktionschefin Renate Künast als Spitzenkandidatin mit großem | |
Vorsprung in den Wahlkampf, doch die Grünen landeten nachher nur auf Platz | |
3 hinter SPD und CDU. Kurz danach platzte auch noch eine immerhin sicher | |
geglaubte rot-grüne Koalition gleich beim ersten Gespräch mit der SPD | |
darüber. | |
Eine ähnliche Konstellation also, aber der Umgang der Grünen damit war | |
damals ganz anders: Bei einem zur Aufarbeitung angesetzten Parteitag gab es | |
nicht Beifall für die Spitzenkandidatin, sondern heftige Kritik an ihr. | |
Offene Flügelkämpfe dominierten über Wochen und Monate die Partei, sogar | |
Künasts Karriere im Bundestag schien beendet. „Der große Graben“ | |
überschrieb die taz in Anlehnung an einen Asterix-Titel [3][einen Text vom | |
Parteitag]. | |
Der Dienstagabend bot ein ganz anderes Bild. Schon am Nachmittag hatte die | |
Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus mitgeteilt, dass Silke Gebel, dort | |
bislang Co-Chefin mit Werner Graf, nicht erneut kandidiert und damit Platz | |
macht, um Jarasch, die Noch-Verkehrssenatorin, in einer Führungsrolle zu | |
halten. Sie habe entschieden, „für Bettina einen Schritt zur Seite zu | |
machen“, sagte Gebel am Abend vor knapp 100 Teilnehmern am Parteitag. | |
Jarasch selbst mühte sich dort als erste Rednerin, einen nur negativen | |
Blick auf den Wahlausgang zu vermeiden. Die Grünen hätten ihr „historisch | |
bestes“ Wahlergebnis gehalten, sagte sie vielmehr. Was nicht ganz stimmt, | |
denn gegenüber der nun wiederholten Wahl vom September 2021 am 12. Februar | |
schnitten die Grünen mit 18,4 Prozent einen halben Prozentpunkt schlechter | |
ab. | |
Ein anderer Redner wies später darauf hin, dass sich die Grünen schon seit | |
2011 – als sie nach dem Künast-Wahlkampf [4][bei 17,6 Prozent landeten] – | |
auf diesem Niveau bewegen würden, seither aber keine großen Fortschritte | |
gemacht haben. Noch Ende November, zweieinhalb Monate vor der | |
Abgeordnetenhauswahl, hatten die Grünen in einer Umfrage vor CDU und SPD | |
gelegen. In der taz versprach Jarasch damals mit Blick auf die | |
Wahlwiederholung: „Ich werde diese zweite Chance nutzen.“ | |
Kritik an Jarasch aber blieb anders als 2011 nach der Künast-Niederlage | |
aus. Applaus und teilweise Juchzen begleitete ihre Rede. In Richtung einer | |
Analayse, für die sich die Partei Zeit lassen will, sagte sie, man müsse | |
die Menschen mehr mit ihren Lebensbedürfnissen ansprechen. Die außerhalb | |
der Partei stark kritisierte [5][erneute Sperrung der Friedrichstraße] kurz | |
vor der Wahl auf Jaraschs Betreiben hin spielte beim Parteitag keine Rolle. | |
Nach Einschätzung vieler Beobachter hat diese Entscheidung die Grünen | |
außerhalb ihres Kernklientels Stimmen gekostet. | |
Die Ex-Spitzenkandidatin und grüne Verhandlungsführerin bei den | |
Sondierungen wehrte sich gegen Aussagen von SPD-Chefin Franziska Giffey | |
über den Verlauf dieser Gespräche. Anders als von der Sozialdemokratin | |
dargestellt, war eine fortgesetzte rot-grün-rote Koalition laut Jarasch auf | |
dem Weg, alle wesentlichen Punkte seien besprochen worden. „Alles, was die | |
Giffey-SPD erzählt hat, um Schwarz-Rot zu rechtfertigen, ist Unsinn“, sagte | |
Jarasch. Die künftige Koalition stehe „unter keinem guten Stern“. | |
Mit Blick auf die nächste Berlin-Wahl 2026 regte Jarasch an: „Wir werden | |
uns Machtoptionen jenseits dieser SPD (gemeint ist die weiter von Franziska | |
Giffey geführte, d. taz) erarbeiten müssen – daran führt kein Weg vorbei.�… | |
Darunter versteht sie Gespräche mit liberalen Kräften in der CDU und | |
progressiven in der SPD, aber auch noch mehr: „Wir sollten auch mit der FDP | |
reden, auch die können wieder kommen.“ Die FDP war am 12. Februar an der | |
5-Prozent-Hürde gescheitert. Die Linkspartei erwähnte Jarasch nicht. | |
Katrin Schmidberger, führende Kraft des im grünen Landesverband | |
dominierenden linken Parteilagers, ging das hörbar zu weit. „Offenheit | |
zeigen, ja, aber nicht Postionen aufgeben“, sagte sie, als sie kurz nach | |
Jarasch am Mikro stand. Von einer Äquidistanz, einem gleichen Abstand zu | |
anderen demokratischen Parteien, bei den Grünen schon zu Künasts Zeiten | |
umstritten, wollte sie nichts wissen. Wie mehrere andere Grüne beschrieb | |
Schmidberger eine Phase von Schock, Tränen und Entäuschung seit der | |
SPD-Offerte an die CDU vor acht Tage, noch während des letzten | |
schwarz-grünen Sondierungsgesprächs. Den „blanken Horror vor Augen“ hätt… | |
viele, mit denen sie danach sprach. | |
Auch wenn sich die Partei am Dienstag auf Opposition einstellte und bereits | |
auf die – wegen der fortlaufenden, 2021 begonnenen Wahlperiode – schon in | |
dreieinhalb Jahren anstehende nächste Berlin-Wahl schaute: Fraktionschef | |
Werner Graf, der künftig mit Jarasch statt mit Gebel die Doppelspitze | |
bilden will, hatte noch eine Alternative vor Augen. „Ihr habt es noch in | |
der Hand“, sagte er in Richtung der rund 20.000 Berliner SPD-Mitglieder, | |
die über einen schwarz-roten Koalitionsvertrag abstimmen sollen, „sagt Nein | |
zu Benzin und Beton, sagt Nein zu diesen schwarz-roten | |
Koalitionsverhandlungen.“ | |
8 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://wahlen-berlin.de/wahlen/BE2023/AFSPRAES/agh/index.html | |
[2] /Kai-Wegner-und-Franziska-Giffey/!5916438 | |
[3] /Zank-auf-Berliner-Parteitag/!5107300 | |
[4] https://www.wahlrecht.de/ergebnisse/berlin.htm | |
[5] /Verkehrspolitik-in-Berlin/!5907906 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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