# taz.de -- Antifeminismus aus der Kolonialzeit: Haft nach Fehlgeburt | |
> El Salvador hat eines der striktesten Abtreibungsverbote weltweit. Doch | |
> die Wurzeln dieses Gesetzes liegen in Europa. | |
Bild: Feministinnen demonstrieren für das Recht auf sichere Schwangerschaftsab… | |
LEIPZIG taz | Kaum ein Land bestraft Abtreibung so hart wie El Salvador. | |
Das zentralamerikanische Land ist eine von weltweit sieben Nationen, in | |
denen sie ausnahmslos illegal sind. [1][Bis zu 30 Jahre Gefängnis drohen | |
Frauen, die eine Schwangerschaft beenden – egal ob freiwillig oder durch | |
eine Fehlgeburt]. Sie werden oft für Mord oder Totschlag verurteilt und | |
sitzen ihre Haftstrafen unter häufig unmenschlichen Bedingungen ab. | |
Doch das Gesetz hat seine Wurzeln nicht in El Salvador. Vielmehr ist es ein | |
Beispiel dafür, wie stark [2][die Kolonialisierung und die damit | |
einhergehende Christianisierung] reproduktive Rechte und Frauenbilder in | |
Lateinamerika verändert haben. | |
Tatsächlich war Schwangerschaftsabbruch dort eine jahrhundertealte Praxis. | |
Untersuchungen belegen ihre Durchführung seit dem 6. Jahrhundert. In Mexiko | |
etwa führten die Tlamatquiticitl, also die Medizinerinnen der Azteken, | |
Schwangerschaftsabbrüche mithilfe von Tees oder Kräutern durch – wirksam, | |
mitunter aber eine Gefahr für die Gesundheit. Abbrüche waren für die | |
Tlamatquiticitl ein Weg, den normalen Menstruationszyklus | |
wiederherzustellen. Im Fokus stand die Frage, ob die Schwangere gerade | |
Mutter werden will – oder eben nicht. [3][Die Historikerin Frieda | |
Bequeaith] schreibt, sie sei auch im Fall El Salvador „fest davon | |
überzeugt, dass es diese Form des Widerstands in der Vergangenheit gab und | |
dass sie bis heute anhält“. | |
Erst mit der Kolonialisierung Lateinamerikas durch Spanien im 15. | |
Jahrhundert sowie dem Import spanischer Strafgesetze wurde der | |
Schwangerschaftsabbruch in El Salvador illegalisiert. Die Missionare | |
importierten das Christentum und mit ihm patriarchale Vorstellungen von | |
Sexualität und Reproduktion. Indigene Gemeinden wurden unterworfen, ein | |
Großteil ihres medizinischen Wissens wurde durch westliche Medizin ersetzt. | |
## Koloniale Ideen blieben | |
Im Jahr 1821 wurde El Salvador unabhängig. Doch viele koloniale Gesetze und | |
auch Ideen lebten weiter. Im Kalten Krieg hatten die USA ein Interesse | |
daran, die mehrheitlich linksdemokratischen Regierungen in der Region zu | |
sabotieren. Mit militärischen Interventionen und der Unterstützung von | |
Militärputschs griffen sie in die Politik lateinamerikanischer Länder ein. | |
In El Salvador führte das zu einem blutigen Bürgerkrieg. | |
70.000 Menschen starben. Tausende Indigene wurden ermordet – und mit ihnen | |
ihr Wissen. Emanzipatorische Bestrebungen rückten immer weiter in den | |
Hintergrund. Zwar gab es in den 1960er und 1970er Jahren durchaus | |
feministische Bewegungen in Lateinamerika– in El Salvador lag der Fokus | |
jedoch auf dem Widerstand gegen die Diktatur. | |
Erst in den 1990er Jahren rückte das Thema reproduktive Rechte stärker in | |
den Blick der dortigen Frauenbewegung. Die Legalisierung von | |
Schwangerschaftsabbrüchen wurde als Forderung in die Friedensverhandlung | |
nach dem 12-jährigen Bürgerkrieg eingebracht. Tatsächlich wurde in diesem | |
Rahmen 1998 ein Gesetz zu Abtreibungen verabschiedet. Statt einer | |
Liberalisierung brachte dieses aber eine weitere Verschärfung: Waren ein | |
Schwangerschaftsabbruch zuvor beispielsweise legal, um das Leben der | |
Schwangeren zu retten, wurde er nun allumfassend illegalisiert. Zu | |
verdanken ist das dem starken Einfluss der (ebenfalls durch die | |
Kolonisierung ins Land gekommenen) katholischen Kirche, die in den | |
Verhandlungen als Vermittlerin aufgetreten war. | |
## Staat schuldig gesprochen wegen Menschenrechtsverletzung | |
Konservative katholische Kräfte sind in Lateinamerika und El Salvador bis | |
heute dominant. Evangelikale Fundamentalist*innen gewinnen an | |
Einfluss. Der amtierende Präsident Nayyib Bukele etwa ist eng mit | |
sogenannten Lebensschützern aus fundamentalistisch-evangelikalen Netzwerken | |
verbandelt. | |
Erst im vergangenen Jahr sprach der Interamerikanische Gerichtshof für | |
Menschenrechte den Staat wegen der Verletzung von Menschenrechten schuldig. | |
Es ging um den „Fall Manuela“: Die krebskranke Frau war nach einer | |
Fehlgeburt zu 30 Jahren Haft verurteilt worden. Sie starb im Gefängnis. | |
Die Regierung erkannte dieses Urteil im Januar 2023 unter Druck an. | |
Politische Willenskraft, etwas zu verändern, gibt es jedoch nicht. | |
Schwangerschaftsabbruch bleibt verboten. Dabei zeigt der Blick auf die | |
Geschichte des Landes: Nicht etwa die Kriminalisierung ist in El Salvador | |
verwurzelt, sondern im Gegenteil: Es ist offenbar der Zugang zu einem | |
Schwangerschaftsabbruch, der Tradition hat. | |
9 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Rigides-Abtreibungsverbot-in-El-Salvador/!5830474 | |
[2] /Kolonialismus/!t5014183 | |
[3] https://sites.evergreen.edu/ccc/carebodies/criminalization-of-abortion-in-e… | |
## AUTOREN | |
Sarah Ulrich | |
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