# taz.de -- Aktivistin zum gestaffelten Mutterschutz: „Jede dritte Frau erleb… | |
> Natascha Sagorski hatte selbst eine Fehlgeburt und startete eine | |
> Petition, aus der nun ein Gesetz wurde: Der gestaffelte Mutterschutz. | |
Bild: Ein Grab für Sternenkinder | |
taz: Frau Sagorski, am Donnerstagabend hat der Bundestag über den | |
gestaffelten Mutterschutz abgestimmt. Frauen sollen zukünftig bei einer | |
[1][Fehlgeburt ab der 13. Woche das Recht auf Mutterschutz bekommen], je | |
später die Fehlgeburt, desto länger der Mutterschutz. Sie haben die | |
Petition gestartet, auf der dieses Gesetz beruht. Wie kam es dazu? | |
Natascha Sagorski: Ich hatte vor fünf Jahren eine Fehlgeburt. Da wurde ich | |
ins Krankenhaus geschickt, für eine Ausschabung unter Vollnarkose. Als ich | |
danach die Ärztin um eine Krankschreibung bat, hat sie gesagt: „Sie können | |
morgen wieder arbeiten, das brauchen Sie nicht“. Das war echt heftig: Ich | |
habe geblutet, ich hatte Schmerzen, meine Hormone mussten sich nach der | |
Fehlgeburt umstellen. Und ich war in Trauer. | |
taz: Ist es normal, dass Frauen nach einer Fehlgeburt sofort wieder | |
arbeiten? | |
Sagorski: Ich habe lange gedacht, dass ich eine blöde Ärztin erwischt | |
hatte. Inzwischen haben mir viele Frauen erzählt, dass sie Ähnliches erlebt | |
haben. Auch Hebammen, Sternenkind Vereine und Trauerbegleiter*innen | |
sagen, dass sie so was gut kennen. | |
taz: Woher kommt das? | |
Sagorski: Fehlgeburten sind immer noch ein Tabu. Wenn Probleme nicht | |
besprochen werden, dann erreichen sie die Politik nicht. Der Fokus liegt | |
einfach nicht auf Themen, die Frauen und Frauengesundheit betreffen. | |
taz: Warum sprechen wir so wenig darüber? | |
Sagorski: Es geht um Trauer und Tod, das ist immer schwierig. Und es gibt | |
diese Regel: Rede erst über deine Schwangerschaft, wenn die zwölf Wochen | |
vorbei sind. Die meisten Fehlgeburten passieren nämlich im ersten | |
Trimester. Das impliziert, dass man frühe Fehlgeburten mit sich ausmachen | |
muss. Dabei erlebt jede dritte Frau eine Fehlgeburt. | |
taz: [2][Sie haben ein Buch geschrieben mit Geschichten von Frauen, die | |
eine Fehlgeburt hatten.] War es schwer, Frauen zu finden, die sprechen | |
wollten? | |
Sagorski: Ich wurde im Gegenteil geflutet mit Nachrichten von Frauen, die | |
gesagt haben: Danke, dass du fragst. Viele haben das Gefühl, sie belästigen | |
ihr Gegenüber, wenn sie darüber sprechen, dass sie ihr Baby verloren haben. | |
Viele Frauen erleben aber auch, dass, sobald sie selbst offen sind, viele | |
andere zu ihnen kommen und von sich selbst erzählen. | |
taz: 80 Prozent der Fehlgeburten passieren im ersten Trimester, der | |
gestaffelte Mutterschutz kommt aber erst ab der 13. Woche. | |
Sagorski: Ja, das ist das Ergebnis, das wir mit einer demokratischen | |
Mehrheit rausholen konnten. Wir wollen den gestaffelten Mutterschutz auch | |
im ersten Trimester. Wir müssen diese Frauen auch schützen, mindestens mit | |
dem Recht auf Krankschreibung. Noch fehlt uns aber die demokratische | |
Mehrheit. | |
taz: Was muss sich noch politisch bewegen? | |
Sagorski: Wir brauchen Aufklärung, das Allgemeinwissen zu Fehlgeburten | |
fehlt. Das Thema gehört, so wie [3][Endometriose], HPV, [4][unerfüllter | |
Kinderwunsch] und vieles mehr, in den schulischen Aufklärungsunterricht. | |
Und wir brauchen eine Aufklärungskampagne, auf Social Media, mit Broschüren | |
beim Frauenarzt. Das Wissen darüber, welche Entscheidungen bei einer | |
Fehlgeburt auf sie zukommen könnten, brauchen die Frauen, bevor sie | |
schwanger sind. Man kann nicht erst anfangen zu googeln, wenn man gerade | |
erfahren hat, dass man sein Kind verliert. | |
taz: Welche Informationen sind das? | |
Sagorski: Jede Frau hat bei einer Fehlgeburt den Anspruch auf eine | |
Begleitung durch eine Hebamme, das wissen die meisten nicht. In Deutschland | |
werden sie bei einer Fehlgeburt oft ins Krankenhaus zu einer Ausschabung | |
geschickt, obwohl das meist nicht nötig ist. Man kann abwarten oder mit | |
Tabletten die „kleine Geburt“ einleiten, zu Hause oder in der Klinik. Das | |
ist meist schonender für den Körper und ich glaube auch für die Seele. Jede | |
Frau muss das für sich entscheiden. Aber dazu braucht man Informationen. | |
taz: Wie geht es jetzt weiter, nachdem Ihre Petition so erfolgreich war? | |
Sagorski: In den letzten drei Jahren hat es mich wütend gemacht, dass es | |
richtig schwer ist, an den Spitzen der Politik Familienpolitik und | |
Frauenthemen durchzuboxen. Wir brauchen eine bessere Lobby, deswegen | |
vernetzen wir uns. Wir sind zwar nicht die größte Wählergruppe, aber die | |
Zukunft. Und wir müssen die Demokratie verteidigen. Ich möchte nicht, dass | |
meine Kinder unter einer Kanzlerin Alice Weidel aufwachsen. | |
31 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Luisa Faust | |
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