# taz.de -- Abtreibungspille in den USA: Juristisches Gezerre um Mifepriston | |
> Erst setzt ein Richter in Texas die Zulassung für das Medikament aus, | |
> dann ordnet ein anderer Richter im Staat Washington das Gegenteil an. | |
Bild: Mifepriston ist eine kostengünstige Alternative zum gynäkologischen Ein… | |
AUSTIN ap | In einem Streit um eine weit verbreitete medikamentöse | |
Abtreibungsmethode in den USA bahnt sich ein juristisches Gezerre an. | |
Bundesrichter Matthew Kacsmaryk im texanischen Amarillo setzte die | |
Zulassung der Pille Mifepriston durch die Arzneimittelbehörde FDA am | |
Freitag per einstweiliger Verfügung aus. Die US-Regierung bekomme aber | |
sieben Tage Zeit, gegen die Entscheidung in Berufung zu gehen, erklärte der | |
von Ex-Präsident Donald Trump berufene Richter. | |
Kurz darauf ordnete Richter Thomas O. Rice im Staat Washington praktisch | |
das Gegenteil an: Die Behörden sollten keine Änderungen vornehmen, die den | |
Zugang zu der Abtreibungspille einschränkten, verfügte Rice, der von | |
Ex-Präsident Barack Obama ernannt worden war. Er folgte damit weitgehend | |
einer Forderung von 17 US-Staaten und dem Hauptstadtbezirk District of | |
Columbia, wo Demokraten geklagt hatten, um den Zugang zum Mittel zu | |
schützen. | |
In den USA kommt Mifepriston seit 2000 zumeist in Kombination mit dem | |
Medikament Misoprostol bei Abtreibungen zur Anwendung. Seit der Oberste | |
Gerichtshof im vergangenen Jahr das Verfassungsrecht auf | |
Schwangerschaftsabbrüche kippte und damit den Weg für Verschärfungen in | |
weiten Teilen der Vereinigten Staaten ebnete, [1][ist der Streit um das | |
Thema neu entbrannt]. Beobachter gehen davon aus, dass der Fall Mifepriston | |
bald den Supreme Court der USA beschäftigten dürfte. | |
Richter Kacsmaryk reagierte auf eine Klage der christlichen Gruppe Alliance | |
Defending Freedom. Sie argumentiert, die FDA-Zulassung von Mifepriston | |
weise Mängel auf, da etwaige Sicherheitsrisiken nicht angemessen geprüft | |
worden seien. Medizinerverbände verwiesen darauf, dass Mifepriston in den | |
vergangenen 23 Jahren bei Millionen von Frauen eingesetzt worden sei. Es | |
gebe damit weniger Komplikationen als bei medizinischen Routineeingriffen | |
wie Weisheitszahnentfernungen und Darmspiegelungen. | |
Kacsmaryk stimmte allerdings dem Vorwurf der Kläger zu, wonach die | |
Arzneimittelbehörde teils ihre Befugnisse überschritten habe, als sie die | |
Abtreibungspille im Rahmen eines Sonderprüfungsprozederes für Medikamente | |
zur Behandlung „gravierender oder lebensgefährlicher Krankheiten“ genehmigt | |
habe. Argumente der FDA, wonach ihre eigenen Vorschriften deutlich machten, | |
dass eine Schwangerschaft als medizinischer Zustand mitunter ernst oder | |
lebensbedrohlich sein könne, wies der Richter zurück. Stattdessen sprach | |
Kacsmaryk von einem „natürlichen Prozess, der essenziell für die | |
Aufrechterhaltung menschlichen Lebens“ sei. | |
## Richter beruft sich auf Gesetz aus dem 19. Jahrhundert | |
In seiner Anordnung befürwortete der Richter auch einen Verweis der Kläger | |
auf ein kontroverses US-Gesetz aus dem 19. Jahrhundert, durch das | |
Abtreibungsgegner den postalischen Versand von Medikamenten für | |
Schwangerschaftsabbrüche verhindern wollen. Der sogenannte Comstock Act aus | |
dem Jahr 1873 verbietet die Zustellung von Verhütungsmitteln, „anstößigen�… | |
Schriften und „Instrumenten“, die für eine Abtreibung verwendet werden | |
könnten. In den vergangenen 50 Jahren seit dem inzwischen aufgehobenen | |
Grundsatzurteil im Fall Roe gegen Wade, das das Recht auf Abtreibung | |
festschrieb, war das Gesetz kaum angewandt worden. | |
Die Demokraten und [2][Befürworter des Abtreibungsrechts] kritisierten den | |
Richterspruch aus Texas scharf. Präsident Joe Biden kündigte an, dass die | |
Regierung die Entscheidung anfechten werde. Das Gericht habe seine | |
Einschätzung über jene der FDA gestellt, der Expertenbehörde für die | |
Zulassung von Medikamenten, erklärte Biden. „Wenn dieses Urteil bestehen | |
bleiben sollte, dann wäre praktisch kein von der FDA genehmigtes Rezept | |
mehr vor diesen Formen der politischen, ideologischen Attacken sicher.“ | |
Abtreibungsgegner begrüßten den Spruch aus Texas hingegen. | |
Für den Fall eines Verbots von Mifepriston haben Kliniken und Ärzte bereits | |
angekündigt, nur Misoprostol für medikamentöse Abtreibungen einzusetzen. | |
Die Methode brächte nach Meinung von Fachleuten eine etwas geringere | |
Wirksamkeit bei Schwangerschaftsabbrüchen mit sich, doch wird sie gemeinhin | |
in Ländern angewandt, wo Mifepriston illegal oder nicht erhältlich ist. | |
Angesichts der widersprüchlichen Richterbeschlüsse in Texas und im Staat | |
Washington gingen Experten davon aus, dass der Status quo fürs erste | |
bestehen bleibt. „Kurzfristig wird sich nichts ändern“, sagte Greer Donley, | |
Professorin für reproduktive Gesundheit an der University of Pittsburgh. | |
Zugleich bezeichnete sie das Urteil aus Texas als „Riesensache“. Denn so | |
etwas habe es noch nie gegeben. „Da ist ein Bundesrichter ohne jeden | |
wissenschaftlichen Hintergrund, der jede wissenschaftliche Entscheidung in | |
Zweifel zieht, die die FDA getroffen hat.“ | |
8 Apr 2023 | |
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