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# taz.de -- Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche: Was in Zukunft Recht ist
> Am Freitag startet die Expert*innenkommission der Koalition, die
> über Legalisierung von Abtreibungen beraten soll. Die FDP bremst.
Bild: Mein Körper gehört mir: Demo für das Recht auf Abtreibung Ende März i…
Berlin taz Im Koalitionsvertrag ist sie versprochen, doch ihr Start
verzögerte sich immer wieder: An diesem Freitag nun tritt erstmals die
Expert*innenkommission zusammen, die sich im Auftrag der
Bundesregierung mit der Zukunft des deutschen Abtreibungsverbots
beschäftigen soll.
Die Rechtslage ist diese: Ungewollt Schwangere in Deutschland sind
grundsätzlich verpflichtet, die Schwangerschaft auszutragen. Entscheiden
sie sich für eine Abtreibung, begehen sie nach Paragraf 218 Strafgesetzbuch
eine Straftat, für die sie lediglich unter bestimmten Bedingungen nicht
bestraft werden: Wenn der Abbruch in den ersten 12 Wochen nach Befruchtung
stattfindet, die Schwangere vorher in einer staatlich anerkannten
Beratungsstelle war und eine dreitägige Wartefrist hat verstreichen lassen.
Laut Koalitionsvertrag sollen die Sachverständigen nun sowohl
„Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des
Strafgesetzbuches“ als auch „Möglichkeiten zur Legalisierung der
Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft“ prüfen. Grüne und SPD
drängen vor allem auf Ersteres; sie haben eine Abschaffung von Paragraf 218
auch in ihren Wahlprogrammen versprochen. Die FDP wiederum drängt auf
Liberalisierungen im Bereich der Reproduktionstechnologien.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte, ihm sei bewusst, dass
man eine „emotionsgeladene Debatte“ anstoße. Man wolle dabei „alle Seiten
mitnehmen“.
In zwei Arbeitsgruppen mit je neun Mitgliedern beginnt nun die Arbeit. Zu
denen, die sich mit Paragraf 218 beschäftigen, gehören die
Sexualwissenschaftlerin Maika Böhm und die Gesundheitswissenschaftlerin und
ehemalige Pro-Familia-Vorsitzende Daphne Hahn. Beide sind an der vom
Gesundheitsministerium geförderten [1][Elsa-Studie beteiligt, die die
Situation und Versorgung ungewollt Schwangerer untersucht] – Daten, die
bisher fehlen und von Feminist*innen dringlich erwartet werden.
Auch dabei in der Kommission ist die Verfassungsrechtlerin Frauke
Brosius-Gersdorf, die 2020 in einem Gutachten dem inzwischen gestrichenen
Paragrafen 219a beschied, verfassungswidrig zu sein. Dieser hatte es
Ärzt*innen bis vergangenes Jahr verboten, öffentlich darüber zu
informieren, dass und wie sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Die heutige Rechtslage basiert auf einem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts von 1993. Die Richter*innen maßen damals dem
„Schutz des ungeborenen Lebens“ gegenüber der Selbstbestimmung der
Schwangeren einen hohen Stellenwert bei. Spannend ist, was Völkerrechtlerin
Paulina Starski dazu zu sagen hat, die ebenfalls mit in der Kommission
sitzt. Denn seither hat sich mit Blick auf reproduktive Rechte viel getan –
die freie Entscheidung für oder gegen Kinder ist heute international als
Menschenrecht verbrieft. Der UN-Frauenrechtsausschuss etwa rügte
Deutschland in der Vergangenheit wegen seiner restriktiven
Abtreibungsgesetze.
Im Dezember 2022 hatte der Deutsche Juristinnenbund (DJB) einen
detaillierten Vorschlag erarbeitet, wie Schwangerschaftsabbrüche außerhalb
des Strafrechts geregelt werden könnten: [2][mit einer Fristenregelung im
Schwangerschaftskonfliktgesetz]. DJB-Präsidentin Maria Wersig ist ebenfalls
Teil der Kommission. Mit dabei sind auch die Strafrechtlerinnen Liane
Wörner, die zur Frage von Widersprüchen beim „strafrechtlichen
Lebensschutz“ habilitiert hat, und Bettina Weißer von der Uni Köln.
Als praktizierende Medizinerin ist Stephanie Wallwiener in der Gruppe. Sie
hat an den jüngst fertiggestellten medizinischen Leitlinien zum
Schwangerschaftsabbruch mitgearbeitet und ist Oberärztin an der
Universitäts-Frauenklinik Heidelberg. Das Krankenhaus führt allerdings
keine Schwangerschaftsabbrüche nach Beratungsregelung durch. Der ehemalige
Klinikleiter begründete diese Entscheidung [3][mit christlichen Werten].
Mit Christiane Woopen sitzt eine ehemalige Vorsitzende des Deutschen
Ethikrats in der Kommission. Woopen ist die Einzige, die sich im Vorfeld
geäußert hat – und zwar eher zurückhaltend. Das verwundert nicht, immerhin
war Woopen früher im Bundesvorstand von Donum Vitae. Die katholische
Laienorganisation berät ungewollt Schwangere. Sie zielt dabei klar auf den
Erhalt der Schwangerschaft, stellt aber bei Bedarf den für einen Abbruch
nötigen Beratungsschein aus.
## Die Ampel ist sich uneins
Die drei Ampelparteien sind sich, was die Zukunft des Abtreibungsverbots
angeht, durchaus uneins. SPD und Grüne haben die Entkriminalisierung im
Wahlkampf versprochen. Frauenministerin Lisa Paus (Grüne) hatte zuletzt
mehrfach betont, das Strafrecht sei der falsche Ort, um
Schwangerschaftsabbrüche zu regeln. Die FDP hingegen bremst.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte schon vor einem Jahr den
„historischen Kompromiss“ gelobt, den die aktuelle Rechtslage darstelle.
„Die Erzählung, der heutige Paragraf 218 sei ein schwer errungener
Kompromiss, stimmt so nicht“, widerspricht Ulle Schauws, frauenpolitische
Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Vielmehr gehe er zurück auf das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das eine liberalere Regelung
seinerzeit kassierte. „Dem Rechtsgut der Selbstbestimmung der Frau wurde
damals nicht genug Gewicht gegeben.“ Herausgekommen sei eine
Austragungspflicht für Schwangere. „Es wird Zeit, diese Fragen noch einmal
neu zu stellen.“
Ganz anders sieht das die Union. Nach Bekanntwerden der
Kommissionsmitglieder erklärte der rechtspolitische Sprecher der
CDU/CSU-Fraktion, Günter Krings, diese müssten „unabhängig von den
überzogenen ideologischen Forderungen“ von Frauenministerin Paus arbeiten.
„Nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Mütter, sondern auch das ebenfalls
verfassungsrechtlich verbürgte Lebensrecht und die Entwicklung des
ungeborenen Kindes müssen dabei eine maßgebliche Rolle spielen.“
Ein Jahr lang soll die Kommission nun beraten. „Die Ampel darf sich jetzt
nicht auf der Arbeit der Kommission ausruhen. Die Zivilgesellschaft muss in
den Prozess einbezogen werden“, betont Heidi Reichinnek, frauenpolitische
Sprecherin der Linksfraktion. Sie verweist auf eine aktuelle repräsentative
Umfrage, der zufolge [4][mehr als die Hälfte der Bevölkerung für eine
umfassende Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist] – während
gerade mal neun Prozent die aktuelle Regelung als Straftat beibehalten
wollen.
„Dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland kriminalisiert und
stigmatisiert sind, hat Folgen“, sagt Reichinnek. Seit Jahren nimmt die
Zahl der Ärzt*innen, die sie durchführen, ab – gerade mal knapp über 1.000
sind es, bei rund 100.000 Abbrüchen im Jahr. Vielerorts werden sie und die
entsprechenden Beratungsstellen zudem von Abtreibunsgegner*innen
drangsaliert. Die Ampel hatte eigentlich schon für vergangenes Jahr ein
Verbot solcher „Gehsteigbelästigungen“ angekündigt. Auf Nachfrage erklärt
das Frauenministerium, man arbeite „mit Hochdruck an einem entsprechenden
Referentenentwurf“.
Ende März 2024 soll die Kommission ihre Ergebnisse vorstellen. Was dann
passiert, ist offen. Auf Nachfrage antwortet das Frauenministerium: „Ob und
in welcher Form die Ergebnisse umgesetzt werden, kann aktuell noch nicht
bewertet werden.“
31 Mar 2023
## LINKS
[1] https://elsa-studie.de/
[2] https://www.djb.de/fileadmin/user_upload/st22-26_Policy_Paper_Schwangerscha…
[3] https://www.ruprecht.de/2018/11/13/was-in-der-grauzone-bleibt/
[4] https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/18574/umfrage-dezember22/
## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
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Schwerpunkt Paragraf 219a
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USA
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