| # taz.de -- Abtreibungsgegner unter sich: EKD kann auch reaktionär | |
| > Mit ihrer Teilnahme an der „Woche für das Leben“ verortet sich die oft | |
| > weich gespült wirkende evangelische Kirche in einer frauenhassenden | |
| > Kultur. | |
| Bild: 2022 wurde die Woche in Leipzig eröffnet. Dabei waren EKD-Vorsitzende Ku… | |
| Die evangelische Kirche in Deutschland ist die SPD unter den Religionen. | |
| Niemand braucht sie, weil niemand weiß, wofür sie steht. Ihr fehlt ein | |
| klares Profil, ein Dogma, weil es bei ihr keinen Papst gibt, der sagt, wo | |
| es lang geht, nur eine Organisationsstruktur, die Weltkonzerne überschaubar | |
| erscheinen lässt. Diese gibt die grobe Richtung des rechten Glaubens vor. | |
| Tenor: einerseits die Bibel, andererseits die Realität. | |
| Sagen, was sie wollen, dürfen eh alle, sogar von der Kanzel, da ist von | |
| Feministinnen [1][bis zu Schwulenhassern] alles drin, sodass die | |
| Evangelische Kirche in Deutschland – abgekürzt EKD – ein freundliches | |
| Wischiwaschi ausstrahlt. | |
| Doch der Schein trügt. Die EKD kann beinhart auf Glaubenssätze beharren, | |
| die am Leben nicht nur haarscharf vorbeigehen und Patriarchat vor | |
| Nächstenliebe walten lassen. So veranstaltet sie noch bis Samstag mit der | |
| katholischen Kirche die [2][„Woche für das Leben“]; die zentrale | |
| Eröffnungsfeier fand am Samstag in Osnabrück statt. | |
| Das klingt nicht nur nach dem [3][„Marsch für das Leben“], bei dem | |
| christliche Fundamentalist:innen gegen die sexuelle und reproduktive | |
| Selbstbestimmung von Frauen protestieren – die Woche atmet auch denselben | |
| Geist und ist in derselben Ursuppe aus Frauenhass und Gegenaufklärung | |
| gegoren. | |
| Das Thema der Lebenswoche wechselt jedes Jahr, 2023 lautet es „Generation | |
| Z(ukunft). Sinnsuche zwischen Angst und Perspektive“. Doch gleich drei von | |
| fünf zentralen Online-Veranstaltungen haben damit nichts zu tun, sondern | |
| mit „Abtreibung“. Veranstalterin ist in allen Fällen die [4][„Aktion | |
| Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)“], eine Organisation, die | |
| Schwangerschaftsabbrüche ausnahmslos ablehnt. | |
| ## EKD sprang auf Katholiken-Zug | |
| Die einzige Veranstaltung, die in Osnabrück neben der Eröffnungsfeier | |
| stattgefunden hat: die „Fachtagung“ des „Bundesverbands für das | |
| Lebensrecht“, zu dessen Mitgliedern Alfa und weitere einschlägige | |
| Organisationen gehören. | |
| Dieser Themen-Mix hat mit der Geschichte der Lebenswoche zu tun. Laut | |
| Homepage haben die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der | |
| deutschen Katholiken sie 1991 gegründet, um in der nach der | |
| Wiedervereinigung neu entfachten Debatte um Schwangerschaftsabbrüche „die | |
| kirchliche Position zu vermitteln“. | |
| 1994 sei die evangelische Kirche auf den Zug aufgesprungen – ein Jahr, | |
| nachdem das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ein rigides | |
| Abtreibungsrecht diktiert hatte, das bis heute gilt. Nach dem Paragrafen | |
| 218 des Strafgesetzbuchs gelten Schwangerschaftsabbrüche als | |
| Tötungsdelikte, die nur unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben. So | |
| muss sich eine Frau beraten lassen, [5][selbst wenn sie dafür keinen Bedarf | |
| hat]. | |
| Derzeit prüft [6][eine von der Regierung eingesetzte Kommission], ob der | |
| Paragraf 218 ansatzweise einlöst, was sich seine Befürworter:innen von | |
| ihm versprechen. Einerseits soll er die Würde von Frauen wahren, | |
| andererseits verhindern, dass sie leichtfertig Schwangerschaften abbrechen. | |
| ## Viele Wenns und Abers | |
| Dagegen spricht nicht nur jedes Erfahrungswissen, sondern auch sämtliche | |
| wissenschaftliche Forschung sowie die Daten des statistischen Bundesamtes, | |
| nach denen es im vergangenen Jahr erstmals wieder mehr Abbrüche gab – trotz | |
| Beratungszwang, dreitägiger Bedenkfrist, Strafandrohung und einer | |
| lückenhaften Versorgung. | |
| Die EKD-Leitung hält dennoch am Paragrafen 218 fest. Natürlich lehnt sie | |
| Schwangerschaftsabbrüche nicht kategorisch ab, Vertreter:innen des | |
| EKD-Rats formulieren dazu stets viele Wenns und Abers. Aber unterm Strich | |
| vertreten sie dieselbe Auffassung wie alle, die sich „Lebensschützer“ | |
| nennen: Dritte müssen das „ungeborene Leben“ gegen seine Mutter verteidigen | |
| – Gott will das so. | |
| Ein Beispiel sind die im Februar über den Evangelischen Pressedienst | |
| verbreiteten Äußerungen der aktuellen EKD-Ratsvorsitzenden, also der | |
| irgendwie obersten Repräsentantin der Evangelen, Annette Kurschus, in denen | |
| sie zum wiederholten Mal und erfolglos um Aufnahme der EKD in die | |
| Kommission zum Paragrafen 218 warb. | |
| Einen triftigen Grund kann sie nicht liefern, würde aber gern „unsere Sicht | |
| einbringen“. Die da lautet: „Es geht um zwei Leben. Das noch ungeborene | |
| Leben des Kindes ist unbedingt schützenswert. Doch es kann und darf nicht | |
| geschützt werden gegen das Leben der werdenden Mutter.“ | |
| ## Schwanger ist ein Zustand | |
| Das klingt gewohnt evangelisch-weichgespült, aber allein der [7][Topos des | |
| „ungeborenen Lebens“] und die Behauptung, hier stünden sich zwei Menschen | |
| gegenüber, deren Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen, macht | |
| deutlich, dass die gemeinsame Sache mit Abtreibungsgegner:innen bei | |
| der „Woche für das Leben“ kein Ausrutscher ist. Denn dieses Bild von | |
| Schwangerschaft nicht als Zustand, sondern als zwei getrennt zu denkende | |
| Körper ist kein gottgegebenes, sondern relativ neu. | |
| Vertreter:innen der Kirchen wurden deshalb zu Recht nicht in die | |
| Kommission berufen. Ihre obersten Repräsentant:innen sind nicht die | |
| Einzigen, die glauben, sie wären in ethischen Fragen besonders kompetent. | |
| Aber egal, ob es um Sterbehilfe oder Schwangerschaftsabbrüche geht: Gerade | |
| die EKD simuliert händeringendes Nachdenken, fügt der Debatte nichts | |
| Substanzielles hinzu und plädiert am Ende für strengere Gesetze, die | |
| Probleme nicht lösen, sondern verschärfen. | |
| Keiner Frau muss in gesalbten Worten erklärt werden, was eine Entscheidung | |
| gegen eine Schwangerschaft bedeutet. Und ethisch verantwortungsvolles | |
| Handeln kann eben auch bedeuten, sie abzubrechen. | |
| 28 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eiken Bruhn | |
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