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# taz.de -- Buch zur Geschichte Russlands: Unterwerfung über alles
> Was steckt hinter Putins Krieg gegen die Ukraine? Orlando Figes erklärt
> in „Eine Geschichte Russlands“ den russischen Autoritarismus historisch.
Bild: In den Fußstapfen der „Goldenen Horde“: Putin 2009 in der Mongolei
Putins Krieg gegen die Ukraine, der inzwischen Zehntausende Tote gekostet
haben dürfte, gibt noch immer Rätsel auf. Dieses Rätsel besser zu
verstehen, hilft das neue Buch des in London lehrenden [1][Historikers
Orlando Figes], dem wir bereits eine 2003 erschienene, großangelegte
Kulturgeschichte Russlands unter dem Titel „Nataschas Tanz“ verdanken.
Seine soeben erschienene „Geschichte Russlands“ erzählt ebenso flüssig wie
unterhaltsam von der Geschichte dieses Landes, das seit jeher zu Europa
gehören wollte, freilich nie entsprechend anerkannt und zudem tiefgreifend
von Asien geprägt wurde.
Nun sind in den letzten Jahren von [2][Gerd Koenen], mit Blick auf die
Geschichte des Kommunismus, und von [3][Karl Schlögel,] mit Blick vor allem
auf die untergegangene Sowjetunion, umfangreiche Darstellungen erschienen,
die jedoch weniger als Figes auf das asiatische Erbe der Sowjetunion und
Russlands eingehen – ein asiatisches Erbe, das zumal der Historiker Karl
August Wittfogel (1896–1988) als „orientalische Despotie“ bezeichnet hat:
eine Form politischer Organisation, die auf der zentralistischen Herrschaft
vor allem über das Lebensmittel Wasser in agrarischen Gesellschaften
beruhte.
„Orientalische Despotien“ sind demnach auf dem Anspruch totaler Macht
beruhende Regimes, die sich entsprechend in einer allbeherrschenden
Bürokratie äußern.
## Erklärungen für Putins Krieg gegen die Ukraine
Nach einer Lektüre von Figes „Eine Geschichte Russlands“ wird man den von
Putin vom Zaun gebrochenen Krieg gegen die Ukraine schon deshalb besser
verstehen, weil jetzt deutlich wird, wie sehr Putin selbst von Erzählungen
über die Geschichte Russlands beeinflusst ist und sich daher als Former und
Fortsetzer dieser Geschichte versteht.
Russland, das macht Figes unmissverständlich klar, war schon je eine
Autokratie – nicht erst seit dem westlich orientierten, aufklärerischen
Zaren Peter dem Großen sowie Katharina der Großen, sondern schon lange
vorher, nämlich seit den Mongolen, und auch später, seit Lenin und Stalin.
Denn: „Die Autokratie in Russland“, so Figes, „entwickelte sich anders als
die europäischen absolutistischen Monarchien. Während sie die Theorie von
Byzanz übernahm, verdankte sie alles, was die Praxis betraf, eher dem
Vermächtnis der Mongolen.“
## Thron und Altar, ungetrennt
Mehr noch: Anders als der katholische Westen kannten Byzanz und das in
Russland hegemoniale orthodoxe Christentum keine Trennung von Thron und
Altar, während seit der mongolischen Herrschaft über Russland – von 1237
bis 1502 – absolute Unterwerfung unter den Willen der Khane geboten war.
Demgegenüber verstand sich die Ukraine seit jeher dem europäischen Westen
zugewandt, was entsprechend zu Kriegen und Auseinandersetzungen zumal mit
dem später von Moskau regierten Russischen Reich führte.
Insofern steht Putin mit seinem Krieg – wie Figes in aktualisierenden
Einschüben seines historischen Narrativs zeigt – in einer Tradition, die
weitaus älter als er selbst und die von ihm erlebte Geschichte ist.
Eine Tradition, die auch noch die frühe Sowjetunion sowie die Epoche unter
Stalin prägte, denn: „Während Lenin in dem Kult um ihn als menschlicher
Gott oder Heiliger erschien, ein erleuchteter Führer für die Partei, die
durch seinen Tod verwaiste, präsentiert der Kult um Stalin diesen als
Zaren, als ‚Väterchen Zar‘ oder Zar-Batjuschka des Volkstums, der das Volk
wie seine Kinder beschützen und sie zu einem besseren Leben führen würde.
‚Die Russen brauchen einen Zaren‘, sagte Stalin nicht nur einmal.“
Figes reich bebildertes sowie flüssig erzähltes Werk macht verständlich und
nachvollziehbar, warum Russland auch nach dem Ende des Kommunismus keine
Demokratie westlichen Typus ausbilden konnte. Das jahrhundertealte Erbe von
Byzanz und der mongolischen „Goldenen Horde“ prägen bis heute eine
politische Kultur, die dem westlichen Verständnis von Demokratie ferner
nicht sein könnte.
9 Feb 2023
## LINKS
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[3] /Osteuropa-Historiker-ueber-Putin/!5833567
## AUTOREN
Micha Brumlik
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