# taz.de -- Masha Gessen bei der Buchmesse: „Sie hilft uns, zu verstehen“ | |
> Die russische Schriftstellerin Masha Gessen ist scharf formulierende | |
> Kritikerin Putins. Auf der Leipziger Buchmesse erhielt sie eine | |
> Auszeichnung. | |
Bild: Gessen wurde im März mit dem Leipziger Buchpreis für Europäische Verst… | |
„Verständigung“ zwischen Ländern, Staaten, Nationen, Kulturen ist auch | |
unter günstigeren Umständen eine schwierige Sache – und heute, da der | |
Horizont der Beziehungen zwischen Deutschland, Europa und Russland sich | |
eher weiter verdunkelt, erst recht. Das gilt allerdings auch für das | |
Verhältnis zwischen Europa und den USA – [1][unsere Preisträgerin Masha | |
Gessen] ist ja zugleich amerikanische Bürgerin und, soweit ich es aus der | |
Ferne verfolgen konnte, eine ziemlich kritische und kämpferische. | |
Beide Entwicklungen hängen im Übrigen ja noch zusammen, denn wir sind | |
Zeugen des erstaunlichen Schauspiels, dass ein amtierender amerikanischer | |
Präsident im russischen Präsidenten nicht nur ein Vorbild gefunden hat, | |
sondern einen aktiven Förderer. Entsprechendes gilt freilich inzwischen für | |
fast alle Verfechter einer autoritären, nationalistischen Politik in den | |
Ländern Europas, die neuerdings oder abermals aus dem Osten das Heil | |
erhoffen. | |
Ich möchte im Folgenden deutlich machen, warum diese Autorin mit ihrem | |
nicht eben optimistischen Buch, „Die Zukunft ist Geschichte – Wie Russland | |
die Freiheit gewann und verlor“, der europäischen Verständigung gerade | |
dadurch dient, dass sie uns hilft, tiefer zu verstehen, in welch fatalem | |
Zirkel seiner Geschichte unser fernes östliches Nachbarland sich nach wie | |
vor bewegt. Das scheint mir ungleich sinnvoller und wichtiger als jedes | |
forciert gutwillige oder vermeintlich realpolitische Plädoyer für ein | |
„Russland verstehen“, das den Tatsachen nicht ins Auge sehen will und | |
deshalb meist wenig versteht. | |
Masha Gessens publizistische Interventionen und [2][ihre Bücher] speisen | |
sich aus einer ungewöhnlichen Kombination von Fähigkeiten, Erfahrungen und | |
Perspektiven, die mit der Person der Autorin selbst zusammenhängen. Deshalb | |
möchte ich sie Ihnen in wenigen groben Strichen etwas näher vorstellen – | |
was mir auch ohne persönliche Bekanntschaft (bis heute) möglich scheint, | |
weil in allen ihren Texten analytisches Nachdenken und gelebtes Leben eng | |
zusammengehen. | |
## „J“ für Jude | |
Als Gessen 1991 zum ersten Mal als junge amerikanische Journalistin wieder | |
in das Land reiste, das sie zehn Jahre zuvor als 14-jähriger sowjetischer | |
Teenager mit ihren Eltern verlassen hatte, wurde sie am Moskauer Flughafen | |
von den beiden Großmüttern in Empfang genommen, die sie dort auch einst | |
unter Tränen verabschiedet hatten. | |
Diesen „Two Babushkas“, Esther und Rusja (Rosalia), hat Gessen ihr | |
literarisch vielleicht schönstes Buch gewidmet. Die beiden eng befreundeten | |
Frauen waren nicht nur die Fixsterne des familiären Zusammenhalts (wie in | |
vielen sowjetischen Familien), sondern beide verkörperten auch eine | |
Geschichte, die das Buch in den Untertitel fasste: „Wie meine beiden | |
Großmütter Hitlers Krieg und Stalins Frieden überlebten“. | |
Während ein Großteil ihrer im ostpolnischen Bialystok gebliebenen | |
Angehörigen von den deutschen Besatzern ins Getto gepfercht und ermordet | |
wurde, gerieten die beiden jungen Frauen, die in der Tiefe der Sowjetunion | |
überlebt hatten, im neu entbrannten Kalten Krieg wie alle, die ein „J“ (f�… | |
Jude) im Pass trugen, unter den bedrohlichen Verdacht kosmopolitischer | |
Unzuverlässigkeit, und das in abgemilderter Form bis in die letzten Jahre | |
der Sowjetunion. Das war auch der Hauptgrund für die Emigration ihrer | |
Kinder, Mashas Eltern. | |
Und doch: Als die Enkelin zurückkehrt, weiß sie beim ersten Einatmen der | |
stickigen Moskauer Luft, so schreibt sie, dass dieses „fremde und | |
erschreckende Land“ dennoch „der Ort war, in dem ich mich am meisten | |
zuhause fühlte“, und außerdem im März 1991 „der unbestreitbar aufregends… | |
Ort der Welt“. | |
## Kriegsreporterin in Tschetschenien | |
Sie will Zeugin einer historisch beispiellosen Umwälzung werden, die, wie | |
tumultuos und verlustreich auch immer, am Ende eine demokratische und | |
offene Gesellschaft hervorbringen muss. So glaubte sie damals. Ihr heute | |
ausgezeichnetes Buch ist eine eindringliche Suche nach den tieferen | |
Ursachen dafür, dass aus dieser – wie ich meine, durchaus begründeten – | |
Hoffnung nichts geworden ist. | |
Gessen erlebt die chaotischen 1990er Jahre aus nächster und zuweilen | |
gefährlicher Nähe. Als Kriegsreporterin in Tschetschenien wie auch bei | |
investigativen Recherchen im Petersburger Sumpf. In diesem machte eine | |
bislang kaum öffentlich bekannte Schattenfigur, der angeblich vor dem | |
Putsch von 1991 aus dem aktiven Dienst ausgeschiedene KGB-Oberst Putin, | |
seine ersten Karriereschritte und errichtete viele seiner bis heute | |
haltbaren Netzwerke. | |
Als Journalistin, die für etablierte amerikanische wie für neue russische | |
Medien arbeitet, hat Gessen privilegierten Zugang zu Teilen der neuen | |
politischen Elite, auch zu einigen Oligarchen der ersten Stunde, die sich | |
in die vorerst noch pluralen und relativ freien Zeitungen und Fernsehkanäle | |
einkaufen. | |
Aber sie ist auch eng mit den Milieus der Intelligenzija verbunden, die | |
zunächst die Hauptträger des demokratischen Umbruchs waren, aber sich | |
binnen kürzester Zeit in bitter Verarmte oder jäh zu Reichtum und Macht | |
Gekommene, in standhafte Demokraten und zynische Opportunisten spalten. | |
Oder sich, wie einer der Protagonisten ihres aktuellen Buchs, der Philosoph | |
und Ex-Dissident [3][Alexander Dugin], zu fanatischen Verfechtern einer | |
neuen, großrussischen, nationalreligiösen und meist antisemitischen | |
Staatsideologie mausern. | |
## Warum uns das etwas angeht | |
Und schließlich ist da noch ein anderer, essenzieller Teil ihres Lebens. | |
Gessen bewegt und engagiert sich in den Gruppen und Milieus einer erstmals | |
entstehenden russischen Schwulen- und Lesbenbewegung, ohne jedoch den | |
eigenen leidenschaftlichen Wunsch nach Familie aufzugeben. Im Jahr 2000 | |
adoptiert sie ein Kind aidskranker Eltern, ihren Sohn Wowa, 2003 bekommt | |
sie ein erstes eigenes Kind, ihre Tochter Jolka, 2004 heiratet sie in den | |
USA – als das dort möglich wird – in einer jüdisch-religiösen Zeremonie | |
ihre Moskauer Lebensgefährtin. | |
Sie selbst hat diese Szene beschrieben: wie sie beide unter dem Baldachin, | |
der Chuppa, gehen, den ihr Bruder und drei Freunde tragen, sie (Masha) mit | |
dem Säugling im Arm und ihren kleinen Sohn an der Hand; wie der Rabbiner | |
ihnen erklärt, dass dieser Baldachin nun ihr gemeinsames Haus vorstelle, | |
dessen Pfeiler schwankend seien, aber getragen von der Freundschaft der | |
anderen; wie er sie beide daraufhin in den Gebetsschal hüllt und | |
auffordert, den Atem der anderen durch sich durchgehen zu fühlen; und wie | |
sie größere Liebe als je fühlt und beschließt, ihre Lebensgefährtin ihre | |
„Frau“ zu nennen. | |
Und als sie aufschaut, sieht sie, wie viele der 50 Gäste, von denen nicht | |
wenige mit einigen inneren Vorbehalten gekommen sind, Tränen in den Augen | |
haben. Und mir, der ich von solchen Vorbehalten nicht frei bin, ging es | |
ähnlich, als ich diesen Text, „Alter Girl“, von Masha Gessen las. | |
Warum geht uns das irgendetwas an, und was hat das mit „europäischer | |
Verständigung“ zu tun? Einmal, weil Gessen sich hier wie in allen ihren | |
Büchern, Artikeln und Essays als eine eminent moderne Autorin zeigt, und | |
zwar gerade darin, dass sie die Abenteuer einer persönlichen Selbstfindung | |
und Identität immer mit den Bedürfnissen einer sozialen und familiären | |
Verbindlichkeit zusammen zu denken und zu leben sucht und so zeigt, dass | |
das eine nicht der Feind des anderen sein muss. | |
## Abstruse Verschwörungstheorien | |
Zweitens aber ist für sie selbst ähnlich wie für Ljoscha, einen der jungen | |
Protagonisten des Buches, für das sie heute ausgezeichnet wird, diese Frage | |
der sexuellen Orientierung zu einer Schicksalsfrage geworden. Als sie 2013 | |
ihre Wahlheimat Russland nach mehr als zwanzig Jahren wieder verlässt, | |
trägt das Züge einer Flucht: Ein in der Duma angenommenes neues Gesetz | |
stellt nicht nur „pädophile Propaganda“ unter Strafe, womit jede | |
öffentliche Darstellung von Homosexualität gemeint und stigmatisiert wird; | |
sondern eine parallele Initiative zielt darauf ab, die Erziehung von | |
Kindern in homosexuellen Partnerschaften generell zu verbieten. | |
Der Hauptwortführer dieser neuen Gesetzgebung, der Petersburger | |
Abgeordnete Milonow, nannte dabei, ich zitiere, „die Adoption und Aufzucht | |
russischer Kinder in pervertierten Familien wie der von Masha Gessen“ als | |
Paradebeispiel einer dringend zu unterbindenden Praxis. Die öffentlich so | |
Angegriffene musste fürchten, dass man ihre mittlerweile drei Kinder unter | |
Kuratel stellen und vor allem den adoptierten Ältesten ihr womöglich | |
wegnehmen würde. | |
Es handelt sich dabei, wohl gemerkt, nicht um einen Konflikt von | |
Lebenshaltungen und Rechtsnormen, wie er in allen Gesellschaften dieser | |
Welt gegenwärtig ist und vielleicht durch viele von uns selbst mitten | |
hindurchgeht (wovon ich mich, wie angedeutet, nicht ausnehme). | |
In Politik und Propaganda, die von den russischen Staatsmedien und | |
Kreml-Sprechern offensiv vertreten werden, verknüpfen sich, fast möchte man | |
sagen: auf intime Weise, homophobe mit xenophoben Motiven und mit | |
abstrusen Verschwörungstheorien. Russland, heißt es wieder und wieder, | |
befinde sich in einem Existenzkampf von beispielloser Bedeutung zur | |
Verteidigung seiner „traditionellen Werte“ von Nation, Staat, Religion und | |
Familie, um demografischen Abstieg, moralische Zersetzung und politische | |
Desintegration des eigenen großen Landes zu verhindern. | |
## Putin, „Mann ohne Gesicht“ | |
Neben den USA, jedenfalls in der Ära Obama, wird ein korrumpiertes | |
„Gayropa“, ein schwules Europa, dafür verantwortlich gemacht, durch | |
„Farbenrevolutionen“ Russland als legitime Großmacht zu unterminieren. So | |
habe man das bei den erfolglosen Massendemonstrationen der [4][„weißen | |
Bänder“] (gegen die gezinkte Wiederwahl Wladimir Putins) 2011/12 in Moskau | |
und fast allen Städten Russlands versucht. Mit größerem Erfolg dann in | |
Nachbarländern wie 2004 bei der ersten Orange Revolution oder 2014 beim | |
Maidan-Umsturz in der Ukraine. | |
Gessens im Original 2012 erschienene Biografie Wladimir Putins zeichnet | |
staunend und auf Basis intimer Kenntnisse nach, wie dieser vollkommen | |
unbekannte, von dem kranken Boris Jelzin aus der Mitte des Kremlapparats | |
heraus auf die Bühne gestellte KGB-Oberst der Reserve an der Schwelle des | |
neuen Jahrtausends binnen wenigen Monaten einen beispiellosen | |
Popularitätsgewinn verzeichnete. Wie er einer Mehrheit der russischen | |
Bürgerinnen und Bürger bald als vom Schicksal oder von Gott gesandte | |
Rettergestalt erschien, bevor irgendjemand wusste, wer dieser „Mann ohne | |
Gesicht“ (so der Untertitel des Buches) war und was er eigentlich vorhatte. | |
Um solche sozialpsychologischen Phänomene kreist auch das aktuelle Buch von | |
Masha Gessen. Es erzählt die Geschichte der dramatischen Umbrüche von der | |
Zeit der äußerst inkonsequenten „Perestroika“ Gorbatschows bis heute, bis | |
zur dritten und vierten Amtsperiode Putins, aus der Perspektive von vier | |
jungen Leuten, die in der späten Sowjetunion geboren und im | |
nachsowjetischen Russland aufgewachsen sind. | |
Zu weiteren Hauptpersonen ihres „faktografischen Romans“ zählen der früh | |
schon verstoßene Chefarchitekt der „Perestroika“, Alexander Nikolajewitsch | |
Jakowlew, oder der junge Boris Nemzow aus Nishni, einer der führenden | |
Reformer der Jelzin-Regierungen und dann einer der hartnäckigsten | |
Oppositionellen der Putin-Ära, bevor er Ende 2015 von einem | |
tschetschenischen Killerkommando in Sichtweite des Kreml ermordet wurde. | |
## Homo sovieticus | |
Eine reflexive Zwischenebene vertreten eine Psychologin, die an der | |
Wiederbegründung der einst so lebendigen psychoanalytischen Tradition in | |
Russland mitgewirkt hat, und der Soziologe Lew Gudkow, der als Schüler und | |
Erbe des Pioniers Juri Lewada die Instrumente und Institutionen einer | |
modernen, wissenschaftlich informierten Demoskopie in Russland | |
mitgeschaffen hat. | |
Im Zentrum der äußerst differenzierten Befragungen und Forschungen dieses | |
ursprünglich staatlich unterstützten, 2003 enteigneten, dann | |
wiedergegründeten und mittlerweile als „ausländische Agentur“ | |
gebrandmarkten Instituts standen und stehen bis heute die psychischen | |
Folgen und mentalen Residuen einer totalitären Gesellschaftsgeschichte, die | |
von Lewada in der hypothetischen Gestalt eines „Homo sovieticus“ | |
zusammengefasst wurden. | |
Der von Gessen mit einer neuen, vertieften Bedeutung wiederaufgenommene | |
Begriff des Totalitarismus reduziert sich dabei keineswegs, wie meist | |
verstanden wird, auf eine vergangene und womöglich fortgesetzte Praxis von | |
Terror und Diktatur; davon kann heute nur begrenzt die Rede sein. | |
Es geht bei dem „Homo sovieticus“ auch nicht um irgendeinen speziellen | |
russischen Volkscharakter oder eine sonstige pauschale Zuschreibung. | |
Sondern es geht im Kern um die mentalen Folgen dessen, was Russland im 20. | |
Jahrhundert, nicht erst in der Stalin-Ära, sondern seit der Machteroberung | |
der Bolschewiki 1917 und dem anschließenden mörderischen Bürgerkrieg, sich | |
selbst angetan hat, sowohl physisch wie psychisch, soziologisch wie | |
kulturell. | |
## Keine historische Entlastung | |
Diese Geschichte, die fast jede russische Familie auf die eine oder andere | |
Weise betrifft, ist intellektuell wie moralisch auch tatsächlich kaum zu | |
„bewältigen“ (um dieses eigentümliche deutsche Wort zu verwenden). Sie | |
gleicht einem Antlitz der Medusa, vor dem jedes lebendige Gefühl erstarrt, | |
oder einem Abgrund, der Schwindel erzeugt – und der, nach dem bekannten | |
Wort von Nietzsche, wenn du zu lange in ihn hineinschaust, in dich | |
zurückblickt. | |
Für uns als nachgeborene Deutsche mit unserer eigenen Geschichte | |
politischer und menschlicher Katastrophen, mit deren mentalen Folgen wir | |
auch noch längst nicht fertig sind, wie sich heute verstärkt wieder zeigt, | |
bietet eine Beschäftigung mit den spezifischen Abgründen der | |
russisch-sowjetischen Geschichte keine historische Entlastung – ganz im | |
Gegenteil. | |
Wenn in den Umfragen des Lewada-Instituts seit 2000 von einem größer, | |
nicht etwa kleiner werdenden Segment der russischen Bevölkerung, nun auch | |
der jüngeren, Stalin als die bedeutendste Figur der nationalen Geschichte | |
genannt wird – dann hat das auch mit uns und unserer Geschichte zu tun. | |
Denn erst der 1939 begonnene und 1941 fortgesetzte deutsche Eroberungs- und | |
Vernichtungskrieg im Osten hat Stalin, zuerst als Komplizen, dann als | |
Todfeind Hitlers, auf die weltgeschichtliche Höhe gehoben, auf der er nach | |
dem Sieg 1945 stand. | |
Das Epos dieses Großen Vaterländischen Krieges, der notgedrungen auf Tod | |
oder Leben geführt werden musste, ist für eine Mehrheit der Russen damit | |
zum einzigen positiven Haltepunkt einer geschichtlichen Erinnerung | |
geworden, an der man sich aufrichten kann. Und dafür sind viele offenbar | |
bereit, die Millionen sinnloser und verbrecherischer Opfer der | |
Kollektivierungen, des Terrors und der Sklavenarbeit im Gulag mit den | |
Abermillionen ohne Rücksicht auf Verluste in die Schlachten geworfenen | |
Soldaten des Vaterländischen Krieges gleichsam unter einem großen | |
Leichentuch oder wie in einem einzigen monumentalen Katafalk anonym zu | |
begraben. | |
## Russland hat sich noch nie wirklich erinnert | |
Anders ist es offenbar nicht zu ertragen. In ihrem soeben erschienenen | |
Bildband mit Fotos von Misha Friedman zitiert sie Irina Flige von | |
„Memorial“ in Petersburg und schließt sich deren zentralem Satz an: | |
Vergessen setzt Erinnerung voraus – aber Russland hat sich noch nie | |
wirklich erinnert. | |
Ja, natürlich, der Blick neuer Generationen kann sich nicht nur | |
zurückwenden, er muss auch nach vorne gehen. Nur dass in Zeiten globaler | |
Unsicherheit und Umwälzung wie heute das Bedürfnis nach Rückversicherung | |
und Halt in der eigenen Geschichte allenthalben wieder wächst, in Russland | |
vielleicht mehr als anderswo. Und je mehr diese Geschichte verstümmelt oder | |
verdrängt, verkitscht oder heroisiert wird, desto besser lässt sie sich | |
innen- wie außenpolitisch missbrauchen. | |
Masha Gessens Buch hilft uns besser, tiefer zu verstehen, warum dieses Land | |
mit seiner großartigen Kunst und Kultur, seinen ungeheuer begabten | |
Menschen, unerschöpflichen Ressourcen und unerschlossenen Räumen erneut in | |
jenen fatalen Zirkel autokratischer Herrschaft und imperialer Überspannung, | |
gesellschaftlicher Entmündigung und bereitwilliger Selbstentmündigung | |
einzuschwenken beginnt, der es schon in zaristischen wie in sowjetischen | |
Zeiten von Europa so oft und so weit fortgetrieben hat. | |
Wie heute auch wieder, zu seinem wie zu unser aller Unglück. Und deshalb | |
erhält Masha Gessen für ihr radikal illusionsloses und doch tief | |
anteilnehmendes Buch heute hier in der alten Bücherstadt Leipzig zu Recht | |
diesen Preis zur Europäischen Verständigung. | |
6 Apr 2019 | |
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