# taz.de -- Leipziger Buchpreise im Radio: In die Küche statt auf die Messe | |
> Die Leipziger Buchpreise wurden in diesem Jahr auf Deutschlandfunk Kultur | |
> verkündet. Pieke Bierman, Bettina Hitzer und Lutz Seiler gewannen. | |
Bild: Lutz Seiler, Autor des Siegerromans „Stern 111“ | |
BERLIN taz | Das Beste draus machen. So ließe sich derzeit das Motto des | |
Literaturbetriebs nach der Absage der Leipziger Buchmesse beschreiben. Und | |
so sitzt man dann an diesem Donnerstag also zu Hause in seiner Küche, räumt | |
noch die letzte Kaffeetasse vom Frühstück vom Tisch (aus irgendeinem Grund | |
verbinde ich Radiohören immer mit der Küche) und schaltet das Programm von | |
Deutschlandfunk Kultur ein, um bei der Verkündung der Leipziger Buchpreise | |
dabeizusein. | |
Der Literaturbetrieb hört Radio – leicht sentimentale Lagerfeuergefühle | |
stellen sich ein. Eins darf man überhaupt einmal betonen: Während sich das | |
öffentlich-rechtliche Fernsehen bei der Beschäftigung mit Literatur derzeit | |
nicht gerade mit Ruhm bekleckert, kann man sich in den | |
Deutschlandfunk-Programmen sehr gut über Neuerscheinungen und Entwicklungen | |
auf dem Buchmarkt informieren. | |
Wahrscheinlich haben pragmatische Gründe den Ausschlag gegeben. Doch es hat | |
auch inhaltliche seine Berechtigung, mit der Preisvergabe nicht ins | |
Fernsehen, sondern ins Radio ausgewichen zu sein. | |
Oliver Zille, der Chef der Leipziger Buchmesse, hat ein Grußwort | |
übermittelt, in dem er betont, wie schwer es gefallen sei, die Messe | |
ausfallen zu lassen ([1][wie richtig die Entscheidung war], ist inzwischen | |
allen klar). Nach einem missglückten an die Oscar-Verleihung erinnernden | |
Intro geht damit die Sendung los. | |
## Zwischenmusik. Papier knistert | |
Jens Bisky, der Vorsitzende der Leipziger Jury, ist live im Studio, | |
verzichtet aber auf die programmatische Rede, mit der sonst immer die | |
Preisverleihung einsetzt. Die LiteraturkritikerInnen Wiebke Porombka und | |
Tobias Lehmkuhl aus der insgesamt siebenköpfigen Jury begleiten ihn. | |
Zwischenmusik. Die KandidatInnen in der Kategorie Übersetzung werden | |
vorgestellt. Dann hört man Papier knistern. Moderator Joachim Scholl darf | |
umständlich den versiegelten Briefumschlag öffnen und sodann Pieke Biermann | |
mit ihrer Übertragung von Fran Ross' Roman „Oreo“ als Preisträgerin | |
verkünden. Kurze Jury-Begründung, dann dasselbe Verfahren in den Kategorien | |
Sachbuch und Belletristik. Im Sachbuch gewinnt Bettina Hitzer mit ihrer | |
Emotionsgeschichte „Krebs fühlen“. | |
Dass dann der Siegerroman, [2][Lutz Seilers „Stern 111“] die Abbildung | |
eines Radiogerätes auf dem Cover hat – das Kofferradio Stern 111, das in | |
den Sechzigern in der DDR gebaut wurde -, ist natürlich eine hübsche | |
Pointe. | |
Wenn die Buchpreise in der weiten, zugigen und lärmigen Leipziger Glashalle | |
verkündet werden, hat die Veranstaltung leicht etwas Staatsakthaftes. Was | |
jetzt im Radio folgt, ist eher eine Mischung aus Podcast und | |
sympathetischen Telefoninterviews. Zuerst erzählen die anwesenden | |
Jurymitglieder, wie aufreibend, aber auch beglückend die Juryarbeit ist und | |
dass man sich untereinander auch mal streitet. Sodann werden die | |
PreisträgerInnen durchtelefoniert. | |
Als erstes ist Lutz Seiler dran. Die Gratulationen an ihn geraten etwas | |
kumpelhaft, man kennt und schätzt sich ja auch, und der Preis für diesen | |
Roman ist auch keine Überraschung. Wiebke Porombka betont in ihrem | |
Statement das Leuchten der Sprache, Jens Bisky versucht das Buch aus seiner | |
engen Lesart als Wenderoman herauszuholen: „Es ist insgesamt ein Roman über | |
das Aufbrechen.“ | |
## Über Gefühle sprechen | |
Die Gespräche mit den beiden Preisträgerinnen werden länger im Gedächtnis | |
bleiben. Die Historikerin Bettina Hitzer vermag sehr klar zu erzählen, wie | |
sie dazu kam, die Geschichte der Gefühle, die eine Krebserkrankung in einem | |
auslöst, zu erforschen; erst seit den siebziger Jahre ist es ja überhaupt | |
anerkannt, wie wichtig es ist, über Gefühle zu sprechen. | |
Und Pieke Biermann vermittelt schließlich einfach Lust, den von ihr | |
entdeckten und übersetzten Roman „Oreo“ zu lesen; hohe Sprache, | |
Gossenslang, Jiddisch, ein ganzes Sprachgemisch galt es in eine deutsche | |
Fassung zu bringen. Und man glaubt, während man zu Hause am Radio sitzt, | |
allen Beteiligten im Studio, wenn sie betonen, dass sie bei diesem Buch | |
auch immer wieder lachen mussten. | |
12 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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