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# taz.de -- Ausstellung „Daily Bread“ in Hannover: Weißbrot ist nicht Wei�…
> Die Mittel der ukrainischen Künstlerin Zhanna Kadyrova wurden seit 2014
> härter und aggressiver. In Hannover zeigt sie eine umfassende
> Retrospektive.
Bild: „Market“ von Zhanna Kadyrova, 2017–2019, Ausstellungsansicht 58. …
Wie bequem haben wir es uns lange in Deutschland gemacht, in unserer
Komfortzone mit billigem russischen Gas, die osteuropäischen Belange nicht
hören und nicht sehen wollend. Am 24. Februar 2022 sind dann viele von uns
wohl aufgewacht:
acht Jahre nach der Annexion der Krim und dem Kriegsbeginn im Donbass, gar
30 Jahre nach den ersten blutigen Konflikten in Moldau, Tschetschenien,
Georgien. Immer ist es Moskau, das die Selbstständigkeit der neuen,
postsowjetischen Staaten nicht anerkennen, sie in eine „Russische Welt“
heimholen will.
Schnell kommt man mit Zhanna Kadyrova darauf zu sprechen. Sie, eine der
wichtigsten zeitgenössichen Künstler:innen aus der Ukraine, hat für die
von Russland geschürten Konflikte schon lange ihr bildnerisches
Instrumentarium geschärft. Genauso wie ihr Bewusstsein für die aktuelle
Lage.
„Der Krieg in der Ukraine kommt in eine neue Phase“, sagt sie kurz vor
Eröffnung ihrer umfassenden Retrospektive im Kunstverein Hannover. „Es wird
augenblicklich schwieriger, die professionelle Überlegenheit der
ukrainischen Armee gegenüber den unerschöpflichen Ressourcen Russlands
aufrechtzuerhalten. Wir benötigen wirkliche Sanktionen gegen Russland – und
Waffen.“ Besonders schmerzt sie, dass viele Künstlerkolleg:innen in
den Krieg gezogen sind, ihre Werkstätten mit dem Schützengraben tauschen:
„Diese Vorstellung ist schrecklich.“
## Arbeit mit vorgefundenem Material
Zhanna Kadyrova, 1981 in Brovary geboren – auch so ein Ort, der kürzlich
durch den tödlichen Absturz eines Hubschraubers des Innenministers traurige
Erwähnung fand –, ist klassische Bildhauerin, arbeitet vorrangig mit
vorgefundenen, einfachen Materialien, die sie thematisch ausgewählten Orten
„extrahiert“, aber auch mit Zeichnungen, Videos, der Fotografie oder
kunsthandwerklichen Medien wie der Stickerei.
Nach einer kurzen Fluchtetappe in die Karpaten und das westliche Ausland
ist sie wieder in die Nähe Kyjiws zurückgekehrt. Dort scheint sie
unermüdlich, schier rastlos zu arbeiten, denn mit ihren vornehmlich neuen
Werken füllt sie alle sieben Räume des Kunstvereins Hannover in einer sehr
intensiven, zwischen bildhafter Erzählung, Assoziation und metaphorischen
Chiffren oszillierenden Dichte. Dieses Schaffen ist ihr „tägliches Brot“,
wie der Ausstellungstitel mehrdeutig ihr Existenzgefühl umreißt.
In Sachen Kunst sei Kadyrova zudem Extrempendlerin geworden, merkt der
Leiter des Kunstvereins, Christoph Platz-Gallus an, der Kadyrova bereits im
[1][letzten Jahr beim „Steirischen Herbst“ in Graz] gezeigt hatte. Denn
nicht nur die Entfernungen zu weltweiten Ausstellungsorten seien,
kriegsbedingt, schwierig zu überwinden, auch die konstante physische und
psychische Bedrohung in einem Land im Krieg sei selbst an sicheren Stätten
wie Graz, der Biennale in Venedig oder derzeit Hannover immer präsent.
In dem knapp vierminütigen Video „Russian Rocket“ hat Kadyrova im Sommer
2022 dafür ein einfaches visuelles Modell gefunden: Wenn sie unterwegs ist,
im Zug, im Auto, montiert sie auf die Fensterscheiben den Aufkleber einer
russischen Rakete samt martialischem Feuerschweif und filmt sie vor den
vorbeirauschenden Situationen. So entfaltet die Rakete ihr Drohpotenzial
dann auch in Graz oder im Tiefflug vor dem VW-Hauptsitz in Wolfsburg.
## „Secondhand“-Installationen
Natürlich sind in Hannover auch die älteren, bekannten Arbeiten Kadyrovas
ausgestellt. Der lebensgroße Marktstand, [2][2019 auf der Biennale Venedig]
zu sehen, zeigt zunächst ein farbenfrohes Angebot – Obst, Gemüse, Wurst,
Schinken, Brot und Blumensträuße – doch Kadyrova formte es aus gebrochenen
Keramik- oder Spiegelflächen und bemaltem Beton.
Oder die „Secondhand“-Installationen mit vermeintlichen Textilien, die sie
ab 2015 aus fragmentierter Baukeramik fertigte. Diese stammt etwa aus einem
stillgelegten Textilkombinat der Sowjetära in der Ukraine, einst
Arbeitsplatz für 6.000 Menschen. Die entstandene „Kollektion“ wiederum lie…
sie vor entkleideten, ruinösen Wänden fotografieren. So entstanden
Bilderzählungen von einem Ort und seiner Geschichte.
Aber solche Kunst reicht Zhanna Kadyrova schon länger nicht mehr, ihre
Mittel wurden härter, aggressiver, auf die Lebenswirklichkeit der Ukraine
reagierend. Für ihre flächigen Keramikarbeiten „Shots“ greift sie seit 20…
zur Kalaschnikow, erzeugt so Verletzungen in perfekten quadratischen oder
runden Primärgeometrien – sicherlich auch eine Kritik an der unzureichenden
Kraft der Kunst, Ausnahmezustände wie einen Krieg zu reflektieren.
Ihre fünfteilige Komposition „Harmless War“, in einer früheren Version no…
im Außenraum vor dem Universalmuseum Joanneum Graz zu sehen, ist aus
Blechen gefertigt, die im Kriegsgeschehen von Gewehrsalven perforiert
wurden. Zhanna Kadyrova bändigte sie ästhetisch zu weiß lackierten,
stereometrischen Grundkörpern wie Würfel, Kugel oder Pyramide, ihr
unmittelbarer Schrecken ist unter der harmlosen Oberfläche aber nach wie
vor präsent.
## Ein Hauch Optimismus
Mit aktivistischen Kunstformen lukriert die Künstlerin mittlerweile auch
Gelder, zur Unterstützung von Kriegsopfern oder für Ausrüstungen der
ukrainischen Armee. Rund 200.000 Euro waren es im letzten Jahr, so
Kadyrova. Ihre „Palianytsia“, Brote aus Flusskieseln, aufgeschnitten und
delikat dargeboten, können auch in Hannover erworben werden. Der Titel
bezeichnet ein landestypisches Weißbrot, die Aussprache und Betonung des
Wortes wurden längst zum Test für eine russische oder ukrainische
Sozialisation – auch das eine Folge des Krieges.
„In anderen Zeiten würde ich eine andere Ausstellung machen, aber ich habe
keine Wahl“, meint Zhanna Kadyrova abschließend. Ein Hauch Optimismus ist
dann in ihrer großen Installation „Refugees“ zu spüren, die den Rundgang …
Hannover beschließt. Für eine Fotodokumentation durfte sie verbotene Orte
besuchen, die von der russischen Armee besetzt waren oder zerstört wurden:
eine Bibliothek in Cherson, eine Poliklinik in Charkiw, eine Schule bei
Kyjiw.
Dort traf sie auf verlassene Grünpflanzen, die allen widrigen Umständen zum
Trotz eine Spur des Lebens bewahren konnten. Der Kunstverein bietet diesen
heimatlosen Lebewesen nun Asyl, in der lichten, orangerieartigen Atmosphäre
des letzten Raumes treiben sie wieder aus – ein feines, auch ergreifendes
Sinnbild für den Überlebenswillen der mutigen Menschen in der Ukraine.
2 Feb 2023
## LINKS
[1] /Blick-nach-Osten-im-Steirischen-Herbst/!5880557
[2] /Biennale-Venedig-2019/!5593734
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
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