# taz.de -- Ukrainekrieg in der Gegenwartskunst: Arbeiten, die Tabus berühren | |
> Die Malerin Kateryna Lysovenko und das Videokunstduo Khimei & Malashchuk | |
> demonstrieren Präsenz. Zu sehen sind ihre Austellungen im Kunstverein | |
> Hannover. | |
Bild: Nicht mehr erotische, sondern eher gewaltvolle Körperlichkeiten zeigt Ka… | |
Berlin taz | Wie wohl die Malerinnen [1][Charlotte Salomon] und Elfriede | |
Lohse-Wächtler als 70-Jährige ausgesehen hätten? Und der [2][Künstler Felix | |
Nussbaum]? Die drei haben solch Alter nicht erreicht. Sie wurden unter dem | |
NS-Regime ermordet: Salomon mit 26 Jahren, 1943 im KZ Auschwitz, Nussbaum | |
mit seiner Frau, [3][der polnischen Künstlerin Felka Platek], ein Jahr | |
später im selben Lager, er wurde 40 Jahre alt. Und Lohse-Wächtler fiel nach | |
diagnostizierter Schizophrenie den „Euthanasie“-Aktionen des Regimes zu | |
Opfer, 1940, im 41. Lebensjahr. | |
Ihre fiktiven Altersporträts zeigt die ukrainische Malerin Kateryna | |
Lysovenko im Kunstverein Hannover. Dort teilt sie sich die Räume mit zwei | |
Künstlerkollegen, dem Filmemacher-Duo Roman Khimei und Yarema Malashchuk | |
aus Kyjiw zu einer Doppel-Solo-Schau. Ukrainische Kunst hat im Kunstverein | |
Hannover einen festen Platz: eine [4][Einzelschau von Zhanna Kadyrova 2023] | |
und Nikita Kadan in der Gruppenschau „Myth of Normal“, die zur Fußball-EM | |
2024 fragte, was körperlich und psychisch als „normal“ zu gelten hat. | |
Kateryna Lysovenko, 1989 in Odessa geboren, hat in ihrer Heimatstadt an der | |
Nationalen Akademie der bildenden Künste und Architektur studiert. Seit dem | |
russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 lebt sie mit ihren | |
Kindern in Wien. Dort sind die in Hannover gezeigten rund 50 Malereien | |
entstanden. | |
Den drei Altersporträts gesellt Lysovenko ein viertes hinzu: das des 1964 | |
geborenen ukrainischen Künstlers Viacheslav Mashnitskiy. Er wurde 2022 | |
während der russischen Besatzung der Stadt Cherson verschleppt, sein | |
Schicksal ist seither ungewiss. Sein imaginiertes Alter von 70 Jahren steht | |
für die Angst um seinen möglichen, gewaltsamen Tod. Lysovenko hat den | |
Porträt-Raum „Wartezimmer“ genannt und um eine Parkbank aus Cherson | |
bereichert. | |
## Geisterhafte, mythologische Wesen | |
Aber worauf warten die Menschen, welche Qualität hat ihr Transitstatus? | |
[5][Lysovenko zählt zu einer Generation jüngerer Ukrainer:innen], die | |
2013/14 den Euromaidan miterleben konnten, die anschließende Annexion der | |
Krim und den beginnenden Krieg im Donbass. Sie sind zerrissen zwischen | |
Kriegstraumata, Flucht oder auch Deportation und der Hoffnung auf eine | |
Zukunft in einer befriedeten, demokratischen Ukraine. Diese Gefühlswelt ist | |
der Subtext von Lysovenkos Malerei, selbst wenn sie symbolistisch | |
verschlüsselt erscheint, belebt ist von geisterhaften, mythologischen oder | |
erträumten Wesen. Wie im Fluchttreppenhaus des Kunstvereins, wo sie | |
zusätzlich zu ihrer Einzelschau unter dem Titel „Angel Folding the Sky“ | |
eine Figurenwelt zwischen Himmel, Erde und kultischen Höllenkreisen | |
ausbreitet. | |
In ihrer figurativen Motivwahl und einem transparenten, aquarellhaften | |
Farbauftrag gilt Kateryna Lysovenko ein wenig als die ukrainische [6][Maria | |
Lassnig.] Wie die große Österreicherin stellt auch Lysovenko den | |
menschlichen, oft weiblichen Körper ins Zentrum ihrer Bilder, mit all den | |
Zuschreibungen von Empfindungs- und Leidensfähigkeit, aber auch Kraft. Oft | |
transformiert sie Körper zu Hybriden zwischen Tier und Mensch oder zu | |
Märchenfiguren wie Meerjungfrauen. Sie führt die Rhetorik totalitärer | |
Regime und ihre Bildpolitik vor, die Fremde oder Unangepasste zu | |
entwürdigen versucht, indem sie diese in die Nähe des Tierischen und | |
Abnormen rückt. | |
Dämonen wie Satyrn oder Pferdemenschen wie Zentauren sind aber auch fester | |
Bestandteil südukrainischer Kulturgeschichte. Die Schwarzmeerküste zählte | |
in der Antike zum Einflussbereich griechischer Zivilisation, die in Kunst- | |
und Kulturschätzen überdauert hat. Lysovenkos Bild von 2023, „In der | |
Eremitage befindliche Gegenstände diskutieren darüber, wem die | |
Vergangenheit gehört“, zeigt eine Kreisformation aus Kleinskulpturen, | |
Gefäßen und Gebrauchsobjekten archäologischer Provenienz. Solche Artefakte | |
werden derzeit von Putins Truppen oft als Kriegstrophäen verschleppt: um | |
eine Kultur auszulöschen [7][und sich selber ihrer historischen | |
Legitimation zu bemächtigen]. | |
Mit diesem Thema greift Lysovenko die Plünderung zweier Museen in Cherson | |
auf. Im Herbst 2022, vor dem Rückzug aus der südukrainischen Stadt, raubten | |
russische Truppen das örtliche Kunstmuseum und das Heimatmuseum aus. Sie | |
stahlen Gold der Skythen, Goten und Sarmaten: Es gilt als größter | |
Museumsdiebstahl in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Verbrechen | |
hinterließ auf ukrainischer Seite fast keine Zeugen, Moskau hält alle | |
Einzelheiten geheim, so das ukrainische Onlinemedium Kyiv Independent, das | |
gerade seinen Dokumentarfilm „Curated Theft“ – „Kuratierter Diebstahl�… | |
veröffentlicht hat. Aus der gesamten Ukraine sollen demnach mittlerweile | |
1,7 Millionen Kunstwerke gestohlen sein. | |
## Geplünderte Museumsvitrinen in Cherson | |
Im entleerten Heimatmuseum in Cherson drehten Khimei & Malashchuk 2023 ihr | |
gut 13-minütiges Videos „Explosions Near the Museum“. Unter andauerndem | |
russischem Beschuss fährt ihre Kamera behutsam über leere Sockel, | |
ausgeräumte Vitrinen und die Spuren willkürlicher Zerstörung. Eine Stimme | |
aus dem Off erzählt, wie das Museum in neuem Glanz erstrahlen würde, wenn | |
die Schätze wieder zurückkehrten, wohl bereinigt um Relikte russischer und | |
sowjetischer Herrschaft. | |
Roman Khimei, 1992 geboren, und Yarema Malashchuk, Jahrgang 1993, arbeiten | |
seit über zehn Jahren gemeinsam an der Schnittstelle von Bewegtbild und | |
Kunstinstallation. In Hannover zeigen sie auch zwei großformatige, wiederum | |
sehr ruhige Videoeinrichtungen: Die Künstler stellen die Körperpositionen | |
gefallener russischer Soldaten nach oder beobachten schlafende Kinder, die | |
aus russischer Verschleppung heimkehren konnten. | |
Diese Arbeiten berühren Tabus: tote Körper sowie ein kaum beachtetes | |
Kriegsverbrechen, das geschätzt bis zu einer Million ukrainische Kinder | |
betrifft. In ihrer neuesten Produktion „Four Seasons (Winter)“ lassen | |
Khimei & Malashchuk eine kleine Drohne durch einen bürgerlich möblierten | |
Raum schwirren, sie prallt gegen Wände oder das geschlossene Fenster. Solch | |
Gerät ist fester Bestandteil apparativer Kriegsführung auf russischer wie | |
ukrainischer Seite, als „First Person View“-Drohne mit zerstörerischer | |
Sprengkraft. | |
Kateryna Lysovenko und Khimei & Malashchuk waren noch kürzlich gemeinsam | |
vor internationalem Publikum während der Kunstbiennale in Venedig zu sehen, | |
in einer Ausstellung des ukrainischen Mäzens Viktor Pinchuk. Die | |
ukrainische Kunst demonstriert Präsenz. | |
6 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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