| # taz.de -- Ausstellung zum Ukrainekrieg: Subtil von Gewalt erzählen | |
| > Alevtina Kakhidze und Renata Rara Kaminska formulieren in der | |
| > St.-Matthäus-Kirche künstlerischen Widerstand gegen den Ukrainekrieg. | |
| Bild: Elegant-bedrohlich: Die Mahagoni-Skulptur von Renata Rara Kaminska schlä… | |
| Wenn sich eine Lehre aus den vergangenen Multikrisenjahren ziehen lässt, | |
| dann, dass der Aufmerksamkeitsökonomie und ihren Konjunkturen nicht zu | |
| trauen ist. Was im medialen Diskurs, der Bedeutung in Klickzahlen misst, | |
| nach oben gespült oder untergebuttert wird, unterliegt durchaus perfiden | |
| Logiken. Mit Relevanz hat das oft wenig zu tun, eher mit Lautstärke, Reiz | |
| oder einer sukzessiven Sättigung. Längst hat der Kampf um Deutungshoheit, | |
| etwa in den sozialen Netzwerken, bizarre Ausmaße erreicht. | |
| Irrsinnigerweise droht [1][das Interesse am Krieg in der Ukraine derzeit | |
| selbst in Europa zu schwinden]. Also dort, wo er nun seit mehr als tausend | |
| Tagen tobt (die knapp elf Jahre, seit Russland die Annexion der Halbinsel | |
| Krim völkerrechtswidrig erzwang, nicht mitgerechnet). | |
| Eine Entwicklung, die sie mit Sorge wahrnehme, erzählt die umtriebige, | |
| zwischen Deutschland und der Schweiz pendelnde polnische Künstlerin Renata | |
| Rara Kaminska. Vor dem Hintergrund einer allmählichen Verdrängung des | |
| Ukrainekriegs aus der öffentlichen Wahrnehmung sei ihre Ausstellung ein | |
| Versuch, dem entgegenzuwirken. Aktuell bespielt sie gemeinsam [2][mit der | |
| ukrainischen Künstlerin Alevtina Kakhidze] die St.-Matthäus-Kirche unweit | |
| des Berliner Kulturforums. Anlässlich des dritten Jahrestages des | |
| russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wollen sie künstlerisch ein | |
| Zeichen des Widerstands setzen. | |
| „24-2=2022“ steht auf dem schlichten Banner, das neben dem Kircheneingang | |
| im eisigen Wind flattert. Bereits der Titel der Schau, im ersten Moment | |
| eher als mathematische Gleichung entzifferbar, denn als Datum, deutet die | |
| Krux mit der einen richtigen Lesart an. | |
| Sie buchstabiere nichts aus, erklärt Kaminska, die an der | |
| Maria-Curie-Skłodowska-Universität in Lublin und an der Leipziger | |
| Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert hat, sondern arbeite intuitiv. | |
| Wie eine Freihandzeichnung oder einen „Schnörkel“ habe sie ihre winkellose | |
| Skulptur im Raum platziert, ergänzend, nicht konträr zur vertikalen | |
| Schönheit der Kirchenarchitektur. | |
| Wie im Schwebezustand wirkt die sich bis zur Kuppel hinaufschlängelnde | |
| Figur. Von der Kanzel aus sind die durchsichtigen Fäden zu erkennen, an | |
| denen das Gebilde aus Mahagoni gehalten wird. Ein Naturmaterial, das die | |
| Künstlerin gebraucht erwarb; einst wurde das Edelholz aus den afrikanischen | |
| Kolonien hierher verschifft. Jahrhunderte des Raubbaus, dem massig | |
| Tropenwälder zum Opfer fielen, sind ihm eingeschrieben. | |
| Wie Kaminska weiß auch Alevtina Kakhidze, Absolventin der Nationalen | |
| Akademie der bildenden Künste in Kiew wie der Jan-van-Eyck-Akademie in | |
| Maastricht und Toleranzbeauftragte der Vereinten Nationen, subtil von | |
| Gewalt zu erzählen. An der Wand der Chorapsis im Altarbereich hat sie einen | |
| getrockneten Bärenklau „gekreuzigt“, der einen bizarren langen Schatten | |
| wirft. Bis heute richtet die Pflanze, die zu Sowjet-Zeiten in die Ukraine | |
| eingeschleppt wurde, im dortigem Ökosystem als invasive Art, als | |
| „Aggressor“, enormen Schaden an. | |
| Demarkationslinien, innen und außen, und ihr Überschreiten – über ihre | |
| langjährige Freundschaft hinaus verbindet die Künstlerinnen ein Aufwachsen | |
| in Grenzregionen. Während Alevtina Kakhidze im ukrainischen Dorf Muzychi | |
| lebt und arbeitet, aber in der Region des Donezbeckens aufwuchs, stammt | |
| Kaminska aus Zamość, einer polnischen Stadt nahe der ukrainischen Grenze, | |
| Geburtsort Rosa Luxemburgs. | |
| Hinter den rotbraunen Mahagonibahnen lugt grüne Farbe auf weißem Papier | |
| hervor. Links und rechts an den Wänden des Mittelgangs hat Kakhidze ihre | |
| Papierbögen drapiert. Da wachsen etwa einer Frau Büschel anstelle von | |
| Gliedmaßen. Kein Albtraum-Szenario, sondern Wunschdenken, wie der | |
| Schriftzug verrät: „I wish I could regenerate the way plants do. If I am | |
| wounded.“ | |
| Für andere ihrer Zeichnungen dienten Vorurteile als Ausgangspunkt, mit | |
| denen sich Kakhidze während eines Stipendienaufenthalts in der deutschen | |
| Hauptstadt konfrontiert sah. „Let me tell you about what Russia is doing to | |
| us“, sagt der Ukrainer, der die Hand nach dem Berliner Bären ausstreckt, | |
| die Antwort fällt knapp aus: „Yes, but the U.S. is still the worst.“ | |
| Dass Unbekannte in der Ausstellung vandalierten und eine von Kakhidzes | |
| Zeichnungen beschädigten, diese unter anderem mit Opferzahlen des | |
| Gazakrieges beschrieben, darauf verweist ein kleines Schild. Ein Vorfall, | |
| der beim abschließenden, interessant besetzten Diskussions-Panel | |
| thematisiert werden soll. | |
| Allen Widrigkeiten zum Trotz wollen die Künstlerinnen [3][die | |
| St.-Matthäus-Kirche], in der Paul Tillich, bevor er von Max Horkheimer | |
| überredet wurde, ins Exil zu gehen, und der von den Nazis ermordete | |
| Dietrich Bonhoeffer ordiniert wurden, als „Resonanzraum der Hoffnung“ | |
| verstanden wissen. „Kriege enden“, so Kaminska, gebraucht würden Visionen | |
| für die Zeit danach. Positives Denken kann jedenfalls gegenwärtig nicht | |
| schaden. | |
| 9 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jana Janika Bach | |
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