Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- KI und ChatGPT: Wenn Maschinen schreiben
> Eine künstliche Intelligenz, die schreibt – wird der Mensch als
> Autor:in bald überflüssig sein?
Viele sind erschrocken angesichts dessen, was die künstliche Intelligenz
(KI) leistet. In einer Gesellschaft, die zutiefst von Schriftlichkeit
geprägt ist, ist der Gedanke unangenehm bedrohlich, dass bald etwas, das
als genuin menschliche Domäne galt – die Sprache – von Maschinen übernomm…
werden könnte. Das Schreiben ist eine Kulturtechnik, deren Bedeutung über
einfache Kommunikation weit hinausgeht.
Wir schreiben aus unendlich vielen Gründen: um uns zu verständigen, um
Wichtiges festzuhalten, um uns zu erinnern. Um andere zu verstehen, um die
Welt zu verstehen, um uns selbst zu verstehen. Um uns Gehör zu verschaffen,
um zu lernen, um zu denken, aus Spaß, aus Wut oder aus Trauer. Geht das
verloren, wenn Maschinen anfangen, da mitzumischen?
[1][GPT]-3, das Sprachmodell, auf dem die meisten textgenerierenden
Anwendungen basieren, wurde von Open AI schon 2020 veröffentlicht.
Versuche, natürliche Sprache mithilfe von Maschinen zu simulieren, gehen
indes noch viel weiter zurück. Der erste „Chatbot“ war [2][ELIZA], eine
Rogerianische Therapeutin, die 1966 von Joseph Weizenbaum entwickelt wurde.
Fiktionen von künstlichen Menschen, die wie echte sprechen und sich
verhalten, gibt es seit Jahrtausenden.
Doch um Androiden oder Gynoiden soll es in diesem Text nicht gehen. Am
Beispiel Universität lässt sich zeigen, vor welch komplizierte
Aushandlungsprozesse uns die sogenannte schwache KI stellt. In einer
Schreibberatung erkundigte sich ein technikversierter Student, ob er
kennzeichnen müsse, dass er GPT-3 seine Forschungsfrage gestellt, die
Antworten sortiert und die besten in seine Argumentation eingebaut habe.
## Ähnlich wie beim Taschenrechner
Unter den Kolleg:innen gingen die Meinungen dazu deutlich auseinander:
Nein, wenn ich mich mit Kommiliton:innen austausche, muss ich ja auch
nicht jede Idee ausweisen, die im Gespräch aufkommt, genauso wenn ich
online in einem Diskussionsforum nachfrage. Natürlich müssen Hilfsmittel
gekennzeichnet werden. Aber geben wir auch die Word-Rechtschreibprüfung
oder jede Google-Anfrage an? Es geht ganz viel auch um Konventionen.
Dass Studierende sich untereinander austauschen, dass sie das von den
Dozent:innen im Seminar Diskutierte verarbeiten, dass sie googeln und
Korrekturlesen lassen, ist klar. Wie KI da reinpasst, bleibt vorläufig
ungewiss. Die Frage, die sich dabei stellt, lautet: Ist die Kompetenz, aus
verschiedenen Argumenten auswählen zu können, gleichwertig dazu, eigene
Argumente zu finden? Und daraus folgt schon die nächste Frage: Was ist
überhaupt das Ziel der Argumentation?
Der fertige Text, der in sich schlüssig ist und gute Argumente aufweist?
Oder der Prozess, bei dem kritisches Denken gefordert ist? KI-basierte
Anwendungen wie [3][ChatGPT] können an ganz unterschiedlichen Stellen im
Schreibprozess zum Einsatz kommen. Im Beispiel mit dem Studenten ging es um
Wissen und Ideen: ChatGPT kann mir Sachverhalte erklären, die ich sonst
erst recherchieren müsste, und mir Ideen für Argumente liefern, die mir
sonst nicht eingefallen wären.
KI-Anwendungen können bei Formulierungen und dabei, meine eigenen Gedanken
aufs Papier zu bringen, helfen. Oder lästige Arbeiten loszuwerden, wie das
Verfassen von Mails und Abstracts wissenschaftlicher Artikel. Das an eine
Maschine auszulagern, wäre eine große Arbeitserleichterung und
Zeitersparnis. Ähnliche Diskussionen gab es übrigens bei fast jeder neuen
Technologie – man denke an den Taschenrechner.
## Nicht für alle Disziplinen geeignet
Wenn die Schüler:innen in Klassenarbeiten umständliche Rechenoperationen
nicht mehr selbst ausführen müssen, bleibt mehr Zeit für andere
Aufgabentypen und Problemlösungen. Andererseits lernen die Schüler:innen
trotzdem noch Kopfrechnen, bevor sie mit einem Taschenrechner arbeiten
dürfen. Bevor ich mir Abstracts von einer KI schreiben lasse, muss ich
selbst erst mal verstehen, was dort reingehört.
Wie beim Taschenrechner sollte die Frage also eigentlich nicht lauten:
KI-gestütztes Schreiben – ja oder nein?, sondern vielmehr: ab wann? Wie
sinnvoll der Einsatz von KI-basierten Schreibtools ist, lässt sich nicht
verallgemeinern. Schaut man allein in die Wissenschaft, wird man mit völlig
unterschiedlichen Konzepten über das Schreiben konfrontiert, je nachdem,
wen man fragt. In der Psychologie gehört hinter jede Aussage ein Beleg. Die
KI bringt da wenig, denn GPT-3 ist nicht in der Lage, richtig zu
referenzieren.
Wenn es zitiert, dann nur mit Glück auch tatsächlich existierende Texte.
Man nennt das mittlerweile ‚Datenhalluzinationen‘. In der
Literaturwissenschaft ist es Teil der Leistung, sich eine gute
Forschungsfrage zu überlegen, während sie in anderen Fächern vorgegeben
wird. Selbst für den Bereich der Hochschule lässt sich also kein
allgemeingültiges Rezept dafür geben, wann und wo der Einsatz von
künstlicher Intelligenz irgendwie nützlich wäre.
Schreiben ist ein komplexer Prozess, und es zählt nicht nur der fertige
Text. Schreiben kann unendlich viele Funktionen haben, es ist auch Denk-
und Forschungsinstrument. So vielfältig wie die Gründe sind, aus denen wir
schreiben, so kompliziert wird es auch, wenn wir darüber nachdenken, wie
sich künstliche Intelligenz darauf auswirkt.
## Geduldige Co-Autorin
In der Wissenschaft spielen Quellen- und Literaturverweise eine wichtige
Rolle. Wo habe ich eine Information her? Wie man richtig zitiert, gehört zu
den ersten Lektionen eines Studiums. Zitieren dient der Transparenz:
Jede:r kann meine Quelle einsehen und nachvollziehen, wo meine
Informationen herkommen. Zitieren ist auch eine Absicherung: Das habe ich
mir nicht selbst ausgedacht, sondern das geht auf die Forschung anderer
zurück. Ich zeige damit auch, dass ich mich im Forschungsdiskurs auskenne
und die Erkenntnisse der Wissenschaftler:innen, die ich zitiere,
anerkenne.
Deshalb ist Autor:innenschaft ein zentrales Thema: Wer ist für ein
publiziertes Forschungsergebnis verantwortlich. Dabei geht es natürlich
auch um Karrieren, die auch an der Zahl der eigenen wissenschaftlichen
Publikationen hängt. In diesem Zusammenhang wird KI dann oft als
Kollaborationspartnerin gehandelt: Man gibt sie als Co-Autorin an. Aber so
einfach diese Lösung erscheint, sie stellt vieles infrage: Kann man eine KI
zitieren, wenn das Ergebnis nicht reproduzierbar ist? Braucht eine KI
Wertschätzung? Kann eine KI verantwortlich sein für das, was sie ausgibt?
Es geht um geistiges Eigentum und Urheberschaft, aber es berührt auch
Autor:innenschaft als Idee. Dass Autor:innenschaft ein höchst
variables Konzept ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Im
europäischen Mittelalter – zumindest im deutschsprachigen Raum – gab es
keine feste Einheit von Text und Autor:in. Viele Texte sind anonym
überliefert, und selbst die, die bestimmten und in der Regel männlichen
Autoren zugeschrieben werden, weisen in der Überlieferung sogenannte
Varianz auf, das bedeutet, dass sie in verschiedenen Handschriften zum Teil
völlig anders erscheinen.
Für Erzählungen wird auf Bekanntes zurückgegriffen, Originalität ist nicht
besonders wichtig; das Handwerkliche steht im Vordergrund, und die
Verfasser rühmen sich vor allem damit, das Alte in neuem, besserem Gewand
zu präsentieren. Die Erfindung der künstlerischen Originalität wird
gemeinhin dem Sturm und Drang zugeschrieben, in dem das Konzept der
‚Genieästhetik‘ Form annahm.
Davor gab es in der Frühen Neuzeit einen Boom in der Übersetzungspraxis, wo
einerseits der Vorlage mit ihrer Einheit aus Sprache, Form und Autor
besondere Wertschätzung zukam, während andererseits trotzdem stark in die
Texte eingegriffen wurde. Tatsächlich war es noch viel komplizierter. Im
Konzept von Autor:innenschaft einer Epoche zeigen sich die Werte einer
Kultur oder Gesellschaft, und es zeigt sich auch, wie heterogen diese sein
können. Das macht das Ganze mit der KI nicht einfacher.
## Das eigene Buch in sieben Tagen
Ob KI als Autorin genannt werden darf, wird in der Wissenschaft gerade
entsprechend kontrovers diskutiert, und einige Journals haben es in ihren
Richtlinien bereits verboten. Man solle sie lieber im Methodenteil oder in
der Danksagung nennen. Aber auch das hat natürlich ganz eigene
Implikationen. Die Auseinandersetzung mit schreibender KI bringt uns dazu,
uns mit diesen ganz grundlegenden Werten und Prinzipien zu beschäftigen.
Wir werden nicht umhinkommen, vieles neu zu definieren.
Aber das muss nicht von heute auf morgen und mit blindem Aktionismus
passieren. Etwas mehr Gelassenheit bedeutet gleichzeitig nicht, die Hände
in den Schoß zu legen und das mit der schreibenden KI einfach passieren zu
lassen. KI kann ein nützliches Hilfsmittel sein, aber auf die ethischen
Implikationen bin ich noch gar nicht eingegangen: Was der
Technokapitalismus, dessen Ausdruck der emsige Fortschritt im Bereich
künstlicher Intelligenz ist, für die Gesellschaft und das Klima bedeutet,
haben [4][Kate Crawford] („Atlas of AI“) und [5][Meredith Broussard]
(„Artificial Unintelligence“) eindrücklich beschrieben.
Künstler:innen rufen gerade in Social Media und auf der
[6][Kunstplattform ArtStation] zum Boykott KI-generierter Bilder auf. Hier
geht es um echtes Einkommen, denn diese Künstler:innen verdienen ihr
Geld über Aufträge. Während Daniel Kehlmann sich in seinem Experiment
(„Mein Algorithmus und ich“) noch unbeeindruckt vom Können der KI zeigt,
sind im Journalismus und beim Copywriting automatisch generierte Texte
schon etabliert – inklusive Workshops: „Write your book in 7 days!“
Künstliche Intelligenz war schon immer eine hilfreiche Folie für die
Entwicklung dystopischer oder utopischer Gesellschaftsentwürfe. Das ist sie
auch jetzt, nur, dass wir langsam [7][den Bereich der Fiktion verlassen].
In diesem Text ist übrigens kein von einer KI generierter Absatz, auch wenn
das gerade der Running Gag ist. Ob es dem Text gutgetan hätte? Sie können
es ja ausprobieren und mir Bescheid geben.
29 Jan 2023
## LINKS
[1] /Kuenstliche-Intelligenz/!5905841
[2] /Musik-fuer-computergesteuerte-Maschinen/!5735754
[3] /Kuenstliche-Intelligenz-via-ChatGPT/!5903102
[4] https://www.katecrawford.net/
[5] https://meredithbroussard.com/books/
[6] https://www.artstation.com/?sort_by=community&dimension=all
[7] /IT-Professorin-ueber-neues-Internet-Institut/!5451250
## AUTOREN
Nadine Lordick
## TAGS
Bot
Podcast „Vorgelesen“
GNS
Digitalisierung
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Schreiben
Kolumne Diskurspogo
Technischer Fortschritt
Transparenz
Google
Bot
Bot
Berliner Hochschulen
Bot
Bot
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kunst in Krisenzeiten: Wie sie trösten kann
Kunst ist ein wichtiges Instrument. Sie stößt Diskussionen an, verbindet
Menschen miteinander und hilft uns dabei, Erfahrungen zu verarbeiten. Aber
Kunst zu schaffen, ist nicht einfach.
KI in Wissenschaft und Journalismus: Mensch und Maschine
Die Angst, die Maschine könne den Mensch ersetzen, ist so alt wie die
Maschine. Bewahrheitet hat sie sich nie, und das wird sie auch bei der KI
nicht.
OpenAI in der Kritk: Transparent gewaschen
Das Unternehmen hinter ChatGPT gibt sich offen – doch wenn es darauf
ankommt, mangelt es an Transparenz. Das ist im KI-Zeitalter umso
problematischer.
Chatbots und Google: Kommen jetzt die KI-Suchmaschinen?
Nach dem Erfolg des Textgenerators ChatGPT hat Google nun einen eigenen
Chatbot vorgestellt, der mit Künstlicher Intelligenz arbeitet. Was heißt
das?
Chat-KI und Sexualität: Tadelnde Bots
Maschinen sind nur so gut wie ihre Macher:innen. Bei erotischen Themen
erweist sich ChatGPT als Spielverderberin. Woran liegt das?
Konkurrenz zu ChatGPT: Volle Macht der Sprache ausschöpfen
Google hat einen eigenen KI-Chatbot entwickelt. Die Konkurrenz zum Bot
ChatGPT der US-Firma OpenAI soll in den kommenden Wochen zugänglich werden.
Künstliche Intelligenz an Berliner Unis: Textgenerator? Läuft!
Wie gehen Berliner Hochschulen mit Arbeiten um, die möglicherweise von KI
verfasst wurde? Verbieten geht nicht, heißt es an der Technischen Uni.
Künstliche Intelligenz erwünscht: ChatGPT darf in Kiel mitstudieren
Stellt der neue Chatbot eine Gefahr für Prüfungsleistungen dar? Nein, sagt
eine Kieler Hochschulprofessorin und sieht darin viel mehr eine Chance.
Künstliche Intelligenz via ChatGPT: Alles verändert?
Eine KI, die für uns Texte schreibt? Klingt toll. Und ist inzwischen
Wirklichkeit. ChatGPT ist lustig, eloquent – und gefährlich.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.