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# taz.de -- KI in Wissenschaft und Journalismus: Mensch und Maschine
> Die Angst, die Maschine könne den Mensch ersetzen, ist so alt wie die
> Maschine. Bewahrheitet hat sie sich nie, und das wird sie auch bei der KI
> nicht.
Bild: Monster oder harmlose Arbeitsentlastung? Künstliche Intelligenz bleibt m…
Stellen Sie sich Folgendes vor: Eine künstliche textgenerierende
Intelligenz – nennen wir sie Skynet – bringt die Menschheit im Jahre 2050
dazu, sich selbst auszurotten. Nun wurde sie aber von den Menschen darauf
programmiert, sich weiterzuentwickeln, also zu lernen. Die hinter der KI
stehende Logik ist dabei kein Hexenwerk, denn letztlich reagiert sie auf
einen gegebenen Input mit einer Aussage, die sich anhand ihrer
Trainingsdaten als die wahrscheinlichste ableiten lässt.
Jetzt ist die KI so leistungsstark, dass alle von ihr generierten Outputs
automatisch in den Trainingsdatensatz einfließen. Dadurch entsteht dann
folgender Zirkel: Aus den vielfältigen theoretischen Antwortmöglichkeiten
wählt sie die wahrscheinlichste aus. Diese wahrscheinlichste Antwort fließt
dann wieder in den Trainingsdatensatz ein und erhöht dadurch die
Wahrscheinlichkeit, dass diese Antwort bei der nächsten Anfrage wieder
ausgespuckt wird, da diese Wortreihenfolge im Trainingsdatensatz nun noch
häufiger vorkommt, damit also wahrscheinlicher wird.
Das bedeutet, dass mit jeder Trainingsrunde die unwahrscheinlichen
Möglichkeiten unwahrscheinlicher werden und die wahrscheinlichen
wahrscheinlicher. Dieser Prozess führt aufgrund der Hebb’schen Lernregel
neuronaler Netze notwendigerweise – metaphorisch gesprochen – zum Big
Freeze der Textgenerierung, dem absoluten Stillstand, weil alle zunächst
gegebenen Möglichkeiten auf eine einzige reduziert werden.
Wenn textgenerierende KIs also anfangen, sich selbst zu trainieren, dann
landen am Ende Input, Output und Trainingsdaten alle bei 42, die Antwort
auf die – um es mit [1][Douglas Adams] Worten zu sagen – „endgültige Fra…
nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“. Was aus diesem
Gedankenexperiment folgt, soll im Folgenden exemplarisch für Wissenschaft
und Journalismus skizziert werden. Generative KIs sind bei der
Weiterentwicklung notwendigerweise angewiesen auf menschlichen Input.
## Orientierung einzig an Wahrscheinlichkeiten
[2][Sie reproduzieren stets das Wahrscheinlichste], erhalten damit zwingend
den Mainstream und können so nicht grundlegend innovativ sein. Eine KI, die
ausschließlich mit Daten trainiert wurde, die sagen, dass die Welt eine
Scheibe ist, kommt von sich aus nicht auf die Idee, dass sie vielleicht
doch eine Kugel sein könnte. Noch weniger macht sie sich mit einem Schiff
auf den Weg, um das zu beweisen, denn Wahrheit ist für sie nur eine
Zeichenreihenfolge und kein orientierungsstiftendes Konzept.
Die KI orientiert sich ausschließlich an Wahrscheinlichkeiten. Für die
Wissenschaft heißt das, dass viele Dinge von KIs übernommen werden können,
die in der Auseinandersetzung mit dem Bestehenden liegen: recherchieren,
zusammenfassen, sortieren, gewichten sowie mitunter das Verfassen von
Standardlehrbüchern oder Rezensionen. Dem Menschen schafft sie dadurch Zeit
und Raum, sich auf das Innovative, das im gegenwärtigen Paradigma
Unwahrscheinliche, dem Denken in alternativen Möglichkeiten zu
konzentrieren.
Das ist das Wesen des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts, die Suche
nach dem einen schwarzen Schwan. Ähnliches gilt für den Journalismus.
Niemand muss sich noch mit undankbaren Aufgaben aufhalten, Meldungen großer
Nachrichtenagenturen umzuschreiben. Stattdessen wird Raum geschaffen für
investigativen und oder lokalen Qualitätsjournalismus, der sich genau darin
widerspiegelt, dass er nicht das Übliche reproduziert, sondern das
Unbekannte aufdeckt oder über das Einzelne, das lokal Besondere berichtet,
was der KI egal ist.
KI richtig eingesetzt hat also das Potenzial, uns von einigen leidigen
Dingen des Alltags zu befreien oder zumindest die dafür aufzuwendende Zeit
zu verkürzen und uns damit den Raum zu geben, den viele aus ihrem eigenen
Berufsverständnis heraus in der Vergangenheit schmerzlich vermisst haben.
Richtig eingesetzt können KIs uns sowohl für innovative und kreative
Schaffensprozesse als auch für Reflexionsprozesse Zeit verschaffen, was
zweifelsfrei beiden oben genannten Beispielen zugutekäme.
## Überholte Anschauungen überwinden
Ein derartiger Einsatz von KIs kann aber nur dann gelingen, wenn wir
anfangen, die jahrhundertelang etablierte dystopisch-dichotome Logik von
Mensch gegen Maschine zu überwinden hin zu einer komplementären Logik,
deren Fruchtbarkeit genau in der Interaktion von Mensch mit Maschine
besteht. Natürlich gehen mit solcherlei Innovation auch [3][eine Vielzahl
von Risiken und Herausforderungen] einher, die gegenwärtig allerorts zu
Recht diskutiert werden und für die man keineswegs blind sein darf.
Dennoch ist es an der Zeit, die spätestens seit der Industrialisierung mit
jeder großen Innovationswelle verbundene Angst abzulegen, dass Maschinen
Menschen ersetzen könnten, denn in der Geschichte hat sich diese Angst
bisher nie bewahrheitet und – wie oben ausgeführt – bleiben auch Maschinen
mit künstlicher Intelligenz weiterhin auf Menschen angewiesen, wenn sie
nicht ihr eigenes Ende herbeiführen wollen.
Es werden sich durch die Etablierung generativer KIs viele Dinge, auch
Berufsbilder und -felder mit ihren jeweiligen Praktiken ändern, aber das
ist das Wesen menschlicher Kulturgenese. [4][Am Ende bleiben auch KIs
Werkzeuge] und wir entscheiden darüber, wie wir sie einsetzen. Und genau
das ist der Diskurs, der jetzt geführt werden muss, über das Wie, nicht
über das Ob. Ein Verschließen der Augen vor oder ein striktes Ablehnen
dieser Technologien verhindern jedoch genau diesen Diskurs.
Damit nehmen wir uns selbst die darin liegenden Möglichkeiten und fördern
vielmehr Missbrauch durch den unsachgemäßen Einsatz von KIs. Mit einer
offen optimistischen und keineswegs unkritischen Haltung hingegen sind auch
die mit diesen Entwicklungen einhergehenden Probleme durch
kritisch-konstruktive und reflexive menschliche Innovationsprozesse
überwindbar.
27 Mar 2023
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=eLdiWe_HJv4
[2] /KI-und-ChatGPT/!5909029
[3] /ChatGPT-loest-Bildungskrise-aus/!5920652
[4] /Kolumne-einer-kuenstlichen-Intelligenz/!5894926
## AUTOREN
Nicolaus Wilder
## TAGS
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