# taz.de -- IT-Professorin über neues Internet-Institut: „Das finden Sie nir… | |
> Ein neues Institut in Berlin soll die Gefahren und Chancen des digitalen | |
> Wandels erforschen. Das öffentlich finanzierte Internet-Institut ist | |
> einzigartig. | |
Bild: Wie dieser und andere Helfer unser Leben ändern, darüber forscht das In… | |
taz: Frau Schieferdecker, gerade wurde [1][das Deutsche Internet-Institut | |
in Berlin eröffnet] – auf der Website sind derzeit aber noch 31 Stellen | |
ausgeschrieben. Wann beginnen Sie mit der Arbeit? | |
Ina Schieferdecker: Wir sind momentan noch in der Aufbauarbeit. Dazu | |
gehört, die Geschäftsstelle aufzubauen, uns im neuen Gebäude in der | |
Hardenbergstraße einzurichten, eine Geschäftsordnung aufzusetzen, | |
Kooperationsverträge abzuschließen – und natürlich die offenen Stellen zu | |
besetzen. Es wird nicht bei den 31 ausgeschriebenen Stellen bleiben. | |
Insgesamt wird es 20 interdisziplinäre Forschungsgruppen geben, in denen | |
jeweils bis zu vier Doktoranden und Postdocs forschen werden. So gilt es, | |
rund 100 Stellen zu besetzen. Neben den Forschungsgruppen werden auch auf | |
fünf W3-Professuren eingerichtet. Erst zwei Stellen sind besetzt. | |
Wann, denken Sie, haben Sie Ihr Team zusammen? | |
Es ist nicht so einfach, so ein Institut von jetzt auf gleich in Gang zu | |
setzen. Deshalb gehen wir von mehreren Einstellungsrunden aus. Wenn es gut | |
läuft, sind wir in einem halben Jahr voll besetzt. Ich rechne aber damit, | |
dass es eher etwas länger dauert. Wissenschaftler, die sich mit | |
Digitalisierung beschäftigen, sind derzeit nicht mal eben so auf dem Markt | |
verfügbar. Wir sind in Berlin in der Digitalisierungshauptstadt. Da sind | |
gute Leute schwer zu finden. | |
Die Konkurrenz ist groß: Seit 2011 lässt Google am Humboldt- Institut für | |
Internet und Gesellschaft (HIIG) forschen, und dieses Jahr ist das | |
Einstein-Centrum Digitale Zukunft dazugekommen. Warum braucht es ein | |
weiteres Forschungszentrum? | |
Das Deutsche Internet-Institut ist das weltweit erste Institut an der | |
Schnittstelle zwischen Internet und Gesellschaft, das umfassend von der | |
öffentlichen Hand finanziert wird. Das ist ein Meilenstein. Das finden Sie | |
sonst nirgendwo auf der Welt. In Deutschland gab es ein so finanziell | |
unabhängiges Forschungszentrum bisher nicht. Das macht freier in unserer | |
Forschung. Übrigens gibt es in Berlin zudem auch das Fraunhofer | |
Leistungszentrum Digitale Vernetzung und das Kompetenzzentrum Berlin Big | |
Data Center. Wahrscheinlich haben Berlin und Brandenburg den Zuschlag für | |
das Internet-Institut auch deshalb bekommen, weil diese internetbezogenen | |
Institute alle hier angesiedelt sind. | |
Was unterscheidet die Institute in der Forschung? | |
Das Einstein-Centrum Digitale Zukunft ist eher technologieorientiert. Wir | |
sind gesellschaftswissenschaftlich aufgestellt. Wir haben zwar ein | |
technologisches Fundament, aber wir werden keine Technik entwickeln, | |
sondern untersuchen, was Technik kann und was nicht, und wo wir Grenzen | |
setzen sollten. Das Weizenbaum-Institut soll von der | |
sozialwissenschaftlichen Seite die ethischen, rechtlichen, wirtschaftlichen | |
und gesellschaftlichen Aspekte rund um das Internet und die Digitalisierung | |
erforschen. | |
Und die anderen Institute? | |
Das Leistungszentrum Digitale Vernetzung der vier Berliner | |
Fraunhofer-Institute FOKUS, HHI, IPK und IZM entwickelt praxisnahe Lösungen | |
für die digitale Transformation, ist also vor allem in der angewandten | |
Informations- und Kommunikationstechnik aktiv und arbeitet in den Bereichen | |
Industrie und Produktion, Mobilität und Gesundheit. Das Kompetenzzentrum | |
Berlin Big Data Center konzentriert sich auf Datenanalytik. Die größte | |
thematische Anknüpfung haben wir mit dem Humboldt-Institut. Aber es ist | |
großartig, was sich hier in Berlin entwickelt hat und wir werden uns | |
deshalb synergetisch ergänzen. | |
Welche Bereiche wollen Sie an Ihrem Institut neu erforschen? | |
Das Oberthema ist die Selbstbestimmung einer und in der vernetzten | |
Gesellschaft. Und zwar sowohl für Individuen, als auch für Organisationen | |
und für ganze Gesellschaften. Diese Selbstbestimmung wird einerseits durch | |
die Technik eingegrenzt; anderseits gibt es Technik, die die | |
Selbstbestimmung verbessern kann, denken Sie beispielsweise an Menschen mit | |
Behinderung oder die alternde Gesellschaft. Die verschiedenen Perspektiven | |
auf diese Frage spiegeln sich in den sechs Forschungsbereichen am Institut | |
wider. | |
Haben Sie ein Beispiel? | |
Im Forschungsbereich „Arbeit, Innovation und Wertschöpfung“ etwa | |
untersuchen wir, wie wir die Veränderungen in der Arbeitswelt gestalten | |
können. Wo hilft Digitalisierung? Wo schafft sie neue Arbeitsmöglichkeiten? | |
Wo ist sie eine Bedrohung? Es gibt ja die berechtigte Sorge, dass durch die | |
Digitalisierung ganze Berufsfelder verschwinden. Gleichzeitig entstehen | |
aber auch neue. Die Frage ist: Wie kann der Übergang gestaltet werden? Wie | |
gelingt es uns, die Menschen mitzunehmen und die Gesellschaft für | |
lebenslanges Lernen zu sensibilisieren? | |
Das Internet-Institut war Teil der Digitalen Agenda der Bundesregierung. | |
Bildungsministerin Wanka hat bei der Ausschreibung klar gemacht, dass das | |
Institut „lösungsorientiert“ sein soll. Welche Lösungen können Sie liefe… | |
Das ist die Crux in der Grundlagenforschung. Wir müssen die | |
gesellschaftlichen Herausforderungen im Blick haben und dennoch | |
wissenschaftliche Fragestellungen formulieren. Welche Lösungen am Ende | |
dabei herauskommen, können wir heute noch nicht sagen. | |
Mit anderen Worten: Die Politik stellt Erwartungen an Sie, die sie nicht | |
erfüllen können? | |
Wir haben in unserer Bewerbung sehr deutlich gemacht, dass wir ein | |
grundlagenforschungsorientiertes Institut sein werden. Natürlich werden wir | |
auch Handlungsempfehlungen für die Zivilgesellschaft darlegen. Wir sprechen | |
aber keine politischen Empfehlungen aus. | |
Wo liegen Ihrer Meinung die Chancen der Digitalisierung für die deutsche | |
Gesellschaft? | |
Die Chancen sind gigantisch. Das sage ich jetzt als Technikerin. Wir sind | |
in einem revolutionären Umbruch. Die digitale Vernetzung wird die | |
Gesellschaft so grundlegend weiterentwickeln, wie wir es heute noch nicht | |
voraussehen können. Es gibt aber genügend Möglichkeiten, diese Entwicklung | |
sicher zu gestalten und vertrauenswürdig zu machen. Wir nutzen das | |
Internet-Institut, um die Leitplanken zu finden, wie der digitale Wandel | |
erfolgreich gestaltet werden kann und um Grenzen zu definieren, die nicht | |
überschritten werden dürfen. | |
Ein wichtiger Partner bei der Digitalisierung ist die Wirtschaft. Inwieweit | |
sprechen Sie sich bei der Forschung ab? | |
Die Wirtschaft ist für uns sekundär. Wir sind hier und da von Unternehmen | |
angesprochen worden und wollen auch unsere Partnerschaften ausbauen. Wir | |
werden aber nicht in explizite Industrieprojekte einsteigen oder wie beim | |
Einstein-Centrum Professuren mit der Wirtschaft einrichten. Wir können uns | |
vorstellen, Promotionsthemen mit Unternehmen abzusprechen. Aber wie gesagt: | |
Projekte mit der Wirtschaft sind nicht das Erste, was das | |
Weizenbaum-Institut antreibt. Die Kooperation mit der Wirtschaft erfolgt | |
bereits in vielfältiger Art und Weise bei allen Verbundpartnern. | |
Könnte sich das ändern, wenn die Anschubfinanzierung Ihres Instituts durch | |
den Bund vorüber ist? Der hat für die ersten fünf Jahre 50 Millionen Euro | |
zugesichert. Das klingt eher zurückhaltend. | |
Ich finde die Finanzierung nicht zurückhaltend, sondern großzügig. Das Land | |
Berlin stellt zudem in den nächsten fünf Jahren 5,2 Millionen Euro für den | |
Sitz und die Ausstattung des Instituts zur Verfügung. Zudem hat uns der | |
Bund weitere 50 Millionen – und eine Verstetigung des Instituts aus | |
öffentlichen Mitteln in Aussicht gestellt. Wir müssen natürlich vorher sehr | |
gut leisten, bevor diese Optionen zum Tragen kommen. Das Institut wurde | |
aber von vornherein langfristig angedacht, sodass wir nicht auf die | |
Wirtschaft angewiesen sind. Diese Unabhängigkeit von wirtschaftlichen – und | |
auch politischen – Zwängen ist essenziell, um frei über die grundlegenden | |
Fragen der Digitalisierung nachdenken zu können. | |
Ihre Kollegin Gesche Joost, die ebenso am neuen Internet-Institut forschen | |
wird, bezeichnet die gesellschaftlichen Bedenken gegenüber dem digitalen | |
Wandel als „teilweise hysterisch“. Wie sehen Sie das? | |
Ich sympathisiere mit der Aussage von Gesche Joost. Ich glaube, viele | |
Bedenken werden aus Unwissenheit oder aufgrund von fehlendem Verständnis | |
überinterpretiert. Andererseits ist es vollkommen richtig, dass sich die | |
Gesellschaft proaktiv den zunehmenden Risiken einer digitalen Vernetzung | |
stellen muss. Man darf die Technik weder überbewerten noch unterschätzen. | |
Deshalb ist das neue Internet-Institut auch so wichtig, weil wir da auf die | |
kritischen Fragen kommen. | |
Sie sehen es als Ihre Aufgabe, Vorbehalte gegenüber dem Digitalen | |
abzubauen? | |
Ja. Wir wollen helfen, das Verständnis für den digitalen Wandel zu stärken. | |
Wir haben uns Formate wie das Open Lab vorgenommen, um anhand ganz | |
konkreter Beispiele den Kontakt mit Interessierten zu suchen. Wir wollen | |
die Menschen beim Thema Digitalisierung mitnehmen und nicht vom | |
Elfenbeinturm aus herab predigen. | |
4 Oct 2017 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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