Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Serie: Wie weiter, Germans? (4): Das Rennen gegen die Maschine
> Die gute Nachricht: Roboter nehmen Ihnen künftig die Scheißarbeit ab. Die
> schlechte: Sie nehmen Ihnen die Arbeit weg. Die Politik muss darauf
> reagieren.
Bild: Kein Problembewusstsein? Angela Merkel verstand sich schon 2010 gut mit R…
Die Zukunft vorauszusagen, ist ja generell schwierig. Die Sache wird noch
schwieriger, wenn es um die Voraussage von Geschehnissen geht, denen eine
disruptive Note innewohnt – das heißt, wenn diese Geschehnisse den
evolutionären Lauf der Dinge nicht einfach fortschreiben, als
kontinuierliche Veränderungen im Rahmen des Gewohnten, sondern alles
grundlegend verändern können.
Selbst dann nämlich neigen wir dazu, die Vergangenheit und Gegenwart in die
Zukunft zu verlängern, nämlich insofern, als wir glauben, es werde sich
zwar irgendwie alles ändern, aber dennoch werde – wiederum „irgendwie“ �…
alles doch gleich bleiben oder zumindest ähnlich. Aus einem simplen Grund:
Ähnlichkeit können wir uns vorstellen, völlig neue Muster aber nicht.
Was die disruptiven Auswirkungen von Digitalisierung und Automatisierung
betrifft, ist diese Neigung weit verbreitet. Nehmen wir nur die häufig
gehörte Behauptung, wie bei allen industriellen Revolutionen bisher werden
zwar viele Arbeitsplätze verschwinden, dafür aber neue und bessere
Arbeitsplätze entstehen und – wiederum wie bei allen technologischen
Revolutionen bisher – in ausreichender Zahl.
Es ist möglich, dass das geschieht. Aber seien wir ehrlich: Sehr
wahrscheinlich ist es nicht.
Die Digitalisierung, smarte Software, aber auch Robotisierung und
Automatisierung werden das Leben in den nächsten zwanzig Jahren dramatisch
umkrempeln. Um diese Auswirkungen einigermaßen verstehen zu können, muss
man aber die Dinge einigermaßen auseinanderhalten. Einerseits wird die
Digitalisierung Produktion und Dienstleistungssektoren revolutionieren –
andererseits aber auch Konsum, Haushalt und Alltag. Letzteres hat nicht
unbedingt Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte.
## Schlechte Aussichten für Kurierdienste
Ein simples Beispiel: Schon heute sind Lieferroboter ausreichend ausgereift
und marktgängig, die den Einkauf nach Hause bringen. Kleine Wägelchen, mit
verschlossenem Laderaum, die die letzten paar Kilometer vom „Supermarkt“
(der in Wirklichkeit ein großes Lager sein wird, aber nicht unbedingt ein
Geschäft mit Kundenverkehr) per GPS gesteuert fährt und die Waren vor die
Haustüre bringt. Fahrer von Lieferdiensten, Kassiererinnen etc. werden dann
von Maschinen ersetzt.
Im Smarthome werden Saugroboter herumfahren und Heizung und Elektronik
werden problemlos via WLAN und Smartphones gesteuert werden. All das kostet
aber natürlich kaum Arbeitsplätze – außer vielleicht für Teile des
Putzpersonals. Es entstehen sogar neue Jobs für IT-Dienstleister. Oder,
anderes Beispiel: Selbstfahrende Autos im normalen Personenverkehr kosten
selbstverständlich keine Arbeitsplätze – die privaten Autolenker müssen
dann nur eben ihre Autos nicht mehr selbst steuern. Im Logistikbereich ist
das aber etwas anders: Hier dürften Lkw-Fahrer und Taxilenker arbeitslos
werden.
In der Produktion werden viele Tätigkeiten automatisiert und robotisiert
werden können – wie heute schon in Teilen der Autoindustrie, in der auf den
Fertigungsstraßen immer weniger manuelle Arbeiter tätig sind. Dort, wo
immer noch manuelle Arbeit benötigt wird, werden smarte Roboter den
Arbeitern helfen. Smarte Roboter sind nicht bloß Automaten, die ein paar
vorprogrammierte Montageschritte tätigen können, sondern Maschinen, die
intelligent auf Reize reagieren – die durch Einsatz von Sensoren und
intelligenter Software „verstehen“, dass ein Arbeiter ein Werkstück heben
will, und das für ihn erledigen.
## Die Produktion kehrt zurück
Auch in der Textilindustrie wird die Arbeit zunehmend von Maschinen und
Software erledigt, was übrigens dazu führt, dass Fabriken, die vor dreißig
Jahren in Billiglohnländer verlegt wurden, heute wieder in die entwickelten
Länder zurück verlegt werden – einfach, weil die niedrigeren
beziehungsweise höheren Lohnkosten nicht mehr sonderlich ins Gewicht
fallen.
Ähnliches gilt jetzt schon für die Elektronikbranche. So kündigte
beispielsweise die Firma Foxconn, die vor allem für Apple produziert, schon
2012 an, in ihren Werken in China bis zu eine Million Roboter einzusetzen.
Chris Anderson, Ex-Chef von Wired und CEO von 3D Robotics, formuliert: „Je
leistungsfähiger die Automaten in den Fabriken werden, umso kleiner wird
der Anteil der Arbeit an einem durchschnittlichen Produkt. Damit verliert
das übliche Argument des ‚Lohnkostenvorteils‘ für die Verlagerung der
Produktion nach Übersee an Schlagkraft.“
Aber die Robotisierung wird nicht nur in Fabriken Einzug halten, sondern in
viele Teile der Produktion. Schon jetzt gibt es die Bauroboter SAM und
Hadrian X, deren stärkste Ausführungen 1.000 Ziegelsteine pro Stunde
vermauern können und damit für den Rohbau eines Durchschnittshauses kaum
länger als drei Tage brauchen. Was das künftig für Bauarbeiter bedeutet,
kann man sich leicht vorstellen.
Im Grunde, schreibt der amerikanische Softwareentwickler und Technikautor
Martin Ford, ist heute jeder Job durch Digitalisierung bedroht, der
„berechenbar“ ist. Ist dieses Kriterium erfüllt, „ist die
Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Algorithmus eines Tages lernen könnte,
einen Großteil Ihrer Arbeit zu übernehmen“.
Tatsächlich sind daher relativ gehobene Angestelltenjobs noch viel mehr von
der Digitalisierung bedroht als Jobs in der Produktion. Und zwar aus einem
einfachen Grund: Um eine Büroaufgabe zu ersetzen, brauche ich nur einen
normalen Computer, Serverkapazitäten und eine gute Software. Um einen
Produktionsjob zu ersetzen, braucht es all das auch und dazu noch eine
komplexe Hardware wie Roboter.
Deshalb werden routinisierte Tätigkeiten – von der Datenverarbeitung über
die Logistik bis zu medizinischen Diagnosen, von anwaltlicher Recherche bis
zum Journalismus – von der Digitalisierung bedroht sein. Normale
Nachrichtentexte, aber wohl auch leicht komplexere wie dieser hier, können
heute schon von Software geschrieben werden, und Röntgendiagnosen kann
Software bald exakter und fehlerfreier stellen als ein Arzt, der selbst bei
viel Routine und mit guten Augen bei bildgebenden Verfahren nie so viel
sehen wird wie die Maschine, die Pixel für Pixel Abnormitäten sucht.
## Jenseits des Gewohnten
Das sind nur ein paar Beispiele aus einer unendlichen Liste an
Veränderungen, die durch die digitale Produktion bewirkt werden. Hinzu
kommen die neuen Maker-Möglichkeiten durch 3-D-Druck und die damit bewirkte
Abkehr von der Massenproduktion hin zu einer – möglicherweise – neuen
Kultur des Handwerks, bis zum Phänomen des Crowdworking, also der
dezentralen Kooperation vereinzelter Mitarbeiter, die weder mit Firmen noch
mit Kollegen verbunden sind. Und die neuen Technologien können ganze
Branchen umpflügen, also lange gewachsene Firmen in wenigen Jahren
ruinieren und diese durch ganz neue Player ersetzen.
Kurzum: Es ist unmöglich wirklich vorauszusagen, wie die Welt der nahen
Zukunft aussehen wird – aber es ist ziemlich hanebüchen zu erwarten, dass
sie sich im Rahmen des Gewohnten bewegen wird.
Die zentrale Frage ist dann, wie Beschäftigung und damit verbundene
Einkommen sich verteilen werden. Entstehen eine Vielzahl neue Jobs, die die
alten ersetzen – dann wird zwar auch nicht alles prima, da man einen
Bauarbeiter schwer auf Softwareingenieur wird umschulen können, aber für
„das System“ als Ganzes ergibt sich langfristig kein großes Problem. Wenn
das aber nicht der Fall ist, dann bleibt die Frage: Wer wird die schönen
Güter kaufen können, wenn immer weniger Menschen gut bezahlte Jobs haben?
Diese Möglichkeit ist nicht nur vorhanden, es finden sich jetzt schon
genügend Indizien für dieses Szenario. Der deutsche Forscher Philipp Staab
spricht in diesem Kontext von einem „inhärenten Konsumtionsdilemma des
digitalen Kapitalismus“. Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson, zwei Forscher
des Massachusetts Institute of Technology, sprechen vom „Race Against the
Machine“ – dem „Rennen gegen die Maschine“ –, das die Menschen verlie…
könnten.
## Die Produktivität wächst zu schnell
Jahrzehntelang verliefen die Kurven von Einkommensentwicklung auf der einen
Seite und von Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum auf der anderen Seite
parallel, so die Forscher – doch seit Beginn der 2000er-Jahre zeige sich
schon eine „große Abkoppelung“. Produktivität und Wirtschaft wachsen
deutlich schneller als die Einkommen – sogar trotz niedrigem Wachstum.
Tatsächlich sei gerade die Einkommens- und damit die Nachfragelücke für das
niedrige Wachstum hauptverantwortlich.
Bewahrheiten und radikalisieren sich diese Szenarien, dann ist völlig klar,
dass es mit dem bisherigen Arrangement des Kapitalismus so nicht weiter
gehen kann. Dann führt er entweder zu Massenarmut und sozialem Chaos, oder
aber es werden neue Arrangements gefunden.
Politik muss darauf reagieren.
Das Mindeste ist, die Finanzierung der wichtigsten Staatsausgaben von der
Besteuerung von Arbeitseinkommen auf die Besteuerung von Wertschöpfung,
Gewinne und Vermögen umzustellen. Es ist absurd, dass arbeitsintensive
Branchen heutzutage auch noch einen ökonomischen Nachteil gegenüber
durchmaschinisierten Branchen haben.
Auch ein bedingungsloses Grundeinkommen, gegen das es an sich gute
Argumente gibt, muss völlig neu diskutiert werden. Weil es vielleicht die
einzige Möglichkeit ist, in Zukunft Einkommen und Konsumnachfrage zu
stabilisieren.
Dieser Text ist aus der neuen Ausgabe der FUTURZWEI. Seit dem 12. September
am Kiosk oder auch [1][direkt hier zu bestellen]
17 Sep 2017
## LINKS
[1] http://shop.taz.de/product_info.php?products_id=244426&med=taz.de&p…
## AUTOREN
Robert Misik
## TAGS
Wie weiter, Germans?
Automatisierung
Roboter
taz FUTURZWEI
Zukunft
Digitalisierung
Alten- und Pflegeheime
taz FUTURZWEI
Autonome Waffen
Internet
Wie weiter, Germans?
Lesestück Meinung und Analyse
Jamaika-Koalition
Rhetorik
Deutsche Politik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Crowdworker in Deutschland: Digitale Geister-Arbeiter
Michael Neundorf arbeitet in seiner Freizeit und muss sich verstecken.
Adrian P. mag die Freiheit im Job, aber eine Altersvorsorge hat er nicht.
Roboter als Hilfskraft in der Pflege: „Wollen wir singen?“
Forscher untersuchen, wie Roboter in der Altenpflege eingesetzt werden
können. Dafür ist vor allem eines nötig: mehr Akzeptanz.
Aus taz FUTURZWEI: Die linke Sklerose
Was zum Teufel ist heute eigentlich noch „progressiv“? Die Linke jedenfalls
nicht, findet Harald Welzer. Wir müssen wieder nach vorne denken.
Künstliche Intelligenz und Moral: Guter Roboter, schlechter Roboter
Jobverlust durch Automatisierung? Roboter, die über Recht und Unrecht
entscheiden? Das sind keine Debatten der Zukunft. Wir sind mittendrin.
IT-Professorin über neues Internet-Institut: „Das finden Sie nirgends auf de…
Ein neues Institut in Berlin soll die Gefahren und Chancen des digitalen
Wandels erforschen. Das öffentlich finanzierte Internet-Institut ist
einzigartig.
Serie: Wie weiter, Germans (9): Was heißt eigentlich Leistungsträger?
Auch 2017 kennt die Politik als Wählerkategorien nur „Angestellte“ oder
„Arbeitslose“. Freiberufler und junge Kreative werden alleingelassen.
Serie: Wie weiter, Germans? (5): Von Kretschmann lernen
Zu viel fordern ist nicht gut. Zu wenig auch nicht. Wie gewinnt man
politische Mehrheiten für einen ernsthaften Kampf gegen den Klimawandel?
Serie: Wie weiter, Germans (3): Jamaika muss leben können
Gegen eine schwarz-gelb-grüne Koalition spricht aktuell vieles. Tot ist sie
deswegen nicht. Denn staatsbürgerliche Verantwortung geht vor Chaos.
Serie: Wie weiter, Germans? (2): Die Zukunft bleibt unsichtbar
Schulz moralisiert, Merkel verzieht keine Miene. Welche Geschichte unserer
Zeit erzählen die Volksparteien – und was bleibt außen vor?
Aus dem Magazin taz.FUTURZWEI: Wie weiter, Germans?
Im Wahlkampf 2017 wird über zentrale Zukunftsfragen nicht gesprochen. Doch
damit dürfen wir die Politik nicht durchkommen lassen. Ein Aufruf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.