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# taz.de -- Meteorologe über Temperaturrekorde: „Das ist extrem außergewöh…
> Das Jahr hat in ganz Mitteleuropa so warm angefangen wie noch nie, sagt
> der Meteorologe Florian Imbery. Ein Gespräch über die Folgen der
> Klimakrise.
Bild: Zu wenig Regen: Niedrigwasser im Rhein bei Bingen im August 2022
taz: Herr Imbery, an manchen Orten in Deutschland herrschten zu Silvester
und Neujahr 20 Grad – startet 2023 mit einer Hitzewelle?
Florian Imbery: Wir kennen ja den Begriff Hitzewelle im Winter eigentlich
nicht, aber in dem Fall stimmt er. Wir sind zum Jahreswechsel mit
Temperaturen gestartet, wie wir sie in Deutschland und ganz Mitteleuropa
einfach noch nie erlebt haben. Das ist sehr, sehr außergewöhnlich. Es hat
jetzt ein bisschen abgenommen, aber trotzdem. Übrigens fallen nicht nur
diese unglaublich hohen Maximumtemperaturen bis 20 Grad auf – in der
Silvesternacht ging die Temperatur teilweise nur auf 15 Grad hinunter. Das
sind Minimumtemperaturen, die im Hochsommer okay sind. Für Dezember und
Januar ist das eigentlich unvorstellbar. Das gab es noch nie.
Im Dezember gab es auch ein paar kalte Tage, aber für das Jahr 2022 war das
nicht exemplarisch, oder?
Nein, auf keinen Fall. Das Gebietsmittel der Temperatur lag in Deutschland
bei 10,5 Grad. Damit ist 2022 gemeinsam mit 2018 das wärmste Jahr seit
Beginn der Wetteraufzeichnungen. Alle Monate waren wärmer als im
vieljährigen Durchschnitt von 1961 bis 1990, teilweise um mehr als 3 Grad.
Das ist sehr viel. Ausgesprochen heiß war zum Beispiel der August.
Nach einer Schätzung des Robert-Koch-Instituts gab es im Sommer in
Deutschland etwa 4.500 Hitzetote. Wie extrem war die Sommerhitze aus
meteorologischer Sicht?
Die war sehr außergewöhnlich, auf mehreren Ebenen. Erst mal war der Sommer
prinzipiell sehr warm. Es gab nur zwei Sommer mit höheren
Durchschnittstemperaturen: 2003 und 2018. 2019 war es ähnlich warm wie
letztes Jahr. Und zweitens hatten wir zwei intensive Hitzewellen, die
europaweit auch völlig neue Rekorde gebracht haben. In Deutschland wurden
an mehreren Wetterstationen 40 Grad oder mehr gemessen. Das ist immer noch
die Ausnahme, Gott sei Dank, aber es wird immer häufiger.
Für Großbritannien haben Wissenschaftler:innen die extremen
Temperaturen nach einer Studie mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht,
mit dem Ergebnis, er habe sie 10-mal wahrscheinlicher gemacht.
Ja, in Großbritannien wurden erstmals die 40 Grad geknackt, im Ort
Coningsby waren es 40,3 Grad. Am selben Tag haben wir übrigens in Hamburg
40,2 Grad gemessen. Das liegt noch mal ein Stück nördlicher als Coningsby.
Ich habe damals extra nachgeguckt und glaube nicht, dass so weit im Norden
Europas schon mal 40 Grad gemessen wurden. Das ist extrem außergewöhnlich.
[1][2022 war also in Deutschland sehr heiß], wie sah es denn beim
Niederschlag aus?
Im Februar hatten wir noch recht hohe Niederschlagsmengen in ganz
Deutschland. Damit konnten die Defizite in der Bodenfeuchte und im
Grundwasser aus dem Jahr zuvor gut ausgeglichen werden. Danach waren aber
alle Monate bis auf den September zu trocken, teilweise bedeutend zu
trocken. Die Kombination aus den hohen Temperaturen und den sehr niedrigen
Niederschlägen hatte viele Konsequenzen, zum Beispiel für Land- und
Forstwirtschaft. Wir hatten noch nie so viele Waldbrände wie 2022. Die
Binnenschifffahrt war zwischenzeitlich eingeschränkt, weil die Flüsse zu
wenig Wasser hatten. Das war ja auch eine Situation, die wir nicht nur in
Deutschland hatten, sondern europaweit. In Frankreich mussten Dutzende
Atomkraftwerke abgeschaltet werden, weil es nicht genügend Kühlwasser gab.
Wie haben sich die Durchschnittstemperaturen in Deutschland über die Jahre
entwickelt?
Es gibt eine deutliche Steigerung. Der Deutsche Wetterdienst kann
Auswertungen ab 1881 machen, seitdem gibt es flächendeckend ausreichend
Wetterstationen. In diesem Zeitraum hat sich die Temperatur im Durchschnitt
um 1,7 Grad erhöht. Im vergangenen Jahr hatten wir noch von 1,6 Grad
gesprochen, das Jahr 2022 hat den Wert noch mal hochgetrieben.
Global spricht man bisher von etwa 1,2 Grad Erderhitzung. Das heißt,
Deutschland heizt sich schneller auf als der Durchschnitt?
Ja, aber man muss genau hinschauen. Die globalen Datensätze enthalten auch
die Temperaturen über den Ozeanen. Die steigen langsamer, unter anderem,
weil die Ozeane die empfangene Wärme sehr effektiv in tiefere Schichten
mischen. Wenn man sich nur die globalen Landmassen anschaut, entspricht das
Niveau von Erwärmung dem, das wir in Deutschland sehen.
Es gab gerade eine Berechnung des Thinktanks Agora Energiewende, nach der
die CO2-Emissionen der deutschen Energiewirtschaft 2022 erstmals seit
Langem wieder gestiegen sind. Wenn Sie das hören, wie fühlen Sie sich da?
Wie soll ich das sagen? Die Klimakrise schreitet noch schneller voran, als
das viele Klimamodelle projiziert haben. Wir erleben jetzt schon das
Wetter, das wir erst für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts erwartet
haben. Der Klimawandel ist definitiv auch in Mitteleuropa angekommen, mit
allen Konsequenzen. Die Motivation, die Emissionen auf null
herunterzufahren, müsste eigentlich so groß sein wie nie zuvor. Mir ist
natürlich klar, dass der russische Angriff auf die Ukraine in diesen Werten
drinsteckt. Es stellt sich jetzt die Frage, wie sich Deutschland, Europa
und die ganze Welt in dieser neuen Situation aufstellen. Gut anfühlen tut
sich das auf jeden Fall nicht.
10 Jan 2023
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## AUTOREN
Susanne Schwarz
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