# taz.de -- Unwort des Jahres 2022: „Klimaterroristen“ kriminalisiert | |
> Sprachwissenschaftler:innen küren „Klimaterroristen“ zum Unwort des | |
> Jahres. Es stelle berechtigten Widerstand in einen staatsfeindlichen | |
> Kontext. | |
Bild: Protest der „Letzten Generation“ vor dem Berliner Kanzleramt im Somme… | |
MARBURG afp/dpa/epd/taz Der Begriff „Klimaterroristen“ ist das Unwort des | |
Jahres 2022. Mit dem Begriff würden pauschal Menschen diskreditiert, die | |
sich für Klimaschutzmaßnahmen und [1][die Einhaltung des Pariser | |
Klimaabkommens] einsetzten, begründete die überwiegend aus | |
Sprachwissenschaftler:innen zusammengesetzte Jury am Dienstag im | |
hessischen Marburg ihre Entscheidung. Klimaaktivisten würden so mit | |
Terroristen gleichgesetzt und dadurch kriminalisiert. | |
Mit der Gleichsetzung der Klimaaktivisten mit Terrorismus würden | |
gewaltloser Protest und demokratischer Widerstand in einen | |
staatsfeindlichen Kontext gestellt. Der Fokus der Debatte verschiebe sich | |
zudem von den aus Sicht der Jury „berechtigten inhaltlichen Forderungen“ | |
zum Umgang mit den Aktivisten. | |
Die globale Bedrohung durch den Klimawandel gerate in den Hintergrund – das | |
gelte auch für die Forderung der Aktivisten, die Krise durch wirksame | |
politische Maßnahmen zu bekämpfen. Im Vordergrund stehe, wie mit den | |
Protestierenden politisch und juristisch umzugehen sei. | |
Der Begriff „Klimaterroristen“ wurde in den letzten Jahren immer wieder von | |
Politikern der AfD genutzt. Politiker anderer Parteien versteiften sich | |
zuletzt eher auf Begriffe wie „Klima-RAF“ oder „Grüne RAF“. | |
Letzterer war ursprünglich von dem Klima- und LGBT-Aktivisten Tadzio Müller | |
aufgebracht worden, der vor anderthalb Jahre zunächst [2][in der taz für | |
„friedliche Sabotage“ plädiert] hatte und im Dezember 2021 [3][in einem | |
Spiegel-Interview] prophezeite: „Wer Klimaschutz verhindert, schafft die | |
grüne RAF“. Das Label löste [4][größere Diskussionen] auch in der | |
Klimabewegung aus, war aber auch eine Steilvorlage für alle, die | |
Klimaaktivist:innen Gewalt unterstellen wollten. Im Dezember 2022 | |
hatte Müller in einem weiteren Interview seine Aussagen [5][als Fehler | |
bezeichnet]. | |
## „Sozialtourismus“ auf Platz 2 | |
Auf Platz zwei setzte die Jury in diesem Jahr den Ausdruck | |
„Sozialtourismus“, der 2013 zum „Unwort“ gekürt worden war. CDU-Chef | |
Friedrich [6][Merz hatte das Wort im vergangenen September] im Zusammenhang | |
mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine verwendet und sich später dafür | |
entschuldigt. Die Jury sah in dem Wortgebrauch „eine Diskriminierung | |
derjenigen Menschen, die vor dem Krieg auf der Flucht sind und in | |
Deutschland Schutz suchen“. Zudem verschleiere das Wort ihr prinzipielles | |
Recht darauf. | |
Auf Platz drei kam die Formulierung „defensive Architektur“, die als | |
irreführend und beschönigend kritisiert wurde. Der Ausdruck bezeichnet eine | |
Bauweise, die verhindert, dass sich etwa Wohnungslose länger an | |
öffentlichen Orten niederlassen können. | |
Beim Unwort des Jahres werden seit 1991 nach Auffassung der Fachleute | |
unmenschliche oder unangemessene Begriffe ausgewählt, die gegen das Prinzip | |
der Menschenwürde verstoßen, in irreführender Weise etwas Negatives | |
beschönigen oder diskriminieren. Die überwiegend aus | |
Sprachwissenschaftler:innen zusammengesetzte Jury will damit | |
insgesamt auf „undifferenzierten, verschleiernden oder diffamierenden | |
öffentlichen Sprachgebrauch“ aufmerksam machen und Menschen für das Thema | |
sensibilisieren. | |
Das „Unwort des Jahres“ wurde nach verschiedenen Kriterien aus Vorschlägen | |
ausgewählt, die Interessierte bis zum 31. Dezember 2022 eingereicht hatten. | |
Insgesamt gab es 1.476 Einsendungen mit 497 verschiedenen Begriffen, von | |
denen knapp 55 den Kriterien der Jury entsprachen. | |
Im vergangenen Jahr wurde [7][der Begriff „Pushback“] zum Unwort des Jahres | |
gekürt. Damit werde ein menschenfeindlicher Prozess des Zurückdrängens von | |
Flüchtenden an den Grenzen beschönigt, erklärte das Gremium damals zur | |
Begründung. | |
2020 gab es mit „Corona-Diktatur“ und „Rückführungspatenschaften“ ers… | |
ein Unwortpaar. Die Unwörter der Vorjahre lauteten [8][“Klimahysterie“ | |
(2019)], „Anti-Abschiebe-Industrie“ (2018) und [9][“alternative Fakten“ | |
(2017)]. | |
Vor einem Monat hatte die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache in | |
Wiesbaden „Zeitenwende“ zum Wort des Jahres 2022 gekürt. | |
10 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Europa-vor-der-Klimakonferenz/!5807500 | |
[2] /Radikalitaet-der-Klimabewegung/!5789719 | |
[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/tadzio-mueller-wer-klimaschutz-v… | |
[4] /Radikalisierung-der-Klimabewegung/!5818370 | |
[5] /Debatte-um-eine-gruene-RAF/!5898897 | |
[6] /Merz-unterstellt-Sozialtourismus/!5880211 | |
[7] /Umgang-mit-Gefluechteten/!5828085 | |
[8] /Unwort-des-Jahres-Klimahysterie/!5657330 | |
[9] /Unwort-des-Jahres-2017/!5478089 | |
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