# taz.de -- Wortwahl in der Klimakatastrophe: Sprache als Klimakiller | |
> 2-Grad-Ziel, Umwelt, CO2-Äquivalente, Kompensation: Viele Klimabegriffe | |
> sind verharmlosend oder sachlich falsch. Ein Plädoyer für klügere | |
> Sprache. | |
Bild: Zu langsam, zu ineffektiv, ein wenig ist auch die Klimawissenschaft veran… | |
Zu langsam, zu ineffektiv, zu häufig wirkungslos – die Pariser Klimaziele | |
von „deutlich weniger als im Schnitt 2 Grad plus“ [1][werden von keinem | |
Land der Welt erreicht]. So beurteilt die globale Klimabewegung die | |
Maßnahmen der nationalen Regierungen rund um den Globus. Die fossile Lobby | |
ist viel zu stark, die Regierungen sind zu sehr mit ihr verbandelt oder | |
trauen sich zu wenig. Aber ein wenig ist auch die Klimawissenschaft | |
verantwortlich – aufgrund ihrer Sprache. | |
Es fing bereits an mit dem Begriff „Klimawandel“. US-Wissenschaftler der | |
1970er und 1980er nannten das Phänomen immerhin noch | |
[2][„Treibhauseffekt“]. Treibhäuser sind heiß, das begreifen Menschen | |
intuitiv. Aber „Klimawandel“? Ach, irgendwas ändert sich doch immer. Und | |
Wandel klingt nach Lustwandeln, nach Spaziergang in lauschigen | |
Wandelhallen. | |
Dann, einige Zeit später, das „2-Grad-Ziel“. Gefühlt sind zwei Grad | |
Unterschied nicht der Rede wert: Schon allein der Wärmeunterschied zwischen | |
Tag und Nacht ist größer. Abermillionen von Menschen haben die dramatischen | |
Konsequenzen von „plus 2 Grad“ nie verstanden. Das Rechnen mit globalen | |
Mittelwerten, die auch Ozeane, sprich 70 Prozent der Erdoberfläche, | |
miteinschließen, verschleiert das Wesentliche der Klimakatastrophe: | |
Extremwetter und Landzerstörungen. Also Hitzewellen, Dürren, Wüstenbildung, | |
Überflutungen, Meeresanstieg, Unberechenbarkeit von Jahreszeiten und | |
Ernten, Unsicherheit von Leben überhaupt. Wäre als Kernbotschaft vermittelt | |
worden, dass lokal viele höhere Temperaturen entstehen und somit | |
Welternährung und Lebenssicherheit auf der Kippe stehen, wäre die Wirkung | |
weit größer gewesen. | |
Sodann der Begriff [3][„negative Emissionen“]. „Negativ“ ist ein negativ | |
besetztes Wort, „Emissionen“ auch. „Negative Emissionen“ müssen also e… | |
besonders Schreckliches sein. Was, es geht um Treibhausgas-Speicherung? | |
Warum nennt man das dann nicht so? Der Begriff „Umwelt“ wiederum ist nicht | |
den Klimawissenschaften anzulasten, weil schon älter, aber ebenfalls | |
verhängnisvoll. Alles, was lebendige Natur ist, pulsierendes Leben, | |
quirlige Artenvielfalt, wird in ein menschenzentriertes Wort gequetscht. | |
Um-Welt, das ist die Welt um den Menschen herum, seine Bedürfnisse und | |
Interessen. | |
## Mitwelt statt Umwelt | |
De facto eine Un-Welt, weil der Begriff leugnet, dass Menschen ohne Natur | |
nicht existieren können. Um-Welt, das ist die fatale Fortsetzung des | |
Bibelspruchs: „Macht euch die Erde untertan!“ Der Spruch wurde über | |
Jahrhunderte benutzt, und bis heute gelten Tiere, Pflanzen und Ökosysteme | |
juristisch als Dinge. Eine verdinglichte „Umwelt“ ist viel leichter zu | |
erobern, auszubeuten und zu zerstören als das lebendige Subjekt einer | |
„Mitwelt“ mit ihren nichtmenschlichen Mitgeschöpfen, die ihren Eigenwert in | |
sich selbst trägt. | |
„CO2-Äquivalente“ ist ein weiterer Problembegriff. Er suggeriert, dass man | |
alle Treibhausgase mit CO2 gleichsetzen und verrechnen könne. Dabei haben | |
Lachgas, Methan und Stickoxide völlig unterschiedliche biologische Kurz- | |
und Langzeitwirkungen. Auch Wasserdampf ist ein Treibhausgas. Die | |
Erfindung der „CO2-Äquivalente“ dient dazu, Computersimulationen für die | |
Wirkung von Klimamaßnahmen zu erstellen. Sie führt aber auch dazu, dass | |
Autos, Kühe und Reisfelder als CO2-Emissionsquellen mit Mooren oder Wäldern | |
als CO2-Emissionssenken verrechnet werden – obwohl Verbrennermaschinen eine | |
völlig andere Wirkung haben als Kühe. Die wegen ihres Methan-Rülpsens als | |
„Klimakiller“ geschmähten Rinder etwa können mittels nachhaltiger | |
Weidesysteme jede Menge CO2 auf Weiden speichern helfen. | |
## Qualitative Unterschiede | |
Mit anderen Worten: Über die rein quantitative Verrechnung mittels | |
„CO2-Äquivalenten“ gehen entscheidende qualitative Unterschiede verloren. | |
Das wirkt sich zugunsten von großtechnischen Vorschlägen und Scheinlösungen | |
aus und zulasten von natürlichen Klimalösungen. Inzwischen ist überall zu | |
lesen, dass „wir“ nicht mehr umhinkommen, in Form der CCS-, DACCS- oder | |
BECCS-Technik CO2 abzuscheiden und unterirdisch zu lagern. Auch der grüne | |
Vizekanzler Robert Habeck redet so daher. | |
Dieses CO2-fixierte Denken suggeriert zudem, dass man [4][entstandene | |
Schäden mit Geld „kompensieren“ könnte] – etwa indem man beim Kauf von | |
Flugtickets gegen einen Aufpreis kleine Solarprojekte fördert. Deren lokale | |
Wirkung kann aber die weit über den CO2-Ausstoß hinausreichende | |
Negativwirkung von Kondensstreifen in der Atmosphäre niemals reparieren und | |
wiedergutmachen. Dennoch sind dadurch alle verführt zu glauben, dass sie | |
munter weiter Treibhausgase ausstoßen dürfen, solange es scheinbar möglich | |
ist, andernorts CO2 einzusparen. Auch die gigantischen Naturzerstörungen, | |
die etwa durch den Lithiumabbau für Elektromotoren entstehen, werden so | |
unsichtbar gemacht. Viele glauben deshalb, es reiche, ein E-Auto und ein | |
paar Solarpanels zu kaufen, um die Klimakrise zu stoppen. | |
## Naturbasierte Lösungen wirksamer | |
Dabei sind naturbasierte Klimalösungen mit ihren positiven Nebeneffekten | |
weit wirksamer als technische. Wenn wir die Natur ungestört für sich | |
wirtschaften lassen, gewinnen auch wir Menschen – etwa an Erholungsorten | |
und gesunder Ernährung. Moorschutz, Aufforstungen, Humusaufbau, | |
Pflanzenkohle, regenerative Landwirtschaft, Küsten-, Watten-, Seegras- und | |
Mangrovenschutz, renaturierte Flussläufe, wiederergrünte Schwammstädte – | |
all das hat ein ungeheures, bis heute nicht ansatzweise gehobenes | |
Klimapotenzial. | |
Ich persönlich möchte nicht in einer Techno-Welt voller Maschinen zur | |
CO2-Abscheidung und E-Autos leben. Sondern in einer Welt der Naturfülle mit | |
renaturierten Wäldern, Stadtparks und Mooren, mit Lebensräumen für unsere | |
wilden Mitgeschöpfe. Renaturierungen sind schön, und wir sollten ihre | |
Schönheit mit einer Sprache beschreiben, die die Natur in ihrer ganzen | |
Lebendigkeit feiert. | |
16 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ute Scheub | |
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