| # taz.de -- Klima in Städten: Agoras statt Autos | |
| > Klimademokratie vor Ort könnte den Gemeinsinn stärken – und erhitzte | |
| > Städte abkühlen. Das ist konkreter als der Kampf gegen die globale | |
| > Erwärmung. | |
| Bild: Geistiges Vorbild griechische Agora: Was könnte begrünt, entsiegelt, ve… | |
| Unsere Gesellschaft ist atomisiert, die Demokratie büßt an Resonanz und | |
| Überzeugungskraft ein. Bürger:innen fehlt die | |
| Selbstwirksamkeitserfahrung, gesehen und gehört zu werden, für sie hat | |
| sich Demokratie auf das Wählen reduziert. 2024 sind deshalb starke | |
| rechtspopulistische Wahlerfolge zu befürchten, die mühsam errungene | |
| Fortschritte im Klimaschutz und anderswo zerstören könnten. Die | |
| europäischen Demokratien sind historisch auf urbanen Plätzen entstanden, | |
| [1][zuallererst auf der griechischen Agora]. | |
| Dort fand alles gleichzeitig statt: Palaver, Markt, politische | |
| Versammlungen. Heute sind in den rund 11.000 deutschen Gemeinden und | |
| Städten Rathaus- und Marktplätze oft verödet, kommerzialisiert, zugeparkt. | |
| Es scheint, als ob Autos die Kommunen regierten, als sprichwörtliche | |
| Autokratie. Schmerzlich mangelt es überall an einladenden, schönen, | |
| begrünten Treffpunkten – und an Bürgerengagement. Fehlendes demokratisches | |
| Engagement ist oft Folge fehlender einladender Räume. | |
| Wie wäre es, wenn wir „Klimademokratie“ sinnlich erfahrbar machen? Konkret: | |
| mit dem Aufbau von „grünen Agoras“ und schönen Sprech-Orten auf zentralen | |
| Plätzen, damit Einwohner:innen eines Dorfes, eines Quartiers oder einer | |
| Stadt wieder miteinander reden und aktiv daran mitarbeiten, das lokale | |
| Klima ihrer Heimatorte zu schützen. Der vom Bundesumweltministerium | |
| aufgelegte „Aktionsplan Natürlicher Klimaschutz“, der bis 2026 mit vier | |
| Milliarden Euro ausgestattet ist, könnte diesen Prozess mit einem | |
| Sonderprogramm finanzieren. | |
| Startpunkt lokaler Demokratisierungsprozesse sollte immer die gemeinsam | |
| verabredete Gestaltung grüner Agoras an sich sein. Oft gibt es bereits | |
| geeignete Plätze oder Gebäude, die mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen | |
| umgebaut, begrünt und verkehrsberuhigt werden können. Eine umgewandelte | |
| lebendige Agora, auf der Veranstaltungen, Kultur und Treffen stattfinden, | |
| wirkt wie ein Leuchtturm: Sie strahlt in die ganze Kommune aus und wäre | |
| Schauplatz einer weiteren Bürgerbeteiligung. Überall im Lande entstehende | |
| grüne Agoras könnten sich miteinander verbinden. | |
| Lokale Klimamaßnahmen sollten interessierte Bevölkerung, zuständige | |
| Behörden und Expert:innen sodann gemeinsam erkunden, verbunden mit | |
| Temperaturmessungen vor Ort: Welche Flächen und Straßen strahlen am meisten | |
| Hitze ab, wie wäre das zu ändern? [2][Was kann entsiegelt, begrünt oder | |
| verkehrsberuhigt] werden? Wo lohnen sich Baumpflanzungen am meisten? Wo | |
| könnten neue Parks, Grünflächen, Stadtwäldchen, Kühlschneisen, | |
| Gemeinschaftsgärten entstehen? Wo und wie könnte das Prinzip Schwammstadt | |
| verwirklicht werden? Könnten im Umland Moore, Feuchtgebiete, Gewässer und | |
| Wälder renaturiert werden? | |
| ## Vermeidung von Klimaschäden | |
| Idealerweise sollte ein Bündnis von Kommunalpolitik und Zivilgesellschaft | |
| die grünen Agoras initiieren – neben Umweltverbänden auch Gesangsvereine, | |
| Kleingartenvereine, Heimatvereine und andere –, die damit dem | |
| rechtslastigen Begriff „Heimatschutz“ neue Bedeutung geben könnten. Stoßen | |
| allein Parteien das an, droht das übliche Parteiengezänk. Und NGOs allein | |
| haben keine politische Entscheidungsgewalt, sie müssten erst einmal | |
| entsprechende Bürgerbegehren initiieren. | |
| Wie der Prozess danach weitergeht, sollte jede Kommune selbst entscheiden. | |
| Denkbar sind alle demokratiefördernden Formate: regelmäßige Klimatreffen, | |
| Dorfwerkstätten, Bürgerversammlungen, Bürgerbefragungen. Wichtig wäre, dass | |
| unter aktiver Bürgerbeteiligung ein kommunaler Klimaschutzplan entsteht, | |
| der öffentlich und transparent kommuniziert, neutral moderiert, | |
| kommunalpolitisch verabschiedet und von der Stadtverwaltung umgesetzt wird. | |
| Diese „Klimademokratie“ kostet natürlich Geld. Hier wäre eine | |
| Kofinanzierung möglich: Das „Zentrum Klimaanpassung“ des | |
| Bundesumweltministeriums könnte Koordinationsstellen für „Kümmerer“ und | |
| Materialkosten finanzieren, die Kommunen den Aufbau der grünen Agoras, | |
| Bürgerstiftungen und -genossenschaften weitere Kosten. Werden die Ziele in | |
| einer Gemeinde gut kommuniziert, ist ein reger Spendenfluss zu erwarten, da | |
| die dort Lebenden wohl lieber in den Schutz ihrer Heimatorte investieren | |
| als in ferne Projekte. Denn jeder heute in Begrünung und Renaturierung | |
| eingesetzte Euro kann Klimaschäden vermeiden, die um ein Vielfaches höher | |
| sein können. Hochwasserschutzprojekte wie etwa in Lenzen an der | |
| renaturierten Elbe haben bereits gezeigt, dass der Nutzen rund dreimal | |
| höher liegt als die Kosten. | |
| Die positiven Effekte wären riesig. Erstens: Eine gut gemachte seriöse | |
| Bürgerbeteiligung stärkt die ganze Kommune und entzieht der | |
| rechtspopulistischen Behauptung „Die da oben machen, was sie wollen“ den | |
| Resonanzboden. Die Erfahrung aus praktisch allen Bürgerräten und | |
| Bürgerbeteiligungen lautet: Menschen wollen sich einbringen. | |
| ## Gemeinschaftssinn | |
| Zweitens: Soziale Bindungen, Selbstwirksamkeitserfahrungen und intakte | |
| Natur gehören laut des „Happiness Reports“ zu den stärksten Glücksfaktor… | |
| weltweit. Menschen erleben Glück und Resonanz, wenn sie sich miteinander | |
| verbinden, gemeinsam Sinnvolles leisten. | |
| Drittens sind solche Maßnahmen weit mehr als [3][„Klimaanpassung“]. Sie | |
| schützen die Gesundheit von Menschen ganz direkt, [4][weil sie Orte kühlen] | |
| sowie Fluten und Dürren eindämmen können. Flüsse sind die Adern des | |
| Planeten, Bäume seine Schweißdrüsen. Jeder Baum entzieht über die | |
| Blattverdunstung seiner Umgebung Wärme. Städte mit viel Grün sind viel | |
| kühler. Das ist real erfahrbar und kann viele Hitzetote verhindern. Umkehrt | |
| formuliert: Lokale Gruppen können den CO2-Gehalt der Atmosphäre nicht | |
| ändern, wohl aber die Temperaturen vor Ort deutlich senken und die | |
| Lebensqualität erhöhen. Nur wenn Klimaschutz von unten praktiziert wird, an | |
| so vielen Orten wie möglich, wird er in der Fläche wirken. | |
| 3 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Agora | |
| [2] /Grossstaedte-in-der-Klimakrise/!5914432 | |
| [3] /Wortwahl-in-der-Klimakatastrophe/!5912809 | |
| [4] /Ausrufung-des-Gesundheitsnotstands/!5964503 | |
| ## AUTOREN | |
| Ute Scheub | |
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