| # taz.de -- Stadtentwicklung in Köln: Die Liste der Possen ist lang | |
| > In Köln verzögert sich erneut ein lang ersehntes Museumsprojekt. Einmal | |
| > mehr zeigt sich, dass in Sachen Stadtentwicklung eine Dauerkrise | |
| > herrscht. | |
| Bild: Chaos am Barbarossaplatz: Auch bei der Verkehrswende hinkt Köln hinterher | |
| Oft heißt es, eine Gesellschaft bekomme am Ende immer die Politik, die sie | |
| verdient. Köln gehört zu jenen Orten, die zeigen, dass das so nicht stimmt. | |
| Was auch immer man von der Stadt samt ihrem gleichermaßen typischen wie | |
| hinderlichen Hang zur Selbstgefälligkeit halten mag. Diese Stadtpolitik | |
| haben die Kölnerinnen und Kölner nicht verdient. Seit Jahrzehnten macht | |
| Köln mit Pleiten und Pannen Schlagzeilen. | |
| Zuweilen ist das durchaus unterhaltsam. So wie bei der Umgestaltung des | |
| Breslauer Platzes am Hauptbahnhof vor ein paar Jahren, wo der geplante | |
| Brunnen – eher ein Trauerspiel als ein Wasserspiel – „vergessen“ worden… | |
| und später mit erheblichem Mehraufwand ergänzt werden musste. | |
| Schon Tradition ist das Fiasko am Heinrich-Böll-Platz, der jedes Mal | |
| gesperrt werden muss, wenn in der unter ihm gelegenen Philharmonie | |
| Veranstaltungen stattfinden, weil Geräusche von der Platzoberfläche in den | |
| Konzertsaal dringen. Kein Scherz: Die Kosten für das Wachpersonal, das seit | |
| Jahrzehnten Passanten, Skater und Radfahrer vom Platz vertreibt, gehen in | |
| die Millionen. | |
| Die Liste derartiger Possen ließe sich beliebig fortsetzen. Doch spätestens | |
| seit dem [1][Einsturz des historischen Stadtarchivs im März 2009], der | |
| durch ein ebenso unheilvolles wie umstrittenes U-Bahn-Projekt verursacht | |
| wurde und zwei Menschen das Leben kostete, mutet das, was in Köln passiert, | |
| nicht mehr komisch, sondern tragisch an. | |
| ## Der Anblick von Brachland | |
| Zuletzt waren es wieder einmal die Pläne für die Erweiterung des | |
| [2][Wallraf-Richartz-Museums], eines der kulturellen Aushängeschilder | |
| Kölns, die für Kopfschütteln sorgten. Als die Stadt das dafür vorgesehene | |
| Grundstück neben dem bestehenden Museum und unweit des historischen | |
| Rathauses erwarb, gab es die D-Mark noch. Eigentlich hätte die Realisierung | |
| des Erweiterungsbaus, dessen Entwurf auf einen 2013 (!) entschiedenen | |
| Architektenwettbewerb zurückgeht, schon längst beginnen sollen, doch im | |
| August wurde bekannt, dass es dazu auch in diesem Jahr nicht mehr kommen | |
| würde. | |
| Die Stadt sprach von bisher unbekannten Hohlräumen im Baugrund, die | |
| Kritiker davon, dass sie es schlicht versäumt hat, den Baugrund früher zu | |
| untersuchen – Zeit genug hätte sie ja gehabt. Ende November gab die Stadt | |
| einen neuen Zeitplan bekannt: Der Baubeginn wird nun für Herbst 2023 | |
| erwartet und das Projekt soll Mitte 2028 abgeschlossen sein. | |
| Es bleibt zu hoffen, dass die Vertreter der Fondation Corboud, deren | |
| Sammlung in dem Neubau untergebracht werden soll, bis dahin nicht endgültig | |
| die Geduld verlieren und der Stadt den Rücken kehren. Der Vertrag über die | |
| Dauerleihgabe von 170 Gemälden, hauptsächlich Werke des Impressionismus und | |
| Neoimpressionismus, stammt aus dem Jahr 2001. | |
| Jedenfalls bleibt einem hier, an einem der zentralsten und historischsten | |
| Orte der Stadt, der Anblick von Brachland vorerst nicht erspart. Was etwas | |
| leichter zu ertragen wäre, wenn nicht bereits die Umsetzung der | |
| benachbarten [3][„Archäologischen Zone“] die Geduld über Gebühr | |
| strapazieren würde. | |
| ## Gescheiterte Kultur(haupt)stadt | |
| Die Idee für das inzwischen etwas sperrig als LVR-Jüdisches Museum im | |
| Archäologischen Viertel bekannte Projekt entstand als Teil der | |
| (gescheiterten) Bewerbung Kölns zur Kulturhauptstadt Europas 2010. Das war | |
| zu Beginn des Jahrtausends. Der Baubeginn ließ bis 2017 auf sich warten, | |
| und seitdem machte das für Köln so wichtige Projekt, das auf einem | |
| unterirdischen Parcours Zeugnisse aus über 2.000 Jahren Stadtgeschichte | |
| erfahrbar machen soll, vor allem mit Kostensteigerungen und weiteren | |
| Verzögerungen Schlagzeilen. Im Oktober wurde bekannt gegeben, dass der Bau | |
| frühestens Ende 2026 fertiggestellt wird. | |
| Köln kann keine Kulturbauten mehr, heißt es heute oft, weil bei praktisch | |
| jedem großen Kulturprojekt der Wurm drin ist. Allen voran bei der nun | |
| bereits zehn Jahre währenden Sanierung des denkmalgeschützten Opern- und | |
| Schauspielhauses am Offenbachplatz, deren Baukosten sich über die Jahre | |
| verdreifacht haben. Doch wenn es nur das wäre! Vereinzelte Lichtblicke | |
| können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um die Stadtentwicklung Kölns | |
| generell nicht gut bestellt ist. | |
| Bei der Verkehrswende hinkt die Stadt hinterher, was sich unter anderem | |
| daran zeigt, dass Radwege, die diesen Namen verdienen, immer noch Stückwerk | |
| sind und der öffentliche Nahverkehr eine Zumutung ist. Ein weiteres | |
| Ärgernis: Vieles von dem, was unter Denkmalschutz steht, wird nicht so | |
| behandelt und im Stadtbild nicht so gewürdigt, wie man es angesichts seines | |
| kulturellen und historischen Wertes erwarten würde; das gilt für die Spuren | |
| der römischen Geschichte ebenso wie für die vielen romanischen Kirchen der | |
| Stadt, deren oft vernachlässigtes Umfeld nicht darauf schließen lässt, dass | |
| sie zu den wichtigsten Westeuropas gehören. | |
| Und auch die meisten größeren Stadtentwicklungsprojekte, die in den | |
| vergangenen Jahren umgesetzt wurden, vermögen nicht zu überzeugen. Vor | |
| allem nicht, wenn man sie an Kölns Selbstverständnis misst, in einer Liga | |
| mit anderen europäischen Metropolen mitzuspielen. | |
| ## Ungenutzte Gelegenheiten | |
| Das Vorzeigeviertel Rheinauhafen glänzt allenfalls mit schmucken Fassaden, | |
| nicht aber mit urbanem Leben, und man muss lange suchen, bis man auf | |
| Projekte größeren Maßstabs stößt, durch die ein wirklich überzeugendes | |
| neues Stück Stadt entstanden wäre. | |
| Dass es Köln zukünftig mit Projekten wie der Entwicklung des Deutzer Hafens | |
| besser machen will – der ehemalige Industriehafen soll ein „lebendiges, | |
| soziales und buntes Quartier“ werden –, ist ein schwacher Trost angesichts | |
| dessen, was in den vergangenen Jahren entstanden ist und bis heute | |
| größtenteils entsteht. Unmengen aufgegebener Industrie- und Bahnflächen | |
| wurden neuen Nutzungen zugeführt. Was für eine Gelegenheit, Köln | |
| weiterzuentwickeln, und was für eine Tragödie, dass sie nicht besser | |
| genutzt wurde! | |
| Bezahlbar ist das, was entstanden ist, größtenteils auch nicht, auch weil | |
| Köln erst spät und dann eher zaghaft auf das Problem steigender Mieten und | |
| Immobilienpreise zu reagieren begann. Während 1990 noch etwas mehr als ein | |
| Fünftel der Wohnungen öffentlich gefördert waren, sank dieser Anteil auf | |
| nur noch 6,7 Prozent im Jahr 2021. | |
| Das liegt auch daran, dass Köln, dem Beispiel Münchens und anderer Städte | |
| folgend, Investoren beim Bau von Wohnungen zwar seit einigen Jahren zur | |
| Schaffung von mindestens 30 Prozent gefördertem und damit bezahlbarem | |
| Wohnraum verpflichtet, ihnen aber gleichzeitig erheblichen Spielraum ließ, | |
| sich dieser Verpflichtung zu entziehen. | |
| ## Leben in der Zweitklassigkeit | |
| Auch „Milieuschutzsatzungen“, mit denen Luxussanierungen oder die | |
| Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verhindert werden können, werden | |
| erst seit Kurzem und nur punktuell angewandt, was in Köln aktive | |
| stadtpolitische Initiativen in ihrer Kritik bestärkt, dass es der Stadt an | |
| Entschlossenheit im Kampf für bezahlbaren Wohnraum fehlt. | |
| Oft heißt es, Köln sei eine Stadt, in der zu leben eine Menge Humor | |
| erfordert. Erst kürzlich wetterte etwa der Kabarettist Jürgen Becker in | |
| einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger über die Zustände in seiner | |
| Heimatstadt („Köln war immer schon gut in der Zweitklassigkeit“) und | |
| erklärte, die an ihrer Spitze stehenden Verantwortlichen gehörten aus der | |
| Stadt gejagt. Ob es damit getan wäre? Dass es um Kölns Verwaltung schlecht | |
| bestellt ist, ist kein Geheimnis. | |
| Zuletzt bescheinigte ein Städteranking des Instituts der deutschen | |
| Wirtschaft (IW), bei dem Köln auf einem wenig schmeichelhaften 30. Platz | |
| landete, der Stadt eine „teilweise dysfunktionale Verwaltung“. Die 2015 | |
| erstmals gewählte und 2020 wiedergewählte parteilose Oberbürgermeisterin | |
| Henriette Reker konnte ihr Versprechen, die Verwaltung auf Vordermann zu | |
| bringen, bisher ebenso wenig einlösen, wie das Bündnis aus Grünen, CDU und | |
| Volt, das seit 2021 die Geschicke im Rat der Stadt bestimmt, das desaströse | |
| Bild, das Köln seit Jahren abgibt, zu korrigieren vermag. | |
| Gleichzeitig lässt sich aber die Frage, wer oder was für die Zustände in | |
| Köln verantwortlich ist, sicher nicht mit einem schlichten „die da oben“ | |
| beantworten, und auf der Suche nach einer befriedigenderen Antwort kommt | |
| man nicht umhin, auch die Kölnerinnen und Kölner selbst in den Blick zu | |
| nehmen. Die können einem zwar leidtun, sind aber vielleicht auch nicht ganz | |
| unschuldig daran, dass ihre Stadt auf der Stelle tritt. | |
| Proteste, so sie denn stattfinden, vermögen in der Regel nicht in dem Maße | |
| zu mobilisieren, wie man es angesichts der Anzahl und des Ausmaßes | |
| stadtpolitischer Versäumnisse erwarten könnte (und wie es in anderen | |
| Städten der Fall ist), und es ist etwas dran an der Beobachtung, dass man | |
| dazu neigt, sich zu arrangieren, getreu dem Motto „Et es wie et es“, „Et | |
| kütt wie et kütt“, „Wat wells de maache?“ | |
| Der Fatalismus und Zweckoptimismus, der aus diesen rheinländischen | |
| Lebensweisheiten spricht, mag helfen, den alltäglichen Wahnsinn in Köln zu | |
| ertragen. Sie könnten aber auch mit ein Grund dafür sein, dass sich | |
| besagter Wahnsinn als so beständig erweist. | |
| 3 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Einsturz-des-Koelner-Stadtarchivs-2009/!5807997 | |
| [2] /Ausstellung-zu-Susanna-Motiv/!5897531 | |
| [3] /Juedisches-Leben-in-Koeln/!5748613 | |
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| Johannes Novy | |
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